Warum sich Freundlichkeit auszahlt

07.11.2007
Von Anja Dilk
Widerliche Chefs sollen keine Konjunktur mehr haben. Freundlichkeit alleine reicht zwar nicht. Aber sie lohnt sich.

Von Anja Dilk und Heike Littger*

Hier lesen Sie ...

warum einige Management-Autoren glauben, dass netten Chefs die Zukunft gehört;

wie ein freundliches Klima die Unternehmenskultur beeinflusst;

wie der Eignungsdiagnostiker Heinrich Wottawa begründet, dass Nettsein allein nicht reicht.

Warum freundlich?

Der Medizinprofessor Einhorn plädiert für einen Paradigmenwechsel in der Bewertung des freundlichen Menschen. Wirkliche Freundlichkeit ist nicht Fassade, sondern Lebenshaltung. Freundlichkeit ist die Grundlage eines menschlichen Miteinanders, in dem Kooperation und gegenseitige Hilfe selbstverständlich sind. Und deshalb sind freundlichere Menschen nicht nur angenehmener, sondern auch erfolgreicher als ihre muffeligen Kollegen. Einhorn gibt einen Überblick über den Sinn und Nutzen von Freundlichkeit und beschreibt, wie man freundliches, aber bestimmtes Verhalten im Alltag lernen kann. Stefan Einhorn: Die Kunst, ein freundlicher Mensch zu sein, Verlag Hoffmann und Campe, 237 Seiten, 14,95 Euro.

Klaus schlägt gerne um sich. Manchmal kaum sichtbar. Manchmal mit aller Macht. Seit der gewandte, selbstsichere Aufsteiger die Karriereleiter emporstürmt, haben die Mitarbeiter nicht mehr viel zu lachen. Barsch watscht er Kollegen ab, höhnisch macht er sich über Mitarbeiter lustig, klaut den und buckelt heuchlerisch nach oben. Schon bald stöhnen die Mitarbeiter unter dem neuen Chef. Die Stimmung im Team sinkt, Missgunst und Unsicherheit kommen auf.

Thilo ist ein freundlicher Mensch. Interessiert nimmt er sich Zeit für seine Mitarbeiter. Fragt nach Familie und Urlaub, erkundigt sich, wenn die Sorgenfalten eines Kollegen tiefer werden. Eine gute Stimmung in der Abteilung ist ihm wichtig. Fairness und Respekt haben in seinem Joballtag einen hohen Stellenwert. Die Mitarbeiter fühlen sich anerkannt, sind motiviert, ziehen an einem Strang. Das zahlt sich aus, auch für ihn. Manchen Fehler sieht man ihm nach, weil er einfach nett zu Kunden und Mitarbeitern ist.

Es ist bezeichnend, wenn nach Jahren der Diskussion über das raue Klima in der Wirtschaftswelt und wortgewaltigen Publikationen über "Arschlöcher" (Stanford-Professor Robert I. Sutton) und "Menschenschinder" (Paul Babiak, Robert D. Hare) in den Chefetagen nun die Stimmung kippt. Es muss doch auch anders gehen. Freundlicher, respektvoller. Auch und gerade in der Arbeitswelt. Auch und gerade in den Chefetagen. Der Schwede Stefan Einhorn ist fest davon überzeugt. Er glaubt: Den netten Chefs gehört die Zukunft, das Modell des miesen Karrieristen ist vom Aussterben bedroht. Jüngst hat der Medizinprofessor am Stockholmer Karolinska-Institut dazu ein Buch auf den Markt gebracht, ein flammendes Plädoyer für eine Rückbesinnung auf mehr Freundlichkeit. Ein Plädoyer gegen die Klaus` und für die Thilos dieser Welt. In Schweden wurde "Die Kunst, ein freundlicher Mensch zu sein" zum Bestseller.

Freundlich. Lieb. Nett. Irgendwie klingt das immer noch unpassend in einer Diskussion über Führungskompetenz und berufliche Erfolgsfaktoren. Es klingt nach einfältigem Trottel oder dem naiven Mädchen von nebenan. Doch Stefan Einhorn will einen "Paradigmenwechsel in der Bewertung des freundlichen Menschen". Er versteht unter Freundlichkeit weit mehr als höfliches Geplänkel. Für ihn ist ein freundlicher Mensch jemand, "der ethisches Handeln verinnerlicht hat". Seine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Mitmenschen. Das ist nicht banal, sondern klug: "Was wir für andere tun, tun wir auch für uns selbst." Mit Kollegen, die aufmerksam und großzügig sind, arbeitet man gerne zusammen.

