IT im ANlagenbau/"Nur Vorteile durch die Integration aller Prozesse"

Von der Funktions- zur Objektorientierung von Projekten

21.02.1997

Die Lindemann Maschinenfabrik GmbH entschied sich für die Einführung einer integrierten DV-Lösung. Bereits 1995 führten die Düsseldorfer Standardsoftware von Baan ein. "Anfang der 90er Jahre haben wir uns dann das Ziel gesetzt, die Vertriebsaktivitäten mittels geeigneter weiterer Software effizienter zu unterstützen", so Michael Lampertz, Leiter der DV-Organisation und Betriebswirtschaft bei Lindemann.

Die Gründe dafür lagen in der damaligen DV-Struktur des Unternehmens. Schon seit den 60er Jahren hatte der Hersteller von Aufbereitungsanlagen für Schrott, Abfall und Altpapier die Produktion durch DV-Einsatz unterstützt. Anfang der 80er Jahre entschied man sich dann für ein neues PPS-System, das die Material- und Zeitwirtschaft abdeckte, den Vertrieb aber nur bei der Ersatzteilversorgung und dem Lagerverkauf einbezog.

Die veränderten Marktanforderungen, speziell für einen kundenorientierten Auftrags- und Variantenfertiger im Anlagenbau wie Lindemann, verlangten von Softwaresystemen bestimmte Funktionen wie beispielsweise die mitlaufende Kalkulation bei Projektabwicklungen oder die Überwachung des Deckungsbeitrags über die gesamte Auftragszeit eines Projektes hinweg. Das alte Datensystem des Anlagenbauers deckte diese Funktionen nicht ab. Als früher Anwender des PPS-Systems hatte sich Lindemann mit Eigenprogrammierungen in den Bereichen beholfen, in denen das System Schwächen aufwies.

Konsequenz war, daß die Düsseldorfer nur unter Schwierigkeiten Release-Wechsel vornehmen konnten und die IT-Struktur des Anlagenherstellers dem aktuellen Stand des PPS-Systems nicht gerecht wurde. Die Aufrüstung auf die neueste Version des Altsystems hätte denselben Kosten- und Zeitaufwand erfordert wie die Einführung einer neuen DV-Lösung.

Das Unternehmen überlegte deshalb, die gesamte IT-Struktur neu zu gestalten. Ausschlaggebend war der Trend zu integrierten Softwarelösungen. Schnell stellte man fest, daß die Integration aller Geschäftsprozesse in die IT-Struktur wesentliche Vorteile bringen würde. "Einheitliche Daten für alle Unternehmensbereiche, Reduzierung des Zeit- und Kostenaufwands durch einmalige Dateneingabe, schneller Informationsaustausch zwischen einzelnen Unternehmensbereichen und -gesellschaften waren verlockend", erläutert Lampertz. Darüber hinaus konnte das Unternehmen auch die Lücken in der IT-Struktur schließen.

Der Vertrieb sollte über ein Marketing-Informationssystem unterstützt werden: Die Möglichkeit der mitlaufenden Kalkulation während einer Projektabwicklung, der Kapazitätsplanung und der Dokumentation von Angebotsphasen bis zur Nachkalkulation und bestimmter Service-Aktivitäten wie Call-Center und Hotline gaben den Ausschlag, die Standardsoftware "Baan 3.1a" auf einer "HP 9000" vom "Typ G70" einzuführen.

Entscheidend war der Ansatz im Logistikbereich, "da Transfer nur von einem gut strukturierten Logistikbereich in die anderen Unternehmensbereiche wie den Finanz- und Controlling-Bereich sinnvoll ist", so Lampertz.

Während sonst bei der Einführung einer Standardsoftware oft als erstes der Produktionsbereich abgebildet wird, entschied sich der nordrhein-westfälische Hersteller von Aufbereitungsanlagen für den Start der Einführung in den Bereichen, die noch keine DV-Unterstützung hatten. "Wir wollten so schnell wie möglich von der neuen Software profitieren", erinnert sich Lampertz, "unser altes PPS-System lieferte uns vollständige Unterstützung in der Fertigung; im Vertrieb hatten wir jedoch keine entsprechende Unterstützung bei Angebots- und Auftragsdefinitionen." Bei der Abbildung der Software in der Version 3.1.a auf die Geschäftsprozesse war viel Vorarbeit in puncto Produktstandardisierung in den Bereichen Konstruktion, Kalkulation und Produktion zu leisten.

