Eine böswillige Analyse der DV-Hersteller-Ausbildung:

Von Chauffeuren und Chaos und Chefseminaren

08.08.1980

Die Sage weiß, daß früher einmal ein Rolls-Royce nur zu haben war, wenn man einen Rolls-Royce-Chauffeur mitkaufte. Der Chauffeur war von Rolls Royce ausgebildet, und zwar so, daß er sich nur bei RR-Wagen auskannte. Durch nichts war er dazu zu bewegen, sich ans Steuer eines anderen Autos zu setzen. Dieses Arrangement ging von der Vorstellung aus, daß ein Rolls-Royce etwa gleich lange hält wie ein Chauffeur. Sollte der Wagen doch vor dem Chauffeur den Geist aufgeben, was man bei RR sicher im Stillen hoffte, so mußte man wieder einen RR kauten, falls man sich an den Chauffeur gewöhnt hatte und ihn behalten wollte.

Eine glänzende Marketing-Idee! Leider haben sie die anderen Automobilhersteller nicht begriffen. Sie bauen Autos, die leicht zu handhaben sind und keinen ausgebildeten Chauffeur brauchen; das Ergebnis ist ein gnadenloser Wettbewerb, bei dem häufig nur die Qualität des Produkts und die Preiswürdigkeit zählt. Und heute stecken sie allesamt in der Krise. Stümperhaft, kann ich dazu nur sagen!

Erster Schritt: Informationschaos

In der EDV wird dieses Problem ganz anders angepackt. Man hat die Idee von Rolls-Royce wieder aufgegriffen, nur hat man sie wesentlich konsequenter verfolgt. Im Mittelpunkt des Marketing-Geschehens steht die Ausbildung des Chauffeurs, pardon! des EDV-Spezialisten. Ausbildung ist bekanntlich das Ersetzen des Unwissens, beziehungsweise der Konfusion durch Wissen und Können. Eine Voraussetzung ist also das Vorhandensein von ausreichend viel Unwissen.

Der erste Schritt des EDV-Marketing war also konsequenterweise die Schaffung eines Informationschaos. Dies wird am gründlichsten dadurch erreicht, daß jeder Hersteller beim Entwurf seiner EDV-Systeme auf maximale Inkompatibilität sowohl gegenüber den Systemen anderer Hersteller als auch gegenüber anderen Systemreihen im eigenen Hause achtet. Dem sind bei der Hardware-Entwicklung Grenzen gesetzt, nicht aber bei der Software. Zu der Inkompatibilität, also dem technisch bedingten Chaos, muß nun das Informationschaos mittels Prospekten, Handbüchern, Produktbeschreibungen, Vorträgen etc. dazukommen. Nun haben wir die gewünschte Intransparenz des Marktes, die eine Voraussetzung für ein stetiges Wachstum der Branche ist.

Um die Größe der Leistung zu ermessen, betrachten Sie doch bitte noch einmal kurz den Automobilmarkt: langweilige Markttransparenz; jedem ist sofort klar, welche Autos gut und preiswert sind, schlechte Produkte verschwinden vom Markt gute liegen in heftigem Wettbewerb untereinander. Die Bedienung der Autos ist ziemlich einfach, Sie lassen es sich einfach in einer neutralen Fahrschule beibringen und schon können Sie mit jedem beliebigen Fabrikat umgehen.

Stellen Sie sich das einmal in der EDV vor! Sie gehen in eine neutrale EDV-Schule, wählen dann irgendeinen guten und preiswerten Computer aus dem übersichtlichen Angebot von gleich zu bedienenden Produkten aus, und schon sind ihre Probleme gelöst. Da kann ich ja nur lachen! Die Automobilbranche steckt zu Recht in der Krise!

Die intentioniert-unstrukturierte Intransparenz ist die obligatorische Grundlage für eine kreative Marketingpolitik. Diese wiederum hat die Aufgabe, die Intransparenz des Marktes, also die Unwissenheit der am Markt als Käufer auftretenden, so zu überbrücken, daß das eigene Produkt bzw. das eigene Haus daraus Nutzen zieht. Ein wesentliches Mittel, dieses Ziel zu erreichen, ist die Ausbildung durch den Hersteller.

Diese Herstellerausbildung wendet sich an zwei verschiedene Personengruppen: zum einen an die Entscheidungsträger, zum anderen an die EDV-Spezialisten, also die, die Dank der Schwierigkeit der Bedienung eines Computers hohe Gehälter beziehen.

Die Entscheidungsträger werden zu Chefseminaren an Orten, wo das Wetter besser ist als bei uns, eingeladen und lernen dort nur eins: EDV = ABC, wobei ABC für den betreffenden Hersteller steht. Das Essen und der Service sind meist sehr gut bei diesen Anlässen.

Natürlich kann unser Entscheidungsträger mehrere solcher Seminare von verschiedenen Herstellern besuchen, und das ist auch sehr interessant für ihn. Er kann zwar aus der Vielzahl der unrelationierten Formeln (EDV = ABC, EDV = DEF, EDV = GHI etc.) nicht extrahieren, was nun eigentlich EDV ist, dafür hat er einen guten Überblick über die führenden Seminarhotels und kann sich anregend über die Berechtigung von Michelin-Sternchen unterhalten.

Die produktbezogene Ausbildung soll aus den Mitarbeitern des EDV-Benutzers eine Art Rolls-Royce-Chauffeure machen, die sich nie vorstellen können und dürfen, daß sie jemals mit einem anderen Computer beziehungsweise mit einer anderen Software arbeiten könnten.

Wenn also der Chef die richtige Formel kann und die Mitarbeiter das richtige Bewußtsein von Unmöglichkeiten erlangt haben, dann ist aus der unstrukturierten Intransparenz eine strukturierte Intransparenz, eine Im Sinne des Herstellers strukturierte, geworden. Das Ziel der Herstellerausbildung ist erreicht.

Der bekanntermaßen aufgeweckte Durchschnittsleser dieses Blattes wird längst gemerkt haben, daß ich die übliche Herstellerausbildung nicht mag. In der Hoffnung, daß mir die gütige Redaktion folgende Schlußbemerkung nicht aus Platzgründen herausstreicht, will ich Ihnen sagen, was ich im Gegensatz dazu mag: die wirklich herstellerneutrale, gründliche, up-todatige EDV Ausbildung. Und die kann auch ein EDV-Hersteller betreiben. Aber das ist nicht ganz billig. Und leider ganz selten, einmalig-selten, sozusagen.

* Dr. Roland Henssler ist Direktor des Control Data Instituts, Frankfurt