Das Werk: Informatiker brauchen starke Nerven

Vom Programmierstübchen auf die kreative Spielwiese

14.04.2000
Von 
Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.
"Das Werk" in Frankfurt, Hamburg, Berlin, Düsseldorf und München kümmert sich um Illusionen in Film und Fernsehen. Seit August 1999 interessieren sich die Medienkünstler außerdem auch für den Aktienkurs ihres Unternehmens.

Das Frankfurter Werk-Bistro wirkt am Montagmorgen ziemlich verschlafen. Aber das ändert sich schlagartig, als Ralf Drechsler den Fernseher einschaltet. "Wie stehen unsere Aktien?" fragt der Digital Artist, der zugleich einer der vier Unternehmensgründer ist. Der Aktienkurs ist bei den Kreativen mittlerweile zum wichtigen Thema geworden, auch wenn ihr Hauptgeschäft noch Illusionen in Werbespots und Kinofilmen sind. Was auf Leinwand und Bildschirm so täuschend echt wirkt, ist in vielen Fällen einem kreativen Medienkünstler mit elektronischem Zeichenstift zu verdanken. Ohne "Postproduction", der Nachbearbeitung von Filmmaterial, kommt inzwischen kein Kino- oder Werbefilm mehr aus.

Im Frankfurter Werk bearbeiten die Kreativen in erster Linie Werbespots. Mit Hilfe einer komplizierten Technik entstehen die meisten Spots am Bildschirm - denn welcher Marathonläufer sprintet schon barfuß und leicht bekleidet über Gletscherspalten, um zu beweisen, dass eine bestimmte Reifenmarke besonders für extreme Witterungsverhältnisse geeignet ist? In Wirklichkeit läuft er einfach vor einem blauen Hintergrund durch ein gut beheiztes Studio. Danach verbindet eine Mediendesignerin am Bildschirm den Bluebox-Film mit einem zweiten, auf dem die Winterlandschaft, teilweise digital aufbereitet, zusammen mit den Studioaufnahmen zu sehen ist. Neudeutsch heißt das "compositing". Selbst wenn das fertige Produkt leichtfüßig daher kommt, ist die Arbeit dahinter ein kompliziertes Handwerk.

"Mediengestalter oder Mediendesigner, die zu uns kommen, verfügen über sehr unterschiedliche Kenntnisse", sagt Geschäftsführer Drechsler. "Der Abschluss sagt erst einmal nichts aus. Ich frage mich manchmal, wo die talentierten Leute sind." Talentierte, zielstrebige und berufserfahrene Leute sucht er ständig. Mit der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und anderen Hochschulen bestehen Kontakte, Mitarbeiter des Werks verfügen über Lehraufträge in den Ausbildungsinstituten.

Medien und Filmbranche sind für viele Studierende immer noch die magischen Zauberworte für den Berufseinstieg. Nur: Der Begriff wird so inflationär verwendet, dass sich jeder darin wiederfinden und verlieren kann. "Wenn Leute kommen und sagen, sie wollen in die Medien, bekomme ich den Föhn", sagt Werk-Sprecher Wolfgang Borgfeld. Derartige Anfragen trudeln regelmäßig ein. "Bei der komplizierten Materie und der aufwendigen Technik können wir den Leuten kein "Reinschnuppern" ermöglichen", so Borgfeld pragmatisch. "Wer bei uns ein Praktikum machen will, muss sich über das Unternehmen informiert haben, über die berufliche Perspektive im Klaren sein und sich überlegen, in welche Richtung das Praktikum gehen soll." Wer dann immer noch Interesse hat, sollte lieber zum Telefon greifen anstatt eine Mail zu schreiben.

Konkrete Vorstellungen und Kenntnisse erleichtern es den Bewerbern, einen passenden Platz zu finden. "Wir können immer gute Leute gebrauchen", so Drechsler. Bei der Bewerbung kommt es vor allem auf gute Arbeitsproben an, der Lebenslauf ist weniger wichtig. Bei den Das-Werk-Unternehmen sind von den 219 Mitarbeitern 190 direkt und indirekt mit der digitalen Bildbearbeitung beschäftigt.

Studium ist zweitrangig

Neben Kenntnissen der digitalen Bildbearbeitung ist es vorteilhaft, wenn sich die Bewerber schon mit Berufsziel Flame oder Henry-Artist auseinandergesetzt oder zumindest von den beiden Systemen Dircreet und Quantel gehört haben. Hinter diesen Begriffen verbirgt sich hochwertige Hard- und Software, die zum Werkzeug der Artisten gehören. Genauso wichtig wie die fundierten Kenntnisse der digitalen Bildbearbeitung sind Hartnäckigkeit, Durchsetzungsvermögen und ein ausgeprägtes Kommunikationsgespür.

Das Werk versteht sich als Dienstleister im klassischen Sinn. Die Kunden aus Werbeagenturen und Werbefilmproduktionen kommen mit konkretem Filmmaterial und genauen Vorstellungen und verlangen eine adäquate Umsetzung ihrer Ideen.