Zunächst beschäftigte sich das Projektteam mit der Definition der modularen Voraussetzungen bei der Herstellung einer Produktlinie, dann wurden die entsprechenden Textkonserven, die Kalkulations- und die Stücklistenbasis geschaffen.

Da klare Definitionen der Geschäftsprozesse Voraussetzung für den integrativen Ansatz der Standardsoftware waren, modellierte man die Geschäftsprozesse neu und vollzog parallel zur Einführung der Software eine komplette Reorganisation der Unternehmensbereiche.

"Der integrative Ansatz der Software hat uns bei der Umsetzung des Geschäftsprozeß-Gedankens im Unternehmen unterstützt", führt Lampertz aus. Lindemann durchleuchtete die einzelnen Unternehmensbereiche, eliminierte überflüssige Geschäftsvorgänge und stellte sich von einer Funktionsorientierung der Mitarbeiter zur Objektorientierung der Projekte um. Davon waren Vertrieb, Einkauf, Materialwirtschaft, Wareneingang und das Lager betroffen. "Wir sehen in dem integrativen Charakter ein Element, das die Restrukturierungsmaßnahmen im Unternehmen fördert", so Lampertz. "Die Software-Einführung an sich wäre in kurzer Zeit möglich gewesen. Durch unsere Reorganisationsmaßnahmen verzögerten wir zwar den Echtbetrieb der Standardsoftware in den einzelnen Unternehmensbereichen, vermieden aber, unsere bestehenden Geschäftsprozesse für die nächsten Jahre zu zementieren."

Zur Zeit implementiert Lindemann das Datensystem in der Fertigung und führt dabei Gruppenarbeit ein. Im März wird mit dem Kundendienst der letzte Unternehmensbereich des Maschinenbauers auf die Baan-Software umgestellt, so daß Mitte des Jahres die Einführung und Reorganisation abgeschlossen ist.

Direkt im Anschluß plant man in Düsseldorf den Wechsel auf die "Triton", die aktuelle vierte Version der Baan-Standardsoftware, so daß das Unternehmen den in der Version 3.1a noch fehlenden betriebswirtschaftlichen Teil mit Kostenträgerrechnung und Betriebsabrechnungsbogen installieren kann.

"Konzentration auf den Standard war unser Ziel", erläutert Lampertz die Strategie der Einführung. Lindemann wollte die Möglichkeit zu weiteren Ver- sionswechseln haben, um auch in Zukunft immer über eine aktuelle Lösung verfügen zu können.

Seit Beginn der Software-Einführung rüstete der Anlagenbauer von etwa 80 Bildschirmarbeitsplätzen - davon 20 PCs - auf rund 250 PCs auf. 140 Mitarbeiter haben derzeit gleichzeitig Zugriff auf die Baan-Software.

Bürokommunikation und Konstruktion

Bei der Einführung des Systems im Vertrieb stellten die Maschinenbauer fest, daß die Baan-Software als PPS-System Text produziert, der den Ansprüchen des Vertriebes nicht genügte. Der Vertrieb war bisher gewohnt, mit Bürokommunikationssoftware wie Microsofts "Office"-Paket zu arbeiten und Briefe, Faxe und Mails nach modernen Layoutvorgaben zu gestalten.

Lindemann beschloß daher, die in der Standardsoftware generierten Angebotstexte unter Lotus Notes abzulegen und die in der Baan-Software generierten Stammdaten über eine Oracle-Datenbank in die Bürokommunikationssoftware einfließen zu lassen.

So erhalten die Vertriebsmitarbeiter die aktuellen Daten aus der Standardsoftware, wenn sie die Kundenkorrespondenz mit dem Office-Paket abwickeln.

Alle Daten wie beispielsweise Adressen werden aus dem stets aktualisierten Datenpool der integrierten DV-Lösung in eine mit Lotus Notes für das Office-Paket gestaltete Projektablage kopiert. Änderungen können folglich nur in der Baan-Software vorgenommen werden.

