Vollsortimenter stoßen auf Skepsis

06.06.2005
IT-Dienstleister streben zunehmend langfristige Partnerschaften mit unternehmerischer Verantwortung gegenüber ihren Kunden an. Die Anwender nehmen die Offerten bislang kaum wahr.

Zu den große Unternehmen mit One-stop-Shop-Ambitionen zählen IBM Global Services, Accenture und Capgemini (siehe Kasten: "So positionieren sich die Anbieter"). Das Marktforschungshaus Lünendonk prägte für diese Art der Dienstleister den Begriff "Business Innovation/ Transformation Partner" (BITP) (siehe Grafik: "Die größten Business Innovation/Transformation Partner Deutschlands"). Sie streben mit einem integrierten Angebot aus Management- und IT-Beratung, Projekt- und Outsourcing-Services sowie Geschäftsprozessbetrieb langfristige Partnerschaften mit ihren Kunden an.

"BITP ist ein von den Beratern getriebenes Thema", räumt Dietmar Fink, von der Deutschen Gesellschaft für Managementforschung (DGMF) in Bonn ein. Dennoch ist er überzeugt davon, dass das Angebot auch Kunden einen Mehrwert bieten kann: "Der Begriff mag sperrig klingen, doch das Modell ist richtig. Wenn die Ziele gut aufeinander abgestimmt sind, können die Partnerschaften neues Geschäft generieren." Beispielhaft ist ein Projekt der niederländischen Allianz-Tochter Universal Leven mit Accenture. Der Anbieter von Lebensversicherungen übertrug dem IT-Dienstleister die Prozessgestaltung und den späteren Betrieb für die Vertragsabwicklung. Accenture hat die übernommene Landschaft so gestaltet, dass Universal Leven heute Versicherungspolicen innerhalb von einem Tag erstellen kann.

Es gibt weitere Projekte, in denen IT-Dienstleister tief in die Geschäftsprozesse der Kunden eingreifen und unternehmerische Verantwortung übernehmen. So lagerte der Handyhersteller Ericsson etwa die Netzentwicklungsabteilung an den skandinavischen IT-Dienstleister Tieto Enator aus. Mittlerweile ist auch Nokia ein Tieto-Enator-Kunde in diesem Bereich. In Großbritannien haben die Management-Berater von A.T.Kearney gemeinsam mit EDS ein Reengineering-Projekt beim britischen Triebwerkshersteller Rolls Royce durchgeführt, bei dem die Geschäftsprozesse mit IT-Unterstützung komplett überarbeitet wurden.

Doch EDS und A.T. Kearney konnten diesen gemeinsamen Erfolg nicht wiederholen. "Entsprechende Projekte sind aufgrund der erforderlichen Mindestgröße sowie des finanziellen und operativen Risikos bei einem Fehlschlag extrem selten", erläutert Peter Kreutter vom Institute for Industrial Organization der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar. "Die Kunden tun sich verständlicherweise sehr schwer damit, die Neuausrichtung kompletter Prozesswelten in die Hand von Strategieberatern zu legen, deren Mutterkonzern mit Outsourcing gleich ein Lösungwerkzeug parat hat", schildert Kreutter.

Anfang des Jahres kündigte EDS an, einem Management-Buy-out von A.T.Kearney nicht im Wege zu stehen. Die Trennung ist konsequent und fand schnell Nachahmer: Auch CSC hat in Deutschland das IT-Outsourcing- und IT-Beratungsgeschäft mittlerweile organisatorisch getrennt. "EDS und CSC haben für sich entschieden, mit welcher Leistungsbandbreite und welchem Transaktionsfokus sie bei ihren Kunden glaubwürdig auftreten und erfolgreich agieren können", sagt Kreutter.

Für Fink ist dies indes kein Widerspruch, weil der reine IT-Betrieb, so wie sie ihn EDS und CSC mit ihren Outsourcing-Aktivitäten anstreben, nicht die Kompetenz eines mit Geschäftsprozess-Know-how ausgestatteten Vollsortimenters benötigt. Sehr wohl ist das Wissen um Management-Strategie, Umsetzung und Betrieb erforderlich, wenn Anwenderunternehmen ihre Geschäftsprozesse einem Drittanbieter übergeben. "Um hier in das unternehmerische Risiko einzutreten, braucht der Partner das Know-how eines Management-Beraters", erläutert Fink das Modell des Business-Process-Partners. "Ohne dieses Wissen kann er die Geschäftsmodelle nicht beurteilen und ausgestalten. Er muss dieses Know-how auch aus eigenem Interesse mitbringen, um etwa die Wirtschaftlichkeit des Projekts und seine Risiken bewerten zu können. Dabei ist natürlich denkbar, dass dem Ganzen zusätzlich ein von einem Strategie-Consultant betriebenes Beratungsprojekt vorausgeht."

