Universität Anhalt setzt auf Sprach-Daten-Konvergenz

Voice over IP: Ausweg aus der TK-Misere

18.01.2002
Die Hochschule Anhalt beweist Mut zur Lücke: Die Universität hat sich von ihrer klassischen TK-Anlage getrennt und an drei Standorten das vorhandene LAN durch ein konvergentes Netz ersetzt. Jetzt telefonieren die Wissenschaftler über IP. Von Horst Bialas*

Telefonieren über das Internet Protocol (IP) wird zusehends populärer. Unter dem Namen "HAIphone" realisiert die Hochschule Anhalt derzeit ein Redesign ihres kompletten Netzwerks mit dem Ziel, künftig Voice over IP (VoIP) bei der Sprachübertragung nutzen zu können. Gemeinsam mit der Deutschen Telekom AG, der Deteline, dem Staatshochbauamt und Cisco Systems verwirklicht die Hochschule seit April 2001 am Campus Bernburg, Dessau und Köthen eine neue Netzstruktur auf Basis von Ciscos Avvid-Modell (Architecture for Voice, Video and Integrated Data).

Neubeginn notwendigZum Neuanfang sah sich die Hochschule Anhalt gezwungen, weil ihre TK-Anlagen nicht mehr erweiterbar waren und die Universität mit dem ständig wachsenden Bedarf nicht mehr Schritt halten konnte. Außerdem liefen die Miet- und Serviceverträge für drei große TK-Anlagen im letzten Jahr aus, und zwei Neubauten in Dessau hätten die Anschaffung neuer TK-Systeme erfordert.

Ähnlich inhomogen ist die Situation in den LANs der Hochschule. Derzeit arbeiten in den 35 Gebäuden des Instituts Komponenten von Cisco und Cabletron verschiedenster Generationen. Die Computer der Mitarbeiter sind entweder über Hubs oder Switches ans Ethernet-Netz angeschlossen. Für die Zukunft wünscht sich die Hochschule Anhalt eine komplett geswitchte Umgebung.

Die Verbindung zwischen Bernburg, Dessau und Köthen erfolgt über 34- Mbit/s-Richtfunkstrecken, die Standorte selbst verfügen jeweils über einen FDDI-Ring, der mit maximal 100 Mbit/s Transferleistung den gewachsenen Anforderungen in puncto Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit nicht mehr gewachsen ist. Für die Hochschule Anhalt waren die Ziele für das neue Netz somit klar: Die getrennten Sprach- und Datennetze sollten in jedem Standort komplett abgebaut und in Bernburg, Dessau und Köthen jeweils durch eine moderne Infrastruktur ersetzt werden, die den gemeinsamen Transport von Sprache, Video und Daten zulässt. Außerdem will die Hochschule sicherstellen, dass neue Entwicklungen in den Bereichen Hard- und Software in Zukunft ohne ein weiteres Redesign in das Netz integriert werden können.

Für den Projektpartner Cisco Systems entschied sich die Hochschule Anhalt nach einer öffentlichen Ausschreibung, wobei in diesem Fall nicht der kostengünstigste Anbieter das Rennen machte, sondern ein Hersteller, "der langjährige Erfahrung im Routing- und Switching-Bereich" hat und mit Avvid zudem eine eigene Multiservice-Strategie vorweist, so die Universität.

Dienstequalität gefragtUm Laufzeitschwankungen zu verhindern und einen reibungslosen Datenverkehr zu ermöglichen, unterstützt Cisco in seiner Software für Voice over IP verschiedene Mechanismen zur Bereitstellung von Dienstequalitäten (Quality of Service = QoS). Damit kann man den Netzverkehr klassifizieren oder queuen. Klassifizieren heißt, dass dem Switch mitgeteilt wird, welche Priorität ein Frame hat, den er weiterleiten soll. Dafür gibt es im 802.1q-Header ein Class-of-Service-Feld mit drei Bits. Dieses Feld ist als Standard 802.1p durch das Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) festgelegt.

Mittlerweile gibt es VoIP-Komponenten auf dem Markt, die in der Lage sind, die Anforderungen an hohe Sprachqualität zu erfüllen. Dazu zählt auch das IP-Phone "7960" von Cisco, das die Hochschule Anhalt unter anderem in ihrem Netzwerk verwendet.

VoIP funktioniert nur dann tadellos, wenn das Netzwerk "geswitcht", also jedes Endgerät an einem eigenen 100 Mbit/s schnellen Switchport angeschlossen ist. Die Switches sorgen dafür, dass es keine Datenkollisionen gibt und Pakete nicht noch einmal gesendet werden müssen oder gar verloren gehen. Kollisionen gibt es immer dann, wenn zwei oder mehr Stationen zum Beispiel über einen Hub an das Ethernet angeschlossen sind und gleichzeitig senden. Auf diese Weise kann es zu einer Reduzierung der Bandbreite um bis zu 50 Prozent kommen. Switches lösen dieses Problem, denn sie stellen Daten nur den Geräten zu, für die sie auch wirklich bestimmt sind.