In einem fensterlosen, futuristisch wirkenden Bearbeitungsraum nimmt der Arbeitsplatz des Künstlers den zentralen Platz ein. Am mittleren Bildschirm entsteht der neue Film. Dort sind die Videobilder als Filmstreifen zu sehen - Ausgangsmaterial, Endprodukt und Bearbeitungsschnitte. Am Drawboard fügt der Artist in enormer Geschwindigkeit mit einem elektronischen Marker die Bilder zu einem neuen Film zusammen. Dabei tanzt der Stift so schnell über das Brett, verändert hier eine Kleinigkeit, fügt dort etwas ein, dass es selbst beim Zuschauen wie Zauberei wirkt. Filmemacher oder Mitarbeiter der Agentur sitzen im Halbrund und beobachten alle Schritte der Zauberkünstlerin. "90 Prozent der Bildbearbeitung passiert in Anwesenheit der Kunden", erklärt Borgfeld. "Das heißt, dass neben der Arbeit am Bildschirm immer alle Antennen auf Empfang stehen müssen". Aufgrund des Briefings wissen beide Seiten, wie das fertige Produkt aussehen soll und wie lange es dauern darf. "Der

Job verlangt hohes Engagement und ist am Anfang sehr anstrengend", räumt Borgfeld ein. Die schönen bunten Bilder, die später so leichtfüßig daher kommen, wurden vorher aufwendig bearbeitet und überpinselt, um eine bestimmte Illusion zu erzeugen.

Grundsätzlich bewerben sich viele Quereinsteiger für den kreativen Job. Die Chancen sind für alle gleich. Interessant sind die Fähigkeiten eines Bewerbers und nicht sein Studium. Zwar bieten manche Hochschulen das Fach "Computeranimation" als Schwerpunkt an, doch die qualifizierten Lehrer fehlen oft. "Die Uni bietet den Studenten kaum Praxisbezug", ist im Werk zu hören. "Die talentierten Newcomer werden mindestens sechs Monate eingearbeitet und lernen im engen Kontakt mit den Kunden Briefings umzusetzen und trotzdem kreativ zu bleiben", so Borgfeld.

Jörg Liebold ist gelernter Fotograf und Grafik-Designer. Nach dem Studium arbeitete er bei einer Softwarefirma, die sich auf Animationsprogramme spezialisiert hatte. Irgendwann kam der 35-Jährige dann zum Werk, wo er seinen Traumjob als 3D-Artist fand. Die Vorbildung und genaue Beobachtungsgabe des Fotografen sind sehr hilfreich wenn es darum geht, täuschend echte Illusionen zu programmieren. "Das Interesse an der Sache ist entscheidend für mich", so Liebold. Die Faszination an der Arbeit und die angenehme Arbeitsatmosphäre sind für ihn wichtige Argumente, weshalb "Das Werk" seine Traumfabrik ist. "Bei uns gibt es keine große Fluktuation. Mit dem Mitarbeiterstamm ist es wie mit einem alten Ehepaar", erzählt er schmunzelnd.

IT-Profi landet hart

Bei den Praktikanten sieht es schon ganz anders aus. Von 20 bleiben höchstens fünf übrig, für die sich eine Perspektive ergibt. Manchmal sucht das Werk auch Programmierer und Informatiker, allerdings müssen sie neben einem starken Faible für den Film starke Nerven mitbringen. Neben der inhaltlichen Seite ist die große Herausforderung, eng mit den Kreativen zusammenzuarbeiten. "Hier prallen Welten aufeinander", weiß Liebold aus Erfahrung und grinst, denn der letzte angehende Informatiker war gerade mit dieser Situation überfordert. Der Knackpunkt waren Schneeflocken an einem Glas. Für diese Illusion sollte er ein Miniprogramm schreiben. Noch Fragen? Ein dickes Fell wäre für den Diplomanden ebenfalls ganz nützlich gewesen, denn beim offenen Austausch mit den Kollegen geht es nicht immer zimperlich zu. "Unser Praktikant wurde von seinem Programmierstübchen direkt auf unsere Spielwiese geworfen", so Liebold,"und er ist etwas hart gelandet."

Nachdem er tage- und nächtelang programmiert hatte, kritisierten die Kollegen das Ergebnis als zu wenig stimmungsvoll.

Trotzdem sind talentierte Leute, die mindestens sechs Monate Zeit und etwas Vorwissen mitbringen, herzlich willkommen. Keine Sorge, nicht nur Schneeflocken an einem Glas können schlaflose Nächte bereiten, da gibt es sicher noch das ein oder andere nette Problem, das sich die Kreativen einfallen lassen. Als Ausgleich für die kreativen Pausen gibt es ein gemütliches Bistro, und das ist wie ein Wohnzimmer bei Freunden.

Das Werk

Das Werk, seit August 1999 an der Börse, wurde Ende 1991 in Frankfurt gegründet. In den Niederlassungen in Berlin, Düsseldorf, Hamburg und München werden neben Werbefilmen und Musikvideos auch Spielfilme wie "Comedian Harmonists" oder "Lola rennt" bearbeitet. Im Sommer 1999 fusionierte das Werk mit der international renommierten Filmproduktionsfirma Road Movies von Wim Wenders zur AG. Primär beschäftigt sich das Werk mit digitaler Postproduktion und Spielfilmproduktion sowie dem Rechtehandel. Der Gesamtkonzern erwirtschaftete 1999 einen Umsatz von 70 Millionen Mark, die Prognose für das Jahr 2000 beläuft sich auf 101 Millionen. Die Mitarbeiterzahl lag 1999 noch bei 219, im Jahr 2000 sollen es 237 sein.