Wählleitung oder Standleitung?

01.08.1975

Das Konzept der dezentralen Intelligenz hat zu immer mehr DFÜ-Anwendungen geführt, die - angesichts der Leitungskosten - per Wählleitungen statt Standleitungen realisiert wurden. Selbstverständlich ist die Entscheidung immer abhängig vom Datenvolumen. Aber die Dinge sind sehr kompliziert, denn auch die Staffelung der Preise muß berücksichtigt werden.

Lohnt es sich, bis nach 22.00 Uhr (Nachttarif II) zu warten? Wieviel Stunden Wählleitung rechtfertigen die Kosten der festgeschalteten Verbindung? HfD oder überlassener Stromweg einerseits, Telex, Datex- und Fernsprech-Wählnetz andererseits.

Fünf Anwender berichten über ihre Lösungen. -m-

Christian Harders, Leiter der Computerorganisation bei Kühne & Nagel, Hamburg

Insbesondere in der Speditionsbranche ist eine schnelle Übermittlung von Informationen von entscheidender Bedeutung. Nachdem bereits seit längerem EDV-Mietleitungen nach USA benutzt werden, haben wir in Deutschland seit etwa einem halben Jahr Datenfernübertragung auf Wählleitung eingesetzt. Ganz speziell für Speditionsabwicklung ist in unserem Hause in Frankfurt ein Duplex-System der NCR-Century-Serie eingesetzt, mit dem die tägliche Verarbeitung sämtlicher zu erstellender Versandpapiere vorgenommen wird. An das System sind einige Auslieferungslager bedeutender Markenartikel-Hersteller angeschlossen. In diesen Lagern stehen intelligente Terminals, die die Lagerabfertigung und Disposition übernehmen. Die eigentliche Verarbeitung der dabei anfallenden Daten, das heißt die Lagerbestandsfortschreibung, die daraus entstehenden Listen sowie die Fakturierung an die Einlagerer wird im Rechenzentrum in Frankfurt erledigt. Um diese Daten dorthin zu leiten, wird mehrmals am Tage Datenfernübertragung auf Wählleitungen mit 1200 Baud eingesetzt.

Die im Frankfurter Rechenzentrum gewonnenen Daten gehen per Wählleitung sowohl an unsere Lager als auch an die verschiedenen Einlagerer, wo unterschiedliche "Hardware" eingesetzt ist, - wie NCR-, IBM- und MDS-Geräte. Schwierigkeiten bei der Übertragung auf Wählleitungen haben wir eigentlich nur während den Hauptverkehrszeiten am Vor- beziehungsweise Nachmittag, dann werden teilweise eine Reihe von Wiederholungen notwendig, die das System jedoch automatisch ausführt. Zu erwähnen ist, daß noch nie Schwierigkeiten im Wählleitungsverkehr zu Auftraggebern in Holland auftraten.

Peter Tennert, Bereich Projekte und Forschung bei der Datev Nürnberg

Die Datev ist als Service-Rechenzentrum für die angehörigen steuerberatenden Berufe eines der größten Rechenzentren der BRD.

Seit September 1974 bietet die Datev als neue Dienstleistung Datenfernverarbeitungsanwendungen an. Dabei geht es zunächst um die Übertragung von offline am Ort der Entstehung auf Magnetbandkassette erfaßter Buchungsdaten über Telefonwählleitungen zum Rechenzentrum der Datev in Nürnberg. Ab Ende dieses Jahres werden zeitkritische Auswertungsunterlagen zum Erfassungsort zurückübertragen und dort wieder lokal offline ausgedruckt. Für den Einsatz von Leitungen des öffentlichen Fernsprechwählnetzes sprechen zunächst die zu übertragenden Datenmengen.

In der Regel fallen pro Terminal pro Tag, je nach Datenanfall, etwa drei bis zehn Minuten Anschlußzeit an. Da Anwahl und Übertragungen automatisch während der Nacht erfolgen, kann der günstige Nachttarif 2 der DBP ausgenutzt werden. Dabei entstehen beim Datev-Genossen Übertragungskosten von zirka 10 Mark pro Monat.

Die im Rechenzentrum notwendige Anzahl von Leitungsanschlüssen an der Fernübertragungs-Steuereinheit ist beim Einsatz von Wählleitungen relativ gering. Die angebotenen Übertragungsgeschwindigkeiten von 1200 bis 2400 Bit pro Sekunde sind für alle zur Zeit absehbaren Anwendungsfälle ausreichend.

Die Leitungsqualitäten sind während des Nachtabrufs nach den bisherigen Erfahrungen sehr zufriedenstellend, die zur Zeit angeschlossenen 250 Terminals übertragen effektiv mit einer nahe der theoretisch größtmöglichen Übertragungsrate. Der Wählleitungsanschluß in der Kanzlei kann neben der Datenfernübertragung für normale Ferngespräche mit verwendet werden und ist in jeder Kanzlei vorhanden. Für die Anwendungen Datenabruf und Datenrückübertragung kommen deshalb aus den obengenannten Gründen nur Fernsprech-Wählleitungen zum Einsatz.

Seit 1. 3. 75 ist die Anwendung "Steuerrechts-Datenbank" von 9.00 bis 12.00 Uhr und 17.00 bis 20.00 Uhr für Online-Dialog freigegeben. Auch hier verbindet der Datev-Genosse das vorgenannte Terminal über Wählleitung mit dem Datev-RZ. Die Leitungsqualitäten sind auch hier zufriedenstellend. Standleitungen, direkt vom Terminal zum Rechenzentrum, wären rein aus Kostengründen erst ab einer täglichen Anschlußzeit von etwa drei bis vier Stunden rentabel.

