Das Rennen in einem noch diffusen Markt hat begonnen

Web-Hosting - neue Facette des Klassikers Outsourcing?

03.11.2000
MÜNCHEN - Der Markt für Web-Hosting gilt derzeit als einer der interessantesten und gleichzeitig undurchsichtigsten der IT-Branche. Klassische Telcos tummeln sich hier ebenso wie etablierte IT-Firmen oder Internet-Startups. Vieles spricht dafür, dass die etablierten Outsourcing-Dienstleister am Ende die Nase vorn haben werden. Von CW-Mitarbeiterin Riem Sarsam

Das Web-Hosting bekommt eine strategische Dimension - für Anwender und Anbieter. Kümmerten sich bislang im Wesentlichen eher lokal ausgerichtete Service-Provider um das Geschäft mit dem Betrieb von Web-Seiten, drängen mittlerweile auch internationale Player auf den Markt. Beschleunigt wird diese Entwicklung von mindestens zwei Faktoren: Zum einen definieren sich immer mehr Unternehmen als "E-Companies" - die Beispiele Siemens und Daimler-Chrysler sind derzeit in aller Munde. Nicht nur dort wird bekanntlich der eigene Internet-Auftritt nicht mehr nur als avantgardistisches Projekt verstanden, sondern eine Vielzahl wenn nicht gar sämtliche Geschäftsprozesse sollen künftig Web-basiert sein. Auf der anderen Seite geistert mehr denn je das Schlagwort "Kernkompetenz" durch die Wirtschaft. Der Trend geht in Richtung Konzentration auf das eigentliche Geschäft - und dies bedeutet (wieder einmal) immer häufiger die Auslagerung kritischer IT-Funktionen.

Doch die Entwicklung ist ebenso technologiegetrieben. Bisher verknüpfte man mit dem Begriff "Web-Hosting" die Vorstellung, einen Internet-Rechner extern aufzustellen beziehungsweise betreiben zu lassen und damit unter anderem Kosten für Hardware, eine Standleitung und Fachpersonal zu reduzieren. Mittlerweile sprechen jedoch einschlägige Anbieter von "Managed Application Hosting" und erweitern entsprechend ihr Portfolio. Neben der Bereitstellung bloßer Infrastruktur ist dabei von Dienstleistungen wie Application-Hosting, also die Pflege von Anwendungen im Kundenauftrag, oder Application-Service-Providing via Internet, dem Vermieten von Software, die Rede. Hinzu kommt die Gewährleistung einer Reihe von Sicherheitsstandards, die den Kunden das Auslagern geschäftskritischer Daten schmackhaft machen sollen.

Für die Web-Hoster im Sinne fast schon ganzheitlicher Dienstleister dürfte sich angesichts dieser Aufgabenstellung ein Wachstumsmarkt par excellence eröffnen. Das Marktforschungsunternehmen IDC schätzt, dass sich das Volumen im Web-Hosting-Markt weltweit von weniger als zwei Milliarden Dollar im vergangenen Jahr bis 2004 auf bis zu 20 Milliarden Dollar verzehnfachen wird. Davon wird allein auf Deutschland eine Marktgröße von rund 1,4 Milliarden Dollar entfallen. Um sich von diesem Kuchen ein möglichst großes Stück abschneiden zu können, investieren die Anbieter kräftig. Jüngstes Beispiel ist Branchenführer IBM, der seinen Hosting-Sektor massiv ausbaut. Erst vor kurzem weihte das Unternehmen sein erstes deutsches Web-Hosting-Rechenzentrum in Frankfurt am Main ein und gab dem Geschäftsfeld mit der Bezeichnung "E-Hosting" einen neuen Anstrich.

Der Markt, in den sich Big Blue hier begibt, ist jedoch mehr als diffus. Die Wettbewerber kommen aus sämtlichen Bereichen der IT-Industrie, und jeder wirbt mit individueller Hosting-Kompetenz. So hat erst kürzlich das amerikanisch-niederländische Joint Venture der TK-Schwergewichte KPN und Qwest sein als "Cybercenter" bezeichnetes Rechenzentrum in München in Betrieb genommen. Eine Art Hochsicherheitstrakt für Web-Server, das gleichzeitig der zentrale Knotenpunkt für das über ganz Europa gespannte Glasfasernetz von KPN Quest ist. Satte 60 Millionen Mark hat sich die Company ihr Engagement in der bayerischen Landeshauptstadt kosten lassen. Hier wird bisher sowohl Web-Hosting als auch die so genannte Co-Location angeboten. Letzteres soll Kunden die Möglichkeit eröffnen, Server und Anwendungen eigenständig zu managen und lediglich die physische Infrastruktur inklusive Raum, Netzzugang oder Absicherung gegen Feuer und ähnliche Katastrophen zu mieten. Die Kernkompetenz, mit der Netz-Companies wie KPN Qwest oder auch der US-Anbieter Exodus um deutsche Kunden werben, lautet: Bandbreite und Connectivity. Durch den Besitz der Leitungen - den künftigen "Hauptschlagadern" der Wirtschaft - nutzen sie eigenen Angaben zufolge Kostenvorteile bei Netzdienstleistungen und wollen so kleineren Anbietern wie beispielsweise den am Neuen Markt notierten Firmen Ision, 1&1 Internet oder Teldafax/ Internet AG das Leben schwer machen.

