Nach dem Abbruch der Abschlusstests für IT-Azubis

"Von einer guten Prüfung weit entfernt"

29.06.2001
"Die große IHK kapituliert vor dem göttlichen Internet" - diese Aussage eines Chat-Teilnehmers bezieht sich auf den Abbruch der Abschlussprüfungen, denen sich im Mai 9500 IT-Auszubildende stellen sollten. Einige richtige Ergebnisse waren schon vorab über das Internet publik geworden. Stephan Tillmann* berichtet über den Stand der Prüfungsverfahren.

Gerhard Reuther analysiert in seinem vor kurzem erschienenen Artikel "Internet zwingt Prüfer zum Handeln" (siehe CW 22/01, Seite 74) die bisherige Prüfungssituation in den IT-Berufen detailliert. Durch die teilweise abgebrochene IT-Abschlussprüfung haben die Industrie- und Handelskammern, wahrscheinlich ungewollt, die öffentliche Diskussion um diese Prüfungen in Gang gebracht.

Völlig unverständlich ist, dass die IT-Abschlussprüfung in einigen Kammerbezirken vollständig vorgenommen, in anderen aber abgebrochen wurde. Einige Bezirke setzten für alle IT-Berufe die Prüfungsteile "Ganzheitliche Aufgabe II (Kernqualifikationen)" und "Wirtschafts- und Sozialkunde" ab. Bei den Fachinformatikern Systemintegration fiel auch die "Ganzheitliche Aufgabe I (Fachqualifikationen)" weg, die jedoch die Fachinformatiker Anwendungsentwicklung bearbeiten mussten. Letztere Entscheidung ist schwer nachvollziehbar, da die Aufgaben der beiden Prüflingsgruppen zu 50 Prozent identisch sind.

Die Abschlussprüfungen sind in der Tat "besser geworden", jedoch sind sie von einer guten Prüfung noch weit entfernt. So drängen sich auch Fragen zu den Prüfungsinhalten auf. Zu der abgesetzten "Ganzheitlichen Aufgabe II (Kernqualifikationen)" muss angemerkt werden, dass sich Kernqualifikationen bei diesem Prüfungstermin nur noch auf IT-Systeme, die Anwendungsentwicklung und das fachliche Englisch bezogen haben, der Bereich der Wirtschafts- und Geschäftsprozesse aber völlig aus der Prüfung herausgefallen ist. Prüflinge dürften sich fragen: Sind Wirtschafts- und Geschäftsprozesse keine Kernqualifikationen mehr, oder war dies nur Zufall? Da auch der Prüfungsteil zur Wirtschafts- und Sozialkunde sich schwerpunktmäßig auf rechtliche Aspekte beschränkte, wird diese Frage noch dringender.

Betrachtet man die einzelnen Handlungsschritte der Ganzheitlichen Aufgaben in der Abschlussprüfung genauer und vergleicht man sie mit den Stoffkatalogen zur Abschlussprüfung, wird das grundsätzliche Problem der Prüfungsorganisation deutlich. Die einzelnen Handlungsschritte beziehen sich immer auf "eine mögliche Konkretisierung", also zum Beispiel UML mit Use Cases, der sinnvollerweise offenen Rahmenpläne (vergleiche den von der ZPA, Köln, herausgegebenen Prüfungskatalog für die bundesweit einsetzbaren IHK-Abschlussprüfungen-Fachinformatiker/Fachinformatikerin Fachrichtung Anwendungsentwicklung, 1. Auflage 2000, Seite 5).

Aber was ist, wenn der Prüfling im Rahmen seiner Ausbildung einen Schwerpunkt mit einer anderen möglichen Konkretisierung hatte, also eventuell nur ein anderes Beispiel kennen gelernt hat? Nur dumm gelaufen, oder nicht genug für die Prüfung gelernt? Diese Fragen sollten sich bei den IT-Berufen aufgrund der Prüfungsstruktur eigentlich nicht erheben, werden aber von vielen Prüflingen seit der ersten Abschlussprüfung im Sommer 1999 immer wieder gestellt. Die Suche nach Antworten im Internet ist aus Sicht der Azubis daher sehr verständlich.

In vielen Prüfungsausschüssen und regionalen Arbeitsgruppen von Ausbildungsbetrieben und Berufsschulen, teilweise auch mit den Schulaufsichtsbehörden und den Industrie- und Handelskammern, wird seit Beginn des ersten Ausbildungsjahrgangs die Prüfungssituation analysiert und diskutiert. Da in Baden-Württemberg eine eigene Landesprüfung geschrieben wird, dort die Prüfung bereits regionalisiert ist, liegt eine bundeseinheitliche Abschlussprüfung nicht mehr vor. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (Bibb), welches im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft auch das Neuordnungsverfahren für die IT-Berufe begleitete, hat die Prüfungsausschüsse befragt. Zwar liegt noch keine Veröffentlichung der Ergebnisse vor, doch hört man von verschiedenen Prüfungsausschüssen, dass sie dem Bibb Vorschläge für die Veränderung der Prüfungsorganisation des Prüfungsteils B (Ganzheitliche Aufgabe I und II sowie Wirtschafts- und Sozialkunde) genannt haben.

Wenn es derzeit keine bundeseinheitliche Prüfung gibt, dann ist jetzt das Bibbg gefragt, aufgrund der bisherigen Evaluation der Abschlussprüfungen mit den Sozialpartnern und den am Prüfungsgeschehen beteiligten Institutionen und Personen über eine langfristig tragfähige Prüfungsorganisation nachzudenken, die der Ausbildung im IT-Bereich und den Prüflingen besser gerecht wird.

*Stephan Tillmann ist Studiendirektor am Berufskolleg Hilden des Kreises Mettmann und Mitglied in einem Prüfungsausschuss für IT-Berufe.