Vierte "telematica" in Stuttgart im Zeichen der "Neuorientierung" der Bundespost:ISDN an der Schwelle zur Serieneinführung

24.06.1988

Mit wieviel, respektive wie wenig Wettbewerb, erzielen Post und Industrie die kritischen Massen, die sie brauchen, um einerseits ihre Netze- künftig ja auch private "Value Added Networks and Services"- auslasten zu können, andererseits um große Stückzahlen von Endgeräten produzieren und absetzen zu können? Auch in diesem Jahr bewegten sich die telematica-Themen im wesentlichen immer noch um diese Fragen. Die "Antworten" der Redner entbehrten der Neuheit und der Originalität; auch im Hinblick auf die Schnittstellendiskussion (S(0) und/oder U(p0)) bei den künftigen ISDN-K-Anlagen blieben sie unverbindlich. Zusätzlich wurde in Stuttgart die Überbesetzung des Kongreßmarktes in Sachen Telekommunikation deutlich. Kristin Mierzowski hat einige Vorträge für die CW besucht und berichtet.

Als "inhaltlichen Wohlklang" wertete Commerzbank-Vorstandsmitglied Jürgen Terrahe den Festvortrag "Die Deutsche Bundespost zwischen Monopol und Wettbewerb", den Bernhard Zurhorst in Vertretung des Bundespostministers zur Eröffung des Kongresses hielt. "Hätten wir dies früher gehört, wäre manche Diskussion überflüssig gewesen" In der Tat: Noch nie hatte man von der Post 90 oft das Wort "Wettbewerb vernommen, selten hatte ein Mitglied des Postministeriums sich so freimütig zu Fragen und Neugestaltung der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen in den Telekommärkten geäußert.

Rund 80 Prozent ihres Umsatzes erwirtschaftet die Post heute in ihren Monopolbereichen, führte Zurhorst aus. Aufgegliedert ergebe sich jedoch ein deutlich anderes Bild: Im Fernmeldebereich werden nur etwa 9 Prozent des Umsatzes im Wettbewerb erzielt, bei den Postendiensten schon 30 Prozent und bei den Postbankdiensten sogar annähernd 90 Prozent. Der Wettbewerb sei für die Post also nicht grundsätzlich neu. Mit den künftigen Rahmenbedingungen soll in rund 30 Prozent des Telekommunikationsmarktes Wettbewerb herrschen. Dieser Anteil könne sich bis auf 50 Prozent steigern.

Daß die Deutsche Bundespost am Netz- und Sprachmonopol festgehalten hat, sieht Zurhorst nicht als Beeinträchtigung des Wettbewerbs, da hier keine großen Innovationen und kein übermäßiges Wachstum zu erwarten sei. Bei den schnell wachsenden IuK-Märkten mit Zuwachsraten von 20 Prozent und mehr sei der Marktanteil der DBP jedoch gering und spreche nicht für gute Zukunftsaussichten der Post. Ausdrücklich an die Adresse der Postgewerkschaft: Trete hier durch aktives Engagement in neuen Märkten und freien Wettbewerb keine Trendwende ein werde sich das in den Beschaftigungsmöglichkeiten der Post niederschlagen.

Wettbewerb könnte die Preise purzeln lassen

In Vergleich mit anderen großen Industrienationen habe sich die DBP mit dem weiterbestehenden terrestrischen Netzmonopol und dem Monopol am Telefondienst bewußt nur vorsichtig für den Wettbewerb geöffnet. Der dynamischste und innovativste Teil der Telekommunikation sei jedoch für den Wettbewerb geöffnet: Mehrwertdienste, Endgeräte sowie Mobil- und Satellitenkommunikation. Private Diensteanbieter fänden sogar die liberalsten Bedingungen im weltweiten Vergleich vor.

Zurhorst plädierte für eine zügige Verabschiedung der Postreform. Andere Länder, welche die Liberalisierung schon früher vollzogen haben, hätten einen ständig \ wachsenden Wettbewerbsvorsprung. Gerade weil die Post mit ihrer vorsichtigen Öffnung nicht so weit gegangen sei, bleibe, so Zurhorst, kein Raum mehr für Abstriche am neuen Kurs. Der Erfolg der Reform hänge aber auch davon ab, wie die Liberalisierung durch neue Angebote genutzt wird. Wir seien zwar Weltmeister im Export, aber die Zukunft spiele sich auf Dienstleistungsmärkten ab, wo wir heute noch "unterbelichtet" seien.

In der anschließenden Podiumsdiskussion unter Leitung von Professor Eberhard Witte kamen Vertreter der Anwender, der Hersteller und der Universitäten zu Wort. Für Terrahe geht die Postreform noch nicht weit genug. Gerade im Bereich des Amtsbaus ließen sich durch den Wettbewerb Verbilligungen bis zur Hälfte erreichen. Derzeit könnten viele Dienste einfach nicht preiswert genug angeboten werden. Die zu teuren und auch noch verzerrten Telefontarife prangerte Terrahe besonders an.

