Was ein R/3-Kunde nicht wissen soll

14.07.1995

Dieter Eckbauer

Welche Unternehmen haben im Wettbewerb die Nase vorn? Jene, die ihren Konkurrenten in allen kundenwirksamen Geschaeftsprozessen ueberlegen sind." Mit diesen Worten wurde der "Visionstag" der ACS Wassermann Unternehmensberatung in Muenchen eingeleitet. Der Kolumnist ist, zugegeben, parteiisch, wenn er die nicht ganz uneigennuetzige Kundenveranstaltung eines Anbieters fuer seine Zwecke (dito eigennuetzig) journalistisch ausschlachtet. Hier die Erklaerung: Eine Softwarefirma von der Groesse einer Ameise (Nichts fuer ungut, ACS!) sagt dem Elefanten SAP den Kampf an. "Wuerg ihn, Wassermann" - dieses Zitat ist keine Erfindung von uns; es stammt von einem Teilnehmer an dem ACS-Workshop.

Wir wollen im verstaendlichen Interesse der Beteiligten hier keine Namen nennen. Doch es entstuende ein falscher Eindruck, wenn wir die Stimmung unter den Workshoppern als SAP-feindlich schildern wuerden. Ein Teilnehmer brachte es auf den Punkt: "Ich will meine unternehmerische Handlungsfreiheit behalten." Flaechendeckende, vollintegrierte Systeme wie R/3 bewirkten das Gegenteil dessen, was mit der Eingangsfrage nach dem Unternehmenserfolg gemeint sei. Voller Ironie das Statement eines mittelstaendischen Unternehmers, auch dieses anonymisiert: "Ich freue mich ueber jeden Wettbewerber, der eine komplexe, hochintegrierte Gesamtsoftware einsetzt."

Die Erlaeuterungen (O-Ton) sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen: "Erstens sind seine besten Mitarbeiter jahrelang durch dieses Projekt gebunden. Zweitens muss er bei wesentlichen Einzelleistungen Kompromisse eingehen. Drittens investiert er sehr viel Geld in dieses System. Viertens nehmen ihm die Ablaeufe viel von seiner Flexibilitaet." Ein verstaendlicheres, ueberzeugenderes Plaedoyer fuer eine effiziente DV-Infrastruktur, die die kundenwirksamen und ertragsrelevanten Prozesse ablaufmaessig nicht zementiert, ist schwer vorstellbar. Klar ist aber auch, dass die Loesung weder SAP R/3 noch sonst eine vollintegrierte Standardsoftware heissen kann.

Daraus folgt: Was in den entscheidenden Bereichen fuer das einzelne Unternehmen nicht taugt, muss auch gesamtwirtschaftlich schaedlich sein. In diesem Sinne aeusserte sich der Gastgeber des ACS- Visionstages, Otto Wassermann. Und der Riesenerfolg von SAP? Warum setzen so viele Anwenderfirmen auf R/3-Software? Ersparen wir uns die Antwort, die jeder kennt; machen wir keine Schleichwerbung fuer Lemminge in den Topetagen. Aber es ist doch wohl ein Witz, dass von einigen wenigen Wissenden die Vorteile von Nicht-SAP-Loesungen mit dem Argument "Psst, nur keine schlafenden Hunde wecken!" praktisch geheimgehalten werden, was in dem Frohlocken unseres Mittelstaendlers (siehe oben) ja enthalten ist.

In diesem Punkt koennen wir den ACS-Verkaeufern und ihren Kunden nicht folgen. Wir wuenschten, es gaebe in der Softwarebranche viele Wassermaenner. Dann haetten die Anwender mehr Auswahl. Das wuerde den Schutz durch Geheimhaltung ueberfluessig machen, und es entstuende auch kein volkswirtschaftlicher Schaden. Ach, waer das schoen.