Legt ein Mitarbeiter ein Akquisitionsprojekt in Baan-Software an, wird automatisch im Office-Paket eine Projekt- und Kundenmappe mit Ansprechpartnern und Adresse erstellt. "Die Mitarbeiter brauchen mit Office keine andere Datenwelt als mit der Baan-Software aufzubauen", so Lampertz, "auf diese Weise haben wir die Bürokommunikation in die integrierte Lösung eingebunden."

Im Interesse einer Gesamtlösung band die Maschinenfabrik auch die in der Konstruktion zur Zeichnungserstellung genutzte Software "Engineering Data Management" (EDM) in die Baan-Welt ein. Über eine Schnittstelle findet eine komplette Stücklistenübergabe vom EDM-System der Konstruktion an die Standardsoftware in der Logistik statt. Auch die Zeichnungen können auf diesem Weg dem Logistikbereich zur Verfügung gestellt werden. Doppelte Datenhaltung sowie Redundanzen werden so vermieden.

Mit der Standardsoftware ist Lindemann jetzt in der Lage, alle für die Abwicklung eines Auftrags auszuführenden Schritte zu verwalten: Aufstellung der Kalkulation, Angebotserstellung, Ablaufplanung, Finanzplanung, Einkauf, Fortschrittsüberwachung, Fakturierung, Fertigung, Vertrieb und Versand. Das System ermöglicht ein effektives Kosten-Management im Rahmen der Terminplanung und unter Beachtung des Projektbudgets und der Qualitätsvorschriften.

Die betrieblichen Auswirkungen, die sich durch einzelne Projekte hinsichtlich der Liquidität und der Auslastung der Mitarbeiter und Maschinen ergeben, können festgestellt werden. "Die mitlaufende Kalkulation während der Projektabwicklung sowie die Überwachung des Deckungsbeitrags über die gesamte Auftragszeit hinweg haben für die Liquidität unseres Unternehmens die Funktion eines effizienten Frühwarnsystems", zieht Lampertz Bilanz.

Für die Zukunft plant Lindemann, auch die internationalen Tochtergesellschaften mit der Standardsoftware auszustatten. Derzeit ist das Unternehmen dabei, die englische Produktions- und Vertriebsgesellschaft abzubilden.

Seit einem halben Jahr läuft im englischen Telford das Sales- und Marketing-Informationssystem im Echtbetrieb, die Angebotsschreibung, die Lagerwirtschaft und der Einkauf werden auch über die Software abgewickelt.

Pilotprojekt für den internationalen Einsatz

Mehrsprachigkeit und Multi-Site-Fähigkeit des Systems unterstützen den Anlagenbauer. Lampertz beschreibt die Zielsetzung: "Wir wollen das in Düsseldorf entwickelte Modell eins zu eins in England einführen, um komplikationslosen Informationsaustausch zu gewährleisten. Über eine ISDN-Leitung sehen die Mitarbeiter in Deutschland und England den gleichen Inhalt auf den Bildschirmmasken, in Düsseldorf auf deutsch, in Telford auf englisch."

Nach der englischen sollen die anderen europäischen Gesellschaften in das Datensystem eingebunden werden, dann in Japan und den USA.

Angeklickt

Nicht nur Vertrieb, Einkauf, Materialwirtschaft, Wareneingang und Lager der Lindemann Maschinenfabrik waren von den Restrukturierungsmaßnahmen des Düsseldorfer Anlagenbauers betroffen: Überall wurden überflüssige Geschäftsvorgänge eliminiert. Die klassische Funktionsorientierung der Mitarbeiter ist der Objektorientierung von Projekten gewichen.

Spezialist

Als führender Hersteller von Maschinen und Anlagen zur Aufbereitung von Abfällen und zur Rückgewinnung von Sekundärrohstoffen ist Lindemann international mit Tochtergesellschaften in Frankreich, Großbritannien, Japan, der Schweiz, Spanien und den USA vertreten. Das 1913 von Waldemar Lindemann gegründete Maschinenbau-Unternehmen in Düsseldorf ist spezialisiert auf Maschinen und Anlagen für die Schrott-, Abfall- und Altpapieraufbereitung. Die Anlagen werden unter anderem in Automobilwerken, Altpapierpreß- und Sortierbetrieben, Schrottwerken, Autoverwertungen, Müllverbrennungsanlagen und Sondermüll-Anlagen eingesetzt.

*Beatrix Richter ist Fachjournalistin in Hamburg