Was will Oracle mit

26.05.2009
Mit dem Kauf von Sun Microsystems durch Oracle steht auch das Schicksal der populären Datenbank MySQL auf dem Spiel. Viele Anwender sind verunsichert, andere machen bereits Front.

Seit Wochen herrscht Unruhe in der MySQL-Gemeinde. Oracle äußert sich nicht über die Zukunft der quelloffenen Datenbank- vielleicht, weil die Übernahme noch nicht abgeschlossen ist, vielleicht aber auch, weil bislang eine klare Strategie fehlt. Zwei zentrale Fragen stehen diesbezüglich im Raum: Wird Oracle MySQL im Markt lassen, und wird das Produkt langfristig unter einer Open-Source-Lizenz verfügbar bleiben?

Oracle hat mit Open-Source-Datenbanken Erfahrung. Bereits 2005 übernahm der Softwareriese zunächst die quelloffene Speicher-Engine InnoDB, die Anwender häufig mit MySQL kombinieren, und schluckte ein Jahr später den Anbieter Sleepycat Software, der die quelloffene Datenbank "Berkeley DB" entwickelt. Zudem soll Oracle bereits 2006 versucht haben, MySQL AB zu kaufen, den kommerziellen Anbieter von MySQL. Später erhielt dann aber Sun den Zuschlag. Trotz dieses offensichtlichen Interesses von Oracle an quelloffener Datenbanktechnik war in der Folgezeit wenig von deren Nutzung und Bedeutung innerhalb des Konzerns zu hören, außer dass der Support für die gekauften Produkte bestehen blieb.

Angriff auf Microsoft

Erst mit der sich jetzt abzeichnenden Übernahme von Sun/MySQL könnten Oracles Open-Source-Avancen eine klare Stoßrichtung bekommen: Nach Ansicht vieler Marktbeobachter soll MySQL Oracles Position im unteren Marktsegment gegen IBM und vor allem gegen Microsoft stärken. Die Chancen stehen nicht schlecht. So ist MySQL die derzeit erfolgreichste Open-Source-Datenbank und hat Tausende Nutzer und Unterstützer. Noch vor kurzem meldete Sun, dass der kostenlose "MySQL Community Server" täglich 70.000-mal heruntergeladen werde und zwölf Millionen Datenbanken weltweit produktiv im Einsatz seien.

Google als Kunde

MySQL ist vor allem bei Entwicklern, Hochschulen und Betreibern von Websites beliebt, wo die Datenbank meist in Verbindung mit dem Web-Server von Apache und der Skriptsprache PHP die Infrastruktur stellt. Manche Installationen bestehen aus Hunderten Datenbanken. Prominente Nutzer sind Google, YouTube, Yahoo, Wikipedia oder Craigslist, aber auch hierzulande finden sich große Anwender wie zum Beispiel das Rechenzentrum der Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalen mit über 260 Datenbank-Servern. Ferner wird MySQL in über hundert Produkten als eingebettetes Datenbanksystem eingesetzt.

Angesichts dieser strategischen Vorteile besteht mittlerweile Konsens im Markt, dass Oracle MySQL nicht einfach einstampfen wird, um einen lästigen Konkurrenten zu beseitigen. "Oracle achtet meist sehr darauf, Kunden zugekaufter Firmen nicht abzuschrecken, und versichert ihnen gewöhnlich, dass ihre Produkte nicht plötzlich aus dem Support fallen werden", sagt James Kobelius, Analyst von Forrester. Doch die Kernfragen nach dem Support und der künftigen Weiterentwicklung sind damit noch nicht beantwortet. Ins Lager der Skeptiker gehört beispielsweise John Newton, Gründer und CEO des Anbieters der quelloffenen Content-Management-Software "Alfresco". Er kann sich vorstellen, dass Oracle die Entwicklung von MySQL verlangsamen wird, um das eigene Datenbankgeschäft vor allem mit den bisherigen Editionen "Standard" und "Express" nicht zu stören. Die geplante Verbesserung der Skalierbarkeit von MySQL aber auch beispielsweise überarbeitete Debugging-Funktionen könnten sich dadurch verzögern –eine Sorge, die viele in der Open-Source-Gemeinde umtreibt. Bereits MySQL AB hatte Updates nur noch zögerlich an die Open-Source-Gemeinde weitergegeben. Grund hierfür ist die duale Lizenz von MySQL: Neben der freien General Public License (GPL), die zur Offenlegung von Weiterentwicklungen verpflichtet, gibt es eine kommerzielle Version die der Hersteller beliebig erweitern kann. Manche glauben sogar, dass Oracle an einer Migrationsstrategie für MySQL-Anwendungen arbeitet.

Auf der anderen Seite gibt es positive Stimmen zu Oracle. So könnte sich Gartner-Analyst Donald Feinberg vorstellen, dass die erfahrenen Oracle-Entwickler eigene Technik in MySQL einbringen, um die Datenbank leistungsfähiger zu machen. Auch die von Konkurrenten angestoßene Debatte, ob durch die Heirat von Oracle und MySQL ein Monopolist im Datenbankmarkt entsteht, scheint nur wenige zu besorgen.

Dies liegt vor allem daran, dass Oracles Umsätze durch MySQL nur geringfügig steigen werden. So konnte Sun 2007 gerade einmal 38 Millionen Dollar mit der kommerziellen "Enterprise"-Version von MySQL einnehmen und landete damit laut IDC auf Platz 19 im Datenbankmarkt noch hinter Herstellern wie Siemens, Unisys oder Hitachi.