Seltene Innovationsprojekte

Die Nachfrage nach Business Process Outsourcing (BPO) zieht in Deutschland den Marktforschern zufolge an, doch zumeist übertragen die Kunden den Serviceanbietern derzeit nur einfache Dienste wie etwa das Erstellen und Drucken von Gehaltsabrechnungen. Auslagerungsvorhaben mit Transformations- und Innovationsanspruch sind bislang Einzelfälle: Accenture betreibt den Einkauf für die Deutsche Bank, und Infineon hat die komplette Personalabteilung an EDS übergeben. Der Dienstleister verantwortet künftig nicht nur die Gehalts- und Pensionsabrechnungen, sondern übernimmt Vorstellungsgespräche, Schulungen sowie Reisekostenabrechnung und Zeiterfassung.

Spezialisten brauchen Zulieferer

"Solche komplexen Themen können auch große IT-Dienstleister in aller Regel nur mit spezialisierten Partnern realisieren", schildert Kreutter. Im Falle Infineon arbeitet EDS mit dem Personalspezialisten Access aus Köln zusammen, um die entsprechenden Prozesse effektiv gestalten zu können. Mittlerweile hat EDS zudem zusammen mit dem Personalberatungshaus Towers Perrin ein gemeinsames Joint Venture für BPO-Services im Bereich Human Ressources (HR) gegründet. "Man muß sich vergegenwärtigen, dass es nicht den HR-Prozess als solchen gibt, sondern eine enorme Bandbreite von Teilprozessen mit vielen unternehmensspezifischen Ausprägungen", erläutert Kreutter. "Hier wird deutlich, dass sich IT- und Geschäftsprozesse vielfach nur bedingt trennen lassen."

In einigen Großprojekten haben sich bereits alternative Kooperationsformen etabliert. In Deutschland sind dies etwa das Toll-Collect- und das Herkules-Vorhaben. In beiden Projekten haben sich IT-Dienstleister zu Arbeitsgemeinschaften zusammengefunden, um komplexe Aufgaben zu bewältigen. "Es hat sich gezeigt, dass einige Anbieter mit dem Modell, alles aus einer Hand anzubieten, nicht wirklich vorangekommen sind", räumt auch Fink ein. Einig sind sich Kreutter und Fink darin, dass sich auch bei IT-Dienstleistern Wertschöpfungsketten mit Systemzulieferstrukturen entwickeln, wie es in der Automobilbranche schon seit Jahren gang und gäbe ist: "Es gibt verschiedene Spielarten des Generalunternehmertums. Entweder betreibt ein Anbieter wesentliche Bereiche eines Projekts selbst und greift bei Bedarf auf das Know-how von Spezialisten zurück, oder das Generalunternehmen konzentriert sich allein auf die Koordinationsaufgabe", schildert Fink.

Letztlich lässt sich die Frage, ob der Business-Process-Partner auf der einen, oder der Outsourcing-Spezialist auf der anderen Seite den Bedürfnisse der Kunden besser gerecht wird, nicht abschließend beantworten.

Wesentlich für die Wahl des richtigen Partners ist die zu lösende Aufgabe: "Handelt es sich um kleinere, integrierte Fragestellungen, bietet sich eine Kombination aus Beratung, Umsetzung und Betrieb sicher an. Bei größeren komplexen Aufgaben ist es eher sinnvoll, die Teilaufgaben von hochspezialisierten Anbietern lösen zu lassen", meint Kreutter. Zudem muss der Entscheidung immer die grundsätzliche Frage vorangehen, welche strategische Bedeutung das Projekt für das Anwenderunternehmen hat. Die Antwort fällt schwer, weil sich in vielen Unternehmen das Kerngeschäft enorm schnell ändert. So tauschte die Deutsche Bank etwa in den vergangenen zwei Jahren durch Ver- und Zukäufe den Großteil ihres Geschäfts aus. Selbst wenn Unternehmen langfristige Partnerschaften anstreben, sollten sie demnach immer großen Wert auf die flexible Gestaltung der Verträge legen.