Diese konzentrieren sich bisher vorwiegend auf das reine Hosting-Geschäft, was allerdings auch schon ihre einzige Gemeinsamkeit ist. Die zur Internet-Holding United Internet gehörende 1&1 Internet AG etwa betreibt über ihre Karlsruher Tochter Schlund & Partner ein eigenes Rechenzentrum. Mit Hilfe dieser Infrastruktur bietet 1&1 zum einen Unternehmenskunden Web-Hosting-Services an und bedient auf der anderen Seite über den Discount-Anbieter Puretec den Massenmarkt, wo sich also Lieschen Müller oder der Bäcker von nebenan ihren Internet-Auftritt basteln und betreuen lassen können. Die in Hamburg ansässige Ision wiederum stellt als End-to-End-Anbieter das Website-Management in den Vordergrund und betreibt Rechenzentren mit direktem Anschluss an den eigenen Backbone. Dabei mieten die Hanseaten zwar Leitungen an, setzen jedoch eigene Router ein, das heißt, sie managen das Backbone eigenständig. Zu ihren Kunden zählt vor allem die Medienbranche; Ision betreut unter anderem die Web-Auftritte von "Wirtschaftswoche", "Focus" und "Spiegel".

Angst vor der Konkurrenz speziell aus der Internet-Nation USA will das Unternehmen nicht kennen. Firmen wie Exodus, die mit dem Kauf der Hosting-Abteilung von Global Crossing ihre Marktpräsenz weltweit deutlich erhöhen konnte, verfolgen laut Ision-Chief-Technology-Officer Thomas Kiessling ein anderes Geschäftsmodell. Die Amerikaner konnten sich vor allem mit so genannten Internet-Hotels etablieren, das heißt, sie bieten ihren Kunden den Platz für eigene Server an, mit dem Ergebnis, dass in den Exodus-Centern unterschiedliche Rechner mit verschiedenen Applikationen betreut werden. "Auf dieser Basis kann man keine umfassenden Service-Level-Agreements anbieten, so wie wir es tun", meint Kiessling selbstbewusst. Zu der direkten Konkurrenz zählt er deshalb eher Anbieter wie Digex und Integra, die ein "ähnliches Verständnis" vom Website-Management hätten.

Doch zurück zu den Telco-Giganten. KPN Qwest trifft auch beim Web-Hosting längst auf alte Bekannte - etwa British Telecom (BT), MCI-Worldcom (hat vor kurzem die Übernahme des Digex-Mehrheitsgesellschafters Intermedia angekündigt), GTE oder Deutsche Telekom. Durch die im klassischen TK-Geschäft sinkenden Margen müssen sich die Carrier nach neuen Einnahmequellen umschauen, erweitern daher nolens volens ihr Dienstleistungsangebot. So ist die Deutsche Telekom derzeit damit beschäftigt, sämtliche IT-Dienstleistungen unter Federführung des vor kurzem übernommenen Debis Systemhauses in einem Geschäftsfeld "T-System" zusammenzufassen. In dieser Einheit wird auch die Abteilung "T-Mart" eingehen, die bislang für das Thema Web-Hosting zuständig war. Die Bonner installierten beispielsweise für den PC-Marktführer Compaq ein deutschlandweites Händlernetz im Web und halten dies auch am Laufen. Was die Infrastruktur für das Web-Hosting betrifft, ist der magentafarbene Riese mit sechs über Deutschland verteilten Rechenzentren mehr als gut positioniert. Auch BT plant, über das mit AT&T gegründete Joint Venture Concert ein weltweites Netz von Internet-Rechenzentren aufzubauen. Verteilt über drei Jahre werden zwei Milliarden Dollar investiert, um das Netz von derzeit 14 auf insgesamt 44 Rechenzentren auszubauen. Noch in diesem Jahr sollen elf neue Web-Hosting-Zentren in Europa, Japan und den USA den Betrieb aufnehmen, 2001 sind 19 weitere geplant. Besagte Telcos bieten also Netz- und Rechnerkapazitäten an und verfügen zudem über Serviceabteilungen, die den Kunden auch entsprechende Betreuung bieten können.

Ähnliches schreiben sich auch die klassischen IT-Hersteller auf ihre Fahnen. Was für KPN, BT und Deutsche Telekom gilt, trifft ebenso für IBM, Intel und andere zu: Sie begegnen ihren klassischen Wettbewerbern auch im vermeintlich lukrativen Web-Hosting-Geschäft. Big Blue etwa investiert in den nächsten zwei Jahren rund 1,5 Milliarden Mark in Ausrüstung und Personal für Server-Farmen in Europa, den Nahen Osten sowie Afrika. Auf dem europäischen Kontinent will das Unternehmen bis zu 18 Zentren unter anderem in Frankfurt, München, Mailand und Stockholm aufbauen - weltweit sollen bis zu 2000 Fachleute neu eingestellt werden. In dem neuen Geschäftsbereich will IBM künftig das bloße Web-Hosting mit weiteren Services wie Infrastruktur-Outsourcing oder die Betreuung von mobilen Anwendungen für Unternehmenskunden anreichern.