Schleppende Produktentwicklung

Auch im Open-Source-Lager gibt es Stimmen, die Oracle als potenzielle MySQL-Mutter willkommen heißen. So erhoffen sich manche mehr Ordnung in der Produktentwicklung und im Support, die in der letzten Zeit chaotisch gewesen seien. Beispielsweise hatte MySQL-Mitbegründer Michael "Monty" Widenius Sun 2008 aus Protest gegen die Produktentwicklung verlassen, um mit seiner Firma Monty Program AB an der eigenen, auf MySQL-Code basierenden Datenbank "MariaDB" und ihrer Speicher-Engine "Maria" zu arbeiten. Damit stieg die Zahl der Produktabspaltungen (Forks) auf mindestens drei an. Doch um wirklich die Gemeinde hinter sich zu bekommen, muss sich Oracle entscheiden, wie es sich die Weiterentwicklung der Datenbank vorstellt - mit der Open-Source-Gemeinde oder als internes "Closed-Source"-Programm?

Eile ist geboten, denn vor allem die Entwickler von Speichersubsystemen für MySQL sind verunsichert. Auch wenn die vielen heute erhältlichen Storage-Engines wie "MyISAM", Kickfire und Infobright für unterschiedliche Szenarien optimiert sind und daher nicht unbedingt miteinander konkurrieren, befürchten ihre Anbieter, dass Oracle sie aus dem Geschäft drängen wird. Tatsächlich hat der Datenbankriese mit InnoDB und Berkeley DB und der von MySQL entwickelten Engine "Falcon" drei Varianten erworben, die sich vor allem für Transaktionssysteme eignen. Anbieter von Speicher-Engines wie Infobright, Kickfire, Calpont, Tokutek oder ScaleDB suchen daher bereits nach Wegen, wie sie im Geschäft bleiben können. Ein Vorschlag geht dahin, eine quelloffene Abstraktionsschicht zu entwickeln, die eine Kommunikation zwischen MySQL-Datenbank und Speicher-Engine sicherstellen soll.

Ebenfalls Front gegen Oracle machen einige Entwickler von MySQL. So hat sich als direkte Reaktion auf die Sun-Übernahme die Open Database Alliance gegründet, die zurzeit aus Monty Program AB und dem Dienstleister Percona, der die Speicher-Engine "XtraDB" entwickelt, besteht. Widenius und andere fürchten, dass Oracle die Nutzung von MySQL und der Storage Engines einschränken könnte. Daher soll MariaDB für alle Varianten offen sein. Allerdings wird derzeit in der Community diskutiert, ob und wie weit sich die Open-Source-Gemeinde tatsächlich von Oracle lösen kann, ohne juristische Konsequenzen befürchten zu müssen.

Steigende Lizenzkosten erwartet

An einem anderen Punkt herrscht indes weitgehend Einstimmigkeit: Die Nutzung von MySQL wird teurer. So geht beispielsweise Sean Chin, Analyst bei Gartner, davon aus, dass Oracle künftig systematisch für alle produktiven Systeme einen kostenpflichtigen Support einführen wird. Bisher betraf dies offenbar nur einzelne Installationen. Schon in der Vergangenheit hatte MySQL-Chef Marten Mickos beklagt, dass nur einer von tausend MySQL-Nutzern überhaupt etwas bezahle. Allerdings muss sich Oracle auf heftigen Widerstand einstellen. Bereits Sun war mit dem Versuch gescheitert, neben einer kostenlosen Edition bestimmte Features einer kommerziellen Version vorzuhalten. "Oracle wird um einen kostenlosen Basissupport für die Millionen Downloads nicht herumkommen", sagte Ed Boyajian, CEO von Enterprise DB.

Die Geschichte von MySQL

  • Der MySQL Server ist ein relationales Datenbankverwaltungssystem, das ursprünglich vom schwedischen Unternehmen MySQL AB entwickelt wurde. Die Software war 1994 zunächst als Clone für mSQL entstanden, um Datenbanken des maskengesteuerten Datenbanksystems Unireg in Web-Anwendungen verfügbar zu machen.

  • Im Jahr 2000 kam MySQL unter der Versionsnummer 3.21 heraus, um zu signalisieren, dass die Datenbank auf einem Kern basiert, der eine längere Geschichte hat.

  • Im Februar 2008 kaufte Sun Microsystems MySQL AB.

  • Für MySQL existiert ein duales Lizenzsystem. Die Software ist zum einen unter der General Public License (GPL) als kostenloser "MySQL Community Server" (aktuell Version 5.1.34) erhältlich, zum anderen besitzt MySQL AB/Sun das volle Copyright am Quellcode und vermarktet diesen samt Support als "MySQL Enterprise" mit kommerzieller Lizenz (aktuell Version 6.0).

  • MySQL ist als Open-Source-Software für viele Unix-Derivate, Mac OS X, Windows, OS/2 , i5/OS (ehemals OS/400) und Symbian verfügbar.

  • MySQL bietet verschiedene Speichersubsysteme an. Ab der Version 6.0 gehört eine neue Speicher-Engine mit dem Namen "Falcon" zum Lieferumfang. Diese soll alle Anforderungen einer transaktionssicheren Verarbeitung erfüllen.

  • Die Datenbank wird vor allem von Entwicklern sowie zum Aufbau von Websites eingesetzt. Promiente Nutzer sind Google, Yahoo und YouTube. Laut Sun wird der Quellcode 70.000-mal am Tag heruntergeladen. Rund zwölf Millionen produktive Systeme soll es weltweit geben.

  • Im April 2009 kaufte Oracle Sun.