Für Chefs, die interessiert und aufrichtig sind, setzt sich ein Team doppelt ein. Einhorns Schlussfolgerung: "Freundlichkeit ist der wichtigste der unabhängigen Faktoren, die bestimmen, wie erfolgreich wir in unserem Leben sein werden. Das gilt auch für Gruppen, Organisationen und Gesellschaften, von denen dauerhaft nur die fürsorglichen überleben." Kürzlich verwies Einhorn in einem Interview auf eine Studie, in der 200 000 Chefs und Mitarbeiter befragt wurden. Ergebnis: Firmen, in denen die Angestellten sehr gut behandelt wurden und am Erfolg teilhatten, waren finanziell dreimal so erfolgreich wie Unternehmen, in denen Mitarbeiter als bloße Manövriermasse fungierten. Verwunderlich ist das nicht. Immer wieder zeigt uns die Neurobiologie, wie sehr das Bedürfnis nach Kooperation und Anerkennung im Menschen verankert ist, wie sehr unsere Gesellschaft auf Zusammenarbeit basiert. Aber gilt dieses Gesetz auch für die Wirtschaftswelt? Geht es Unternehmen tatsächlich besser, wenn sie nette Chefs haben? Lohnt es sich für Mitarbeiter mehr, sich für andere einzusetzen, als auf die eigenen Vorteile zu schielen? Die Skepsis scheint trotz aller Untersuchungen und Studien zu bleiben.

Heinrich Wottawa schmunzelt. "Natürlich ist es wichtig, dass ein Chef als freundlicher Mensch wahrgenommen wird." Aber man müsse aufpassen, nicht in allzu schlichte Polarisierung netter Trottel - eiskalter Macher zu rutschen, mahnt der Professor für Eignungsdiagnostik an der Ruhruniversität Bochum. Freundlichkeit sollte für alle Mitarbeiter selbstverständlich sein, denn sie hilft Reibungspunkte zu vermeiden, signalisiert Interesse und Respekt, manchmal sogar Sympathie. Wer das nicht könne, müsse es lernen. Keine Frage.

Sandra Kramer ist beim IT-Dienstleister Computacenter für das Talentprogramm der angehenden Führungskräfte verantwortlich. Einen Baustein der Ausbildung bildet das zweitägige Seminar bei Michael Schellberg und Moritz Freiherr von Knigge. Bei den Unternehmensberatern lernen die zukünftigen Chefs nicht, richtig mit Buttermesser und Hummerzange zu hantieren. Auch wenn man das mit dem Namen Knigge fälschlicherweise assoziieren könnte. Stattdessen erfahren die Teiklnehmer, wie Schellberg erzählt, in der unmittelbaren Begegnung, dass Controller keine "Erbsenzähler" und Vertriebler keine "Frontschweine" sind, sondern Menschen mit berechtigten Interessen und Zielen. Und dass Freundlichkeit, Höflichkeit und Respekt erst die Basis dafür schaffen, miteinander reden und arbeiten zu können.

Ulrich Renger, IT-Senior-Projekt-Manager, war im Sommer dabei und hat sich einen Satz besonders eingeprägt: Auf der menschlichen Ebene allein kann man ein Projekt nicht zum Erfolg führen. Auf der menschlichen Ebene allein kann man es jedoch in den Misserfolg führen. Der Besuch hat sich für ihn gelohnt. "Es tut gut, in einem Unternehmen zu arbeiten, in dem die meisten Mitarbeiter und Führungskräfte wissen, dass der direkte Weg nicht immer der richtige ist. Und Mitarbeiter nicht auf ihren Zweck reduziert werden dürfen." Natürlich gerät auch er in Stress, wenn in einem Projekt nicht alles richtig läuft. Dennoch heißt seine oberste Devise: Freundlich und souverän bleiben. "Es sind nicht immer die Mitarbeiter, die versagen. Sondern in der Regel das System, die Vorgaben, die Prozesse, in denen sich die Mitarbeiter behaupten müssen." Renger bezeichnet sich selbst als Multiplikator: "Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus – das merke ich immer wieder. Deswegen ist es so wichtig, dass man an dem Thema dranbleibt und sich die Grundregeln des wertschöpfenden Miteinanders immer wieder vergegenwärtigt: Menschen anschauen, wahrnehmen, beachten; fair bleiben, angemessen reagieren; keine vorschnellen Urteile fällen; auch gegenüber kratzbürstigen Zeitgenossen freundlich bleiben."

