"Von Wolfsburg in die Welt"

07.11.2006
Mit Klaus-Hardy Mühleck, IT-Chef der Volkswagen AG, sprach CW-Redakteurin Karin Quack.

CW: Sie gelten als der Prozesspapst unter den CIOs. Wie kam es zu dieser Vorliebe?

Zur Person

• Klaus-Hardy Mühleck studierte in Stuttgart Prozess- und Automatisierungstechnik.

• Seine berufliche Laufbahn begann er im Siemens-Bereich Automatisierung.

• Bei Daimler-Chrysler war er zuletzt CIO Automotive.

• 2001 wechselte er als CIO in die Audi- Markengruppe.

• Seit Herbst 2004 sitzt er als Verantwortlicher für IT und Organisation in der Konzernleitung der Volkswagen AG.

MÜHLECK: Prozesse stehen für die Vernetzung von Funktionen - nicht mehr und nicht weniger. Das Prozessthema habe ich über meine gesamte Karriere verfolgt. Schon an der Universität, beispielsweise bei Professor Warnecke oder Professor Bullinger in Stuttgart, habe ich Prozessgestaltung gelernt. In den meisten Unternehmen ist das die Aufgabe des Strategievorstands. Doch die CIO-Funktion entwickelt sich Stück für Stück hin zur Gestaltung von Prozessen und Systemen.

CW: Sie waren der erste CIO, der sich als Chief Process Officer bezeichnet hat. Da fragt sich doch, wieso vorher niemand darauf gekommen ist.

MÜHLECK: Prozessgestaltung gibt es in der Logistik und Fabrikautomation schon länger. Professor Scheer hat hier Grundsatzarbeitet geleistet. Der CIO muss als Mittler zwischen den Anforderungen seines Unternehmens und den Abläufen der Systemplattformen bestehen können. Dafür muss er aber auch das notwendige Know-how haben. Er muss in der Lage sein, beispielsweise mit den Entwicklungs- und Produktionsvorständen zu diskutieren.

CW: Viele junge IT-Fachleute beneiden Sie um Ihr Standing. Was raten Sie denen, die Ihnen nacheifern wollen?

MÜHLECK: Das gibt es nicht umsonst. Ich habe mich in unterschiedlichen Abteilungen der Unternehmen umgesehen, in denen ich jeweils beschäftigt war. Das sollten die jungen Kollegen auch einmal tun, wenn sie wirklich die Unternehmensprozesse kennen lernen wollen.

CW: Der beste CIO wäre demnach einer, der gar nicht mit dem Berufsziel CIO angetreten ist.

MÜHLECK: Auf jeden Fall sollte ein CIO schon ein paar Jahre Erfahrung mitbringen, bevor er diesen Job übernimmt, also nicht direkt von der Universität kommen. Im Übrigen umfasst mein Beruf neben der Informatik und der Prozessgestaltung noch einen dritten wichtigen Aspekt: das Change-Management. Wir fühlen uns eigentlich als Integratoren, quasi als Klammer über das Unternehmen, oder als Architekten, wenn ich einmal den Vergleich mit dem Hausbau bemühen darf.

CW: Wie wirkt sich das im Alltag aus?

MÜHLECK: Meine Aufgaben sind nur zu 20 Prozent technologiegetrieben. Der größte Teil ist tatsächlich Change-Management.

CW: Sie haben das Prozessthema mittlerweile auch unterhalb der CIO-Ebene etabliert - in Gestalt von Process Integration Officers, kurz PIOs. Worin besteht deren Aufgabe?

MÜHLECK: Diese PIOs entwickeln und gestalten die Prozesse gemeinsam mit den Kollegen aus den Fachbereichen. Mit den daraus resultierenden Prozess-Templates gehen sie dann in die Projekte und beraten dort die Teams bei der konkreten Umsetzung.

CW: Audi war auch in Sachen PIOs wieder einmal Vorreiter für den Konzern. Sie selbst sind vor knapp zwei Jahren von der Audi AG in die Volkswagen-Konzernleitung gewechselt. Was können Sie hier erreichen, das Ihnen bei Audi nicht möglich war?

MÜHLECK: Selbstverständlich ist es hilfreich, Mitglied der Konzernleitung zu sein. Aber ich habe bei Audi schon mit meinem hiesigen Vorgänger, Dieter Schacher, das Konzern-Prozessmodell erarbeitet, das jetzt Teil der Konzernstrategie ist. Im Wesentlichen verfolgen wir drei Ziele: zum einen die Weiterentwicklung der Konzernstrukturen aus der Prozessperspektive, zum anderen die mit den Fachbereichen vorangetriebene Weiterentwicklung der Wertschöpfungsketten, drittens die Anpassung der IT über Bebauungspläne.

CW: Sie wollen die Konzernstrukturen verändern? Wie dürfen wir das verstehen?