Zurhorst stimmte ihm zu, doch werde sich das Verhältnis 1 zu 40 (Ortsgespräch mit billigstem Tarif zu einem Gespräch größter Entfernung mit Tagestarif) durch die Tarifreform auf 1 zu 25 verbessern.

Mit Spannung wurden die Ausführungen von Eli Noam erwartet, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Columbia University und gleichzeitig Mitglied der Public Utility Commission des Staates New York. Frage von Witte: Hat der Wettbewerb in den USA die gewünschte Belebung gebracht?

Noam, der nur "good news" aufzählen wollte, da die "bad news" ohnehin schneller über den Atlantik kämen, räumte vor allem irrige Vorstellungen, die nach der Entflechtung von AT&T 1983 aufgekommen seien, aus. So sei beispielsweise die Telefondichte nicht wie befürchtet gesunken, sondern sogar gewachsen. Die Preise gingen zwar in die Höhe, real sei aber die Telefonrechnung nur unwesentlich höher geworden. Dies erklärt sich daraus, daß die Gebühren für Ferngespräche um zirka 45 Prozent gefallen, die für Ortsgespräche um rund 50 Prozent gestiegen sind.

Auch eine objektive Verschlechterung der Qualität sei nicht zu beobachten. Der Marktanteil von AT&T sei seit 1984 um 2 bis 3 Prozent jährlich zurückgegangen. Dagegen ist die Zahl der Anbieter von 42 im Jahr 1983 auf 451 im vergangenen Jahr gestiegen.

Den eigentlichen ISDN-Teil eröffnete SEL-Vorstandsmitglied Gerhard Zeidler mit einem Beitrag zur Neuorientierung der Telekommunikation in Europa. Ein dazu notwendiger Neuorientierungsprozeß umfasse Marktstrategie und Politikbereich. So müsse die Marktstrategie gewachsene nationale Infrastrukturen gegenüber einheitlichen Infrastrukturen in der EG, geänderte Konstellationen im internationalen Wettbewerb sowie die Öffnung für den Binnenmarkt 1992 berücksichtigen.

Zur Gesellschaftspolitik brachte Zeidler neue Gedanken ins Spiel, die nach seiner Meinung nötig sind, wenn die "Förderung des sozialen Dialogs und die volle Berücksichtigung der sozialen Aspekte" als die "in den Diskussionen wichtigste Frage" angegangen wird, wie es in einem Papier der EG-Kommission vom Februar 1988 heißt. Eine solche gesellschaftspolitische Neuorientierung sollte nicht als lästige Zusatzaufgabe begriffen werden. Im Wettbewerb mit dem Argument der Sozialverträglichkeit aufzutreten, könne eine große Chance sein: "Made in Germany" mit zusätzlicher "sozialer" Qualitätsbedeutung.

Peter Kahl vom Bundespostministerium plädiert dafür, ISDN sobald wie möglich mit Verkehr zu belasten und so die Investitionen zu amortisieren. Eventuell soll die geplante Tarifstruktur 90 für ISDN schon früher eingeführt werden. Gedacht ist auch daran, die Gebühren für kurze Datendialoge günstig zu gestalten und damit die Non-Voice-Kommunikation gegenüber der Sprachkommunikation zu fördern.

Standards stabilisieren sich

International hat sich ISDN mit CCITT-Standards weltweit durchgesetzt, stellt Theodor Irmer, Direktor der CCITT in Genf, fest. Die Standards stabilisieren sich, doch seien wegen des frühen Beginns der Normung Ergänzungen und Verbesserungen notwendig geworden. Nach der Lösung der technischen Probleme gehe es jetzt um den Nachweis der Wirtschaftlichkeit.

Um die Aktivität von ISDN voranzutreiben, müßten Netzbetreiber, Industrie und Anwender partnerschaftlich einen Beitrag erbringen: die Netzbetreiber beispielsweise mit kostenbezogenen Gebühren. Auch dürften ISDN-Tarife nicht diskriminatorisch sein. Wenn nicht unterschieden werde, was über das 64Kbit/s-Netz laufe, werde die Einführung von Non-Voice-Diensten begünstigt. Einengende Vorschriften- sei beispielsweise die S-Schnittstelle bei PBX-Systemen notwendig?-sollte man dem freien Markt überlassen (großer Applaus aus dem Publikum). Die Industrie müsse ebenfalls mit einer vernünftigen Preispolitik den Betreibern und Anwendern den Übergang zu ISDN erleichtern. Vom Anwender werde schließlich die Bereitschaft verlangt, sich mit ISDN auseinanderzusetzen.

In einer Frage herrscht Einigkeit: ISDN muß sich rechnen! Zu hohe Preise und Tarife können hoffnungsvolle neue Dienste in der Einführungsphase erheblich behindern. Irmer: "ISDN muß gerade in der Einführungsphase billiger werden, und zwar weltweit."