Warten auf Big Blue entwertet Compaqs Vorstoß:

Vorläufig keine Software für 386-Systeme

03.10.1986

Nach Informationen der britischen CW-Publikation "PC-Business World" deuteten die Softwarehäuser gegenüber ihren Kunden an, daß sie wenigstens so lange mit der Entwicklung der 386er-Software warten werden, bis die IBM ein Gerät dieser Leistungsklasse herausbringt. Zuerst müsse sich die Verwirrung am Markt legen, was den künftigen Standard für den 32-Bit-Prozessor betrifft. Eine solche Norm könne es ohne Big Blue eben nicht geben.

Damit müßten sich die Anwender des Compaq-Flaggschiffs bis auf weiteres mit der existierenden MS-DOS-Software begnügen, die auf dem Deskpro 386 zwar schneller abläuft als auf den Geräten der AT-Klasse. Die Kapazität des Prozessors aber, die mit einem relativ hohen Anschaffungspreis erkauft wird, könnte bei weitem nicht ausgenutzt werden. Der Marketingdirektor der britischen Ashton-Tate-Niederlassung, Paul Sloane, sieht sowohl seine Branche als auch die Anbieter von Hardware auf 386-Basis im Dilemma: "Die Katze beißt sich in den Schwanz. Wir Softwareentwickler können nur dann riskieren, Software für den 386er zu entwickeln, wenn der Deskpro ein Erfolg wird. Doch solange es keine Software gibt, kann dieser Computer sich nicht durchsetzen."

Nichts Spezielles für den Deskpro 386

Sloanes Kollege bei Micropro, John Speller, macht den Fans der neuen PC-Generation ebenfalls wenig Hoffnungen: Wir entwickeln nichts Spezielles für den Deskpro 386. Es gibt doch fast jeden Tag einen neuen Rechner. Wir können uns nicht mehr wie früher um jedes einzelne Modell kümmern, von dem wir gar nicht wissen, ob überhaupt genug Nachfrage besteht. Auch Branchenbeobachter Ian Fraser von der IBM PC User-Group sehen die Entwicklung nüchtern; es werde sehr lange dauern, bis es maßgeschneiderte System- und Anwendungssoftware für den neuen Intel-Chip gebe. Wie auch in den USA halten es Kenner der PC-Szene für äußerst unwahrscheinlich, daß Big Blue vor Herbst 1987 seinen eigenen 386er auf den Markt bringen wird. Schließlich müssen sich erst noch die Entwicklungskosten für den AT amortisieren, und außerdem will sich der Marktführer nicht selbst Konkurrenz machen: Eine 32-Bit-Workstation der Kategorie Deskpro 386 könnte den älteren Mittelklasse-Maschinen gefährlich werden, an denen die IBM viel mehr verdienen kann als an einem PC.

Das US-Wirtschaftsmagszin Fortune relativierte schon Befürchtungen, ein Flop mit dem Prestigeobjekt Deskpro 386 könnte Compaq gefährlich werden. Das Schlimmste, was den Texanern passieren könne, seien ein Gesichtsverlust und ein Geschäftsjahr mit niedriger Rendite. Die Entwicklungs- und Werbekosten - das Blatt schätzt den Betrag auf 13 Millionen Dollar - könne das erst fünf Jahre alte Unternehmen auf jeden Fall aus den Gewinnen finanzieren.

Compaq-President Rod Canion ist zuversichtlich, mit etwas Glück noch in diesem Jahr mit dem Produkt 35 Millionen Dollar einzunehmen; 1987 soll der Umsatz mindestens 125 Millionen erreichen. "Es gibt immer Manager, die aus Prestigegründen den schnellsten Wagen, die schönste Sekretärin und den modernsten Computer haben wollen, meint die amerikanische Branchenkritikerin Esther Dyson. Auf solche "Turbo-Ferrari-Kunden" setze offenbar Compaq.

Ein Sprecher des Softwareanbieters Lotus Development deutete allerdings an, daß die Marketingstrategen aus Houston in absehbarer Zeit auch ernsthafte Anwender finden könnten. Der englische Marketingmanager des Softwarehauses, Simon Rogers: "Wir werden die ersten sein, die Software für die neue Generation auf den Markt bringen. Wann das sein wird, wagte Rogers allerdings nicht zu prophezeien.