MÜHLECK: Es geht darum, den Prozessgedanken bereichsübergreifend voranzutreiben, also Strukturen und Systeme zu optimieren, Standards zu setzen und Synergien auszunutzen. So wollen wir für die wichtigsten Kernprozesse des Unternehmens - den Produktprozess, den Kundenauftragsprozess, den "Serviceprozess vor Kunde" sowie den Bereich der strategischen und unterstützenden Prozesse - konzernweit einheitliche Standards setzen. Gleiche Geschäftsprozesse müssen weitgehend identisch sein. Deshalb sind sie auch konzernweit aus einer Hand zu definieren.

CW: Sie streben offenbar eine zentrale Steuerung der IT an. Inwiefern wird sich das auch auf die Budgets auswirken?

MÜHLECK: Die IT-Verantwortung ist und bleibt zwischen Konzern und Marken verteilt. Wir steuern zwar die Budgets, aber wir besitzen sie nicht. Immerhin haben wir einen Kulturwandel erreicht: Bis vor drei Jahren wurden die Projekte vor Ort entschieden, heute gibt es eine zentrale Governance - sozusagen von Wolfsburg in die Welt. Wir haben hier allein in der ersten Hälfte dieses Jahres 17 Leute ausgebildet, die jetzt in der ganzen Welt die lokalen IT-Verantwortlichen unterstützen. Sie bilden auch die Schnittstelle zwischen der Konzernzentrale und den Landesgesellschaften. In Sachen Standardisierung ist VW sehr weit fortgeschritten, was sich in geringen IT-Kosten niederschlägt. Beispielsweise haben wir allein durch die Vereinheitlichung unserer Printer-Landschaft 60 Prozent der Druckkosten eingespart. Wir sind ein Benchmark - nicht nur innerhalb der Branche.

CW: Aber wie vertragen sich Standardisierung und Innovation?

MÜHLECK: In den Backend-Funktionen können wir ruhig dasselbe machen wie alle anderen. Bei den Prozessen am Kunden-Frontend hingegen müssen wir innovativ sein. Zu entscheiden, wo wir innovativ sein wollen und wo wir besser standardisieren, erfordert allerdings manchmal einen regelrechten Spagat.

CW: Dem Vernehmen nach räumen Sie auch ihre Anwendungslandschaft gewaltig auf. Beziehungsweise Sie gestalten Sie um - auf der Grundlage einer Service-orientierten Architektur. Auf welchen Standard setzen Sie hier?

MÜHLECK: Auf unseren eigenen. Wir nutzen keine Monopolplattform - beispielsweise eine reine Oracle-, SAP- oder IBM-Plattform. Und wir wollen auch keine SAP- oder IBM-SOA. Wir setzen sowohl Websphere als auch Netweaver und .NET ein. Die Integration der Services überlassen wir den Anbietern.

CW: Das müssen Sie näher erläutern.

MÜHLECK: Sehen Sie, die Hersteller schützen selbstverständlich ihr intellektuelles Eigentum. Sonst könnten sie ja viel zu leicht ersetzt werden. Unser Interesse ist hingegen, dass die Softwareservices miteinander reden können, auch wenn sie in unterschiedlichen Frameworks erstellt wurden. Deshalb nehmen wir die Anbieter in die Pflicht. SAP und IBM haben ihr Integrationskonzept bereits ausgearbeitet, mit Microsoft sind wir derzeit im Gespräch.

CW: Sie haben Ihre Anbieter offenbar gut im Griff. Das galt lange Jahre auch für Ihren IT-Dienstleister, die konzerneigene Gedas. Warum wurde sie jetzt verkauft?

MÜHLECK: Gedas ist rasant gewachsen, hat zuletzt mehr als eine halbe Milliarde Euro umgesetzt - davon 40 Prozent außerhalb des Konzerns. Volkswagen hat sich die Konzentration auf das Kerngeschäft verordnet. Da konnten und wollten wir das weitere Wachstum von Gedas nicht mehr finanzieren. Schließlich hätten wir Gedas ständig optimieren müssen, um die Kostenstruktur zu halten.

CW: Wie wirkt sich die Auslagerung der Gedas auf Ihre tägliche Arbeit aus?

MÜHLECK: Der Transfer ging geräuschlos vonstatten. Gedas ist Teil der Automotive-Sparte von T-Systems - zusammen mit dem, was einmal das Debis Systemhaus war.

CW: Nun wird T-Systems derzeit von einer heftigen Krise geschüttelt, will sich von einem großen Teil seiner Mitarbeiter trennen. Das müsste Sie doch eigentlich beunruhigen.

MÜHLECK: Nein, das tut es nicht. In dem Bereich, mit dem wir zu tun haben, gibt es kein Schrumpfen, sondern Wachstum.