Anwender wollen bewährte Prozesse nicht in Frage stellen

Was Linux im Rechenzentrum hemmt

14.05.2004
MÜNCHEN (ls) - Die Beta Systems Software AG bringt derzeit ihr Produktportfolio auf Linux. Doch der Berliner Spezialist für Betriebssystem-nahe Programme hat überrascht festgestellt, dass es bei Mainframe-Anwendern durchaus Gründe dafür gibt, das alternative Betriebssystem nur zögerlich einzusetzen.

Wenn IBM im Mainframe-Bereich eine neue Marschroute einschlägt, bleibt den Softwarepartnern kaum eine andere Wahl, als dieser Linie zu folgen. So war es auch mit der Linux-Orientierung. Darüber war Beta Systems nicht einmal unglücklich. "Die IBM-Konzeption ist überzeugend, weil sie Linux als hardwareübergreifenden Ansatz ins Auge fasst", erklärt Oskar von Dungern, Technikvorstand bei dem Berliner Unternehmen. Neue Marktchancen könnten sich ergeben. "Das bedeutet für uns, Programme nur einmal entwickeln zu müssen und mit sehr wenig Aufwand auf anderer Hardware einsetzen zu können. Nach unserer Erfahrung ist die Kompatibilität über verschiedene Architekturen sehr gut."

Beta-Systems-intern war die Linux-Orientierung kein Problem. "Für Entwickler liegt die Open-Source-Mentalität des kooperativen Arbeitens nahe. Wir mussten keinen überzeugen", berichtet von Dungern. Inzwischen sind aus den Teams schon Vorschläge gekommen, bestimmte Produkte zuerst für Linux zu entwickeln.

Doch die Entwickler sind anscheinend den Anwendern voraus. Er habe "mit einer größeren Nachfrage nach Linux-fähigen Produkten gerechnet", gesteht von Dungern ein. "Wir schieben die Kunden mehr an als sie uns." Erst nachdem die Unternehmen erste gute Erfahrungen mit dem Open-Source-Betriebssystem gesammelt haben, wächst ein Interesse.

Unverzichtbare Altapplikationen

Das ist weniger ein Problem bei Kunden, die Standardanwendungen vom E-Mail-Server bis zur Datenbank betreiben. Solche Infrastruktur auf Linux zu installieren sei leicht. Schwieriger wird es dort, wo Kunden mit einer großen Zahl selbst entwickelter Anwendungen arbeiten. Das sind heute noch oft in Cobol geschriebene Applikationen. "Zuerst müssen Heerscharen von Cobol-Programmierern auf C geschult werden", gibt der Beta-Systems-Manager zu bedenken. "Das geht nicht über Nacht."

Also verfolgen solche Rechenzentren eine andere Strategie. Sie richten zunächst einmal Linux-Partitionen auf Mainframes ein, in denen vorgelagerte Web-Server, Firewall oder File-and-Print-Server laufen. Allesamt klassische Linux-Anwendungen. Die eingeführten Geschäftsapplikationen hingegen verbleiben meist in ihrer angestammten Umgebung.

"Typischerweise fragen unsere Kunden zuerst, wie sie unter Linux den Betrieb ihrer für sie wichtigen Applikationen sicherstellen können", berichtet von Dungern. "Für diese Anwender ist ein Betriebssystem-Wechsel ein radikaler Eingriff in ihre Abläufe, die bestens durchorganisiert sind." Diese Betriebskonzepte sind sehr umfassend. Wie laufen Jobs über eine Reihe von Servern, und was passiert bei einem Rechnerausfall? Wie erfolgen System- oder Perfomance-Management? Welche Folgen hat ein Release-Wechsel?

"Das sind alles bewährte, bis ins Detail durchorganisierte komplexe Prozesse", erklärt von Dungern die zögerliche Haltung solcher Großanwender gegenüber Linux. "Diese Prozesse sind nicht nur in den Systemen abgebildet, sie sind auch in den Köpfen der Leute fest verankert." Unter Linux muss man wohl einige Abläufe neu organisieren. Der Beta-Systems-Vorstand: "Daher wird es noch einige Zeit dauern, bis die zentralen Geschäftsanwendungen auf Linux betrieben werden."

Scheduling-Tools fehlen

Nicht nur beim einfachen Scheduling von Jobs hat Linux "noch einen großen Nachholbedarf", so von Dungern. Für Mainframe-Systeme gibt es seit Jahren ausgefeilte Tools, die in einer Datenbank strukturiert hinterlegen, was wann passiert ist. Problemfälle werden automatisch erkannt und dem Scheduler gemeldet, so dass alternative Wege automatisch freigegeben werden. In der Datenbank können später auch die Ursachen für Schwierigkeiten analysiert werden. Unter Linux ist man noch weit davon entfernt, die Abläufe so eingehend zurückverfolgen zu können, erklärt von Dungern: "Wenn etwas schief geht, ist es schwer, nachzuvollziehen, was wo und warum gehakt hat. Da muss man aufwändig suchen. Besonders kompliziert ist es, wenn sich Rechenprozesse über mehrere Server verteilen."

Langsam, aber sicher Linux

Gleichwohl dürften solche Defizite nicht von Dauer sein, weil die Anbieter Betriebssystem-naher Tools ihre Produkte auf Linux umstellen, meint der Beta-Systems-Manager. Damit kämen sie den Mainframe-Anwendern entgegen, die grundsätzlich Interesse an dem Open-Source-System hätten. "Die Motive sind klar: Erstens senkt es die Kosten. Zweitens hebt es die Architekturgrenzen auf - mit dem Vorteil, Applikationen zunächst auf Intel-basierenden Linux-Maschinen programmieren und testen zu können, die man dann auf ein größeres System überträgt. Und diese Hardwareneutralität von Linux bringt drittens strategische Flexibilität für künftige Systementscheidungen."