"Dennoch werden die heutigen Hosting-Standards die Ansprüche künftiger Kunden nicht mehr erfüllen", glaubt Alan Parker, Analyst bei Forrester Research. In einer Studie zum europäischen Web-Hosting-Markt ("Europe?s Web Hosting Shift") empfiehlt das Marktforschungsunternehmen den Dienstleistern, die mit diversifizierten Angeboten den Erfolg suchen, miteinander zu kooperieren. Dabei sollten sie nicht nur das reine Hosting-Geschäft vor Augen haben, sondern versuchen, für ihre Kunden das gesamte Online-Management zu erledigen. Angesichts der steigenden Anforderungen rechnet der Analyst mit einer Konsolidierung in diesem Markt. Damit steht er nicht allein. Helfried Wagner, IBM-Verantwortlicher für E-Business-Hosting-Services in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa, sieht es ähnlich: "Bisher hat sich noch kein Anbieter eine eindeutige Führungsposition erarbeitet. Auch diejenigen, die früher gestartet sind, konnten ihren zeitlichen Vorsprung nicht nennenswert in Marktanteile ummünzen. So wie sich der Markt im Moment entwickelt, läuft alles auf den Begriff Coopetition hinaus. Mehrere Gruppen von Dienstleistern werden in unterschiedlichen Allianzen das Geschäft machen."

Für Kai Neumann, Technologie-Management-Berater bei Diebold, schlagen dabei Player wie IBM mit einer breit angelegten Strategie den richtigen Weg ein. Denn "Web-Hosting allein", so Neumann "hat keine Zukunft." Zwar handele es sich hier um einen weniger personal- und damit weniger kostenintensiven Bereich, doch um den wachsenden Bedürfnissen der Kunden gerecht zu werden, gehöre mindestens noch Application-Hosting ins Portfolio - und von dort ist es bekanntlich nur noch ein kleiner Schritt zum Application-Service-Providing.

Diese Dienste widerum sind für die Anbieter teuer und erfordern von Kundenseite eine hohen Vertrauensvorschuss. Im Gegensatz zum reinen Internet-Auftritt geht es nun darum, geschäftskritische Anwendungen wie ERP- oder Daten-Systeme mit dem Web-Frontend des Kunden zu verbinden. Verlässliches Web-Hosting wird es also nicht zum Nulltarif geben - weder für die Dienstleister noch für deren Kunden. Nicht wenige Zeitgenossen sehen darin eine neue Variante des klassischen IT-Outsourcings. Die Rechnung lautet: Die Auslagerung kritischer Applikationen plus Service-Level-Agreements plus mittelfristig auch längere Vertragslaufzeiten ergibt hohe Margen.

Wenn deshalb die Karten im (Internet-) Service-Markt neu gemischt werden, halten nach Auffassung von Neumann vor allem zwei Gruppen einen Trumpf in der Hand: Auf der einen Seite kleinere Anbieter, die sich spezialisieren und "ihr Angebot bis zur Perfektion ausbauen", anderseits große Systemhäuser und Dienstleister, die bereits Erfahrungen in der Integration vorweisen und auf einen festen Kundenstamm zurückgreifen können. Ausruhen auf ihren Lorbeeren könnten sie sich allerdings nicht, denn der Markt ist zu jung, als dass bereits alle Weichen gestellt wären. Darauf deuten auch die momentanen Dumping-Preise hin, mit denen die Web-Hoster die Kundschaft zu locken versuchen. Hinzu kommt die derzeit noch hohe Wechselbereitschaft der Anwender. Sollen die hohen Margen, die den Anbietern prophezeit werden, Wirklichkeit werden, muss es diesen gelingen, eine möglichst große Kundenbasis aufzubauen und dauerhaft zu binden, meint Neumann. Erst wenn sich der Markt konsolidiert hat - Experten gehen von einem Zeitraum zwischen zwei bis drei Jahren aus -, dürften auch die hohen Investitionen, die die einschlägigigen Unternehmen für den Aufbau ihres Web-Hosting-Angebots getätigt haben, wieder in die Kassen zurückfließen. Vieles spricht allerdings auch dafür, dass man es dann auf Seiten der Dienstleister einmal mehr mit den aus dem klassischen IT-Service-Sektor hinlänglich bekannten Namen zu tun haben wird.

Abb.1: Web-Hosting im Wandel I

Tendenz zum Full Service: Web-Hosting wird es nicht mehr zum Nulltarif geben - auch technologisch. Quelle: Forrester Research

Abb.2: Web-Hosting im Wandel II

Mehr-Schichten-Modell: Aus dem Betrieb einer Website wird künftig ein nahezu die gesamte DV umfassendes Angebot. Quelle: Forrester Research