Wottawa weiß: Nicht alle Manager halten sich daran. Oft begegnet er Führungskräften mit mürrischen Gesichtern und monotoner, aggressiver Artikulation. "Im persönlichen Gespräch merkt man schnell, dass dort eigentlich eine ganz angenehme Person sitzt - die sich nur durch den ganzen Stress üble Angewohnheiten zugelegt hat. Und sich gar nicht bewusst ist, wie das auf die Mitabeiter wirkt."

Das bestätigt auch Tanja Baum von der Kölner Agentur für Freundlichkeit. "Immer weniger Menschen müssen dieselbe Arbeit in höherer Qualität schaffen. Da bleibt Führungskräften gar keine Zeit, sich um ihre Kernaufgabe zu kümmern: das Führen ihrer Mitarbeiter, das wertschätzende Aufeinanderzugehen." Chefs sollten sich eigentlich fragen: Wie geht es meinen Mitarbeitern? Wo stehen sie? Können sie auf ihrer Position all ihr Wissen und all ihre Kraft auch wirklich einbringen? Wie oft komme es vor, so die Trainerin, dass Mitarbeiter wie auf einem Schachbrett von einem Feld auf ein anderes geschoben werden. "Organisationen entwickeln sich, das ist gut und richtig", so Baum, "doch man darf nicht nur die zu besetzenden Positionen im Blick haben, sondern auch die Menschen: Was kann man ihnen zutrauen und was ihnen zumuten?" Sonst ergeht es einem womöglich wie einem Unternehmen in Düsseldorf: Die Mitarbeiter des User Helpdesks wurden neu eingeteilt. Für zehn war das kein Problem, doch drei waren mit den neuen Aufgaben überfordert. Sie kannten die Produkte nicht, für die sie von nun an zuständig waren, und konnten somit Kundenanfragen nicht in der vorgegebenen Zeit bearbeiten. Sie zogen sich zurück, hatten Angst, blafften die Anwender an, wurden krank. Anstatt der Ursache auf den Grund zu gehen, sah der Chef nur die Folgen des Mitarbeiterverdrusses. "Mit denen macht es keinen Sinn zu reden", lautete sein Kommentar. "Die ändern sich eh nicht mehr." Eineinhalb Jahre hat es gedauert, bis Baum alle Beteiligten wieder an Bord hatte. "Sie hatten durch all den Stress schlichtweg verlernt, freundschaftlich miteinander umzugehen, dem anderen zuzuhören, ihn als Individuum mit Stärken und Schwächen wahrzunehmen. Das ist fatal. Denn es schwächt nicht nur den Einzelnen, sondern die ganze Gruppe."

Der Eignungsdiagnostiker Wottawa warnt allerdings davor, die Bedeutung von Freundlichkeit zu überschätzen. "Eine gute Führungskraft braucht drei Dinge: eine hohe Machtmotivation, eine hohe Leistungsmotivation und eine geringe Anschlussmotivation." Wem zu sehr daran liege, von der sozialen Gruppe gemocht zu werden, der habe schlechte Karten. Das bremst in Entscheidungen, hemmt in Konflikten, behindert beim Zugriff auf die Macht. "Und schließlich sind Unternehmen keine sozialen Einrichtungen. Wenn sich die Beschäftigten in einem zu netten, freundlichen Klima zufrieden zurücklehnen, ist eine Firma schnell vom Markt verschwunden." Doch Wottawa weiß auch, dass Stefan Einhorn Recht hat, wenn er in seinem Buch schreibt: "In unserer vernetzten Welt, ist die Abhängigkeit von anderen enorm groß, viel größer als in früheren Zeiten, als kleinere Gruppen mehr oder weniger autark für sich sorgen konnten. Daher ist es am besten, wenn wir unsere Abhängigkeit von anderen akzeptieren und die Hilfe entgegennehmen, die wir brauchen, und Hilfe geben, wenn wir gebraucht werden." Und das geht nicht in Unternehmen, die mit betriebswirtschaftlich verengtem Blick nur nach schnellen Renditen, harten Entscheidungen, globaler Aufholjagd gieren. Sondern in Unternehmen, so Berater Schellberg, die sich Anerkennung, Wertschätzung, soziale Verstärkung auf die Fahne schreiben. Und dafür sorgen, dass sich ihre Mitarbeiter mit offenem, freundlichem Blick begegnen können – selbst in noch so turbulenten Zeiten. (hk)

* Anja Dilk ist freie Journalistin in Berlin, Heike Littger in München.