Peter Monreal, Leiter der EDV-Abteilung der Firma Winschermann GmbH, Düsseldorf

Die EDV-Zentrale unseres Hauses (Vertriebsfirma fester und flüssiger Brennstoffe) ist seit, Januar 1973 mit 12 Außenstellen im Offline-Verkehr verbunden, die ihrerseits für etwa 40 Tochtergesellschaften und Niederlassungen arbeiten. Als Zentraleinheit benutzen wir eine Honeywell Bull 2000 mit 128 K, während in den Außenstellen intelligente Terminals der Singer 1501-Serie mit 8 K stehen. Die Entscheidung für offline wurde aufgrund eines Kostenvergleichs im Juni 1972 getroffen. Die wichtigsten Gründe waren: Menge des Datenanfalls bei den Außenstellen, Übertragungszeit, erhebliche Einsparungen der Kernspeicher-Kapazitäten, Organisation und Informationsbedürfnis (auf täglichen Rhythmus aufgebaut).

Wir befinden uns seit Januar 73 im Offline-Verkehr mit unseren Außenstellen nach folgendem System: Datenerfassung auf Magnetband nach Formaten, komprimieren der Bänder, ab 15.00 bis 16.00 Uhr übersenden der Daten nach Düsseldorf, Dekomprimierung in Düsseldorf, Verarbeitung bis zum nächsten Morgen 10.00 Uhr, von 10.00 bis 11.30 Uhr Übersendung komprimierter Druckbänder, Dekomprimierung bei den Außenstellen, Drucken der Tagesarbeit des vorhergegangenen Tages bei den Außenstellen - u. a Rechnungen, Journale, Gutschriften, Statistiken.

Die Übertragungsgeschwindigkeit beträgt 2400 Bit/sec. Unsere bisherigen Erfahrungen sind ausgesprochen gut. Es gibt keine Anwählprobleme und keine Datenverluste (Kontrolle durch die Terminals). Durch dezentrale Intelligenz erzielen wir eine vernünftige, vertretbare Kostenstruktur. Bemerkenswert ist die bisher stets gute und schnelle Unterstützung der Post bei Installations- und Reparatur-Problemen.

Robert Jeanrond, Leiter der EDV Abteilung der kommunalen Datenverarbeitung Saar, Saarbrücken

Im August 1974 entschloß sich die "Kommunale Datenverarbeitung Saar" Datenerfassung und Übertragung mit intelligenten Terminals TA 1000 (6 KB) von Triumph Adler für die zwei Bereiche Haushaltskassen/Rechnungswesen und Einwohnermeldewesen einzuführen.

Stand Juli 1975: Im Bereich Haushaltskassen/Rechnungswesen stehen den Gemeinden 17 Erfassungsprogramme, die mit verschiedenen Prüfroutinen ausgestattet sind, zur Verfügung. Alle Daten werden über Wählleitung mit Modems (2400 Baud) in der jetzigen Phase auf eine TA 1000, die im Rechenzentrum steht, umgedoppelt, auf ein Halbzollband konvertiert und von der EDV-Abteilung (IBM 370/145) bearbeitet und ausgewertet. Die Auswertungen werden dann auf Kassette zurückkonvertiert und per Terminal zu den Gemeinden auf Magnetbandkassetten überspielt. Diese können sich dann die notwendigen Daten ausdrucken lassen.

Im Frühjahr 1976 wird die Datenfernübertragung durch eine Steuereinheit direkt mit der DVA verbunden, so daß die Gemeindeverwaltungen zum wesentlich billigeren Nachttarif die Daten zwischen 22.00 und 6.00 Uhr automatisch überspielen können.

Im Bereich Einwohnermeldewesen werden die Meldedaten derzeit noch beim zentralen Rechenzentrum über die TA 1000 erfaßt. Im Herbst 1975 soll auch hier Datenfernübertragung eingeführt werden.

B. Willert, Manager Operations and Techniques bei der Procter & Gamble GmbH,

Schwalbach

Procter & Gamble unterhält seit etwa eineinhalb Jahren RJE-Verbindungen mit Standleitungen zwischen der Hauptverwaltung und zwei Fabriken mit einem System IBM 370/135 mit Power/VS und 2780-kompatiblen Data-100-Terminals. Wählverbindungen werden beim Zugriff auf Time Sharing-Service benutzt.

Bei der RJE-Planung stand zur Diskussion, ob zwei Wählverbindungen, zwei Mietleitungen oder eine Miet- und eine Wählleitung realisiert werden sollte. Aufgrund der Vorschriften der Deutschen Bundespost und der Struktur der Leitungskosten erwies sich die gemischte Lösung als weniger sinnvoll und wirtschaftlich. Aus Kostengründen fiel die Entscheidung zugunsten der Mietleistung. Dabei wurde angenommen, daß Standverbindungen komfortabler und ebenso zuverlässig wie Wählleitungen sind. Die bisherige Erfahrung mit den Mietleitungen (zwei Ausfälle in 18 Monaten) und Wählverbindungen bestätigt diese Annahme. Kürzlich wurde - wiederum unter dem Kostenaspekt - eine Umstellung auf HfD vorgenommen, ohne daß dies in der Operation bemerkbar wäre.