Das Netzwerkdesign der Hochschule orientiert sich an den Empfehlungen von Cisco Systems zur Avvid-Konzeption und einem modernen "Multilayer-Netzwerk", in dem alle zentralen Netzwerkkomponenten redundant ausgelegt sind. In jedem der drei Netzwerke gibt es einen Access-, einen Distribution- und einen Backbone-Layer, in denen die entsprechenden Netzwerkkomponenten stehen. Verbunden werden die drei Backbone-Layer nach wie vor über Richtfunk.

In jedem Campus der Universität stehen im Backbone zwei "Catalyst 6509", die jeweils mit einer Multilayer Switch Feature Card (MSFC) bestückt sind und dadurch Layer 2 und Layer 3 unterstützen. Diese Maschinen verfügen zusätzlich über ein E1-Interface und arbeiten damit auch als Gateways zum öffentlichen Telefonnetz. Ein spezielles Board in den Backbone-Switches stellt sicher, dass auch analoge Faxgeräte oder Telefone nach wie vor benutzt werden können. Insgesamt 250 solcher a/b-Ports benötigte die Hochschule.

Kapazität für die ZukunftIm Distributionsbereich eines Campus arbeitet das Netzwerk mit "Catalyst 3524 PWR". Jedes Gebäude auf einem Campus hat dafür zwei Switches zur Verfügung, die es mit dem Backbone verbindet. Jeder Catalyst 3524 PWR verfügt über zwei Gigabit-Uplinks, die ihn mit beiden Backboneswitches verbinden. Die 3524 PWR des Konzentrationsbereiches sind zudem an Catalyst 3524 und 3548 angeschlossen, die im Access-Bereich stehen und die Endgeräte (IP-Telefone und PCs) mit dem Netzwerk verbinden.

Insgesamt will die Hochschule an allen drei Standorten zirka 1500 IP-Telefone installieren. Da das Netzwerk der Hochschule über insgesamt rund 3500 Switchports verfügt, sind auch für einen künftigen Ausbau noch genügend Kapazitäten vorhanden. Bei den installierten IP-Telefonen handelt es sich um die Cisco-Modelle "7960" und "7910", die direkt an den Access-Switch angeschlossen werden. Sie werden über das LAN mit Strom versorgt. Jedes Telefon verfügt über ein Interface, an das ein PC angeschlossen werden kann. Dadurch wird die Verkabelung einfacher, übersichtlicher und billiger. Die Endgeräte greifen auf den oder die verschiedenen Applikations-Server innerhalb des Avvid-Verbundes zu und sind so in der Lage, zusätzliche Dienste zu nutzen. Momentan werden jedoch außer der reinen Sprachübertragung keine zusätzlichen Applikationen genutzt. Die IP-Adresse bekommt das IP-Phone über Dynamic Host Configuration Protocol (DHCP) vom Call-Manager, es besteht aber auch die Möglichkeit, feste Adressen zu konfigurieren.

Damit die Verbindung mit einem anderen Teilnehmer klappt, wird über ein Signalisierungsprotokoll und ein "Call Invite" ein logischer Kanal zwischen den Clients aufgebaut. Die Standardprotokolle hierfür sind H.323 oder das Session Initiation Protocol (SIP). Allerdings haben die Hersteller von Voice-over-IP-Komponenten für die Signalisierung eigene proprietäre Protokolle entwickelt. Ciscos Signalisierungsprotokoll heißt "Skinny" und ist ein "Subset" von H.323. Cisco unterstützt auch H.323 und SIP, dies muss aber dann auf dem Call- Manager konfiguriert werden.

Call-Manager ersetzt PBXDas Herz eines Avvid-Netzwerkes ist der "Cisco Call Manager". Die Hochschule Anhalt nutzt auf jedem Campus einen "Media Convergence Server (MCS) 7835-1000", der in der Lage ist, 2500 User zu verwalten. Im Grunde handelt es sich bei dem MCS um einen leistungstarken Server mit bis zu vier Festplatten, die über ein Raid-Array-System verfügen und im laufenden Betrieb ausgetauscht werden können. Statt des MCS könnte man auch einen normalen NT-Server nehmen, allerdings übernimmt Cisco dann keine Garantie, wenn das VoIP-Netz mal nicht funktioniert. Auf dem Call-Manager wird die gleichnamige Applikation installiert.

Die Hochschule nutzt mit der Version 3.1 die neueste Ausgabe der Software. Diese Applikation organisiert die VoIP-Verbindungen und ist praktisch die Telefonvermittlungsanlage. Über sie kann ein Administrator nun das gesamte Telefonnetz zentral verwalten und muss sich nicht mehr mit verschiedenen proprietären TK-Anlagen herumschlagen.

Der praktische Betrieb muss nun zeigen, ob das Design gelungen ist und die Voice-over-IP-Lösung der Hochschule Anhalt reibungslos läuft. Für die Universität bedeutet das Projekt eine einmalige Gelegenheit, die neue Technik einzusetzen, weil sie aufgrund der schwierigen TK-Ausgangssituation neu anfangen musste. (ave)

*Horst Bialas ist freier Journalist in Düsseldorf.

Abb: Standortlösung

Innerhalb des konvergenten Netzes der Hochschule Anhalt sind alle zentralen Komponenten redundant vorhanden, um die Verfügbarkeit sicherzustellen. Quelle: Bialos