Auch ohne Pagés Rückzug hat die SAG Probleme genug

Vieles hängt davon ab, ob Schnell die Richtung beibehält

11.12.1992

Mit einem Schildbürgerstreich hat sich das bislang umsatzstärkste deutsche Software-Unternehmen, die Software AG (SAG), Darmstadt, möglicherweise selbst das Jahresendgeschäft verdorben. Am Donnerstag, den 19. November, mußte Peter Pagé aufgrund einer Entscheidung des Aufsichtsrats seinen Vorstandssessel räumen, nachdem er, so seine eigene Darstellung, angekündigt hatte, er werde dem Unternehmen nur noch vier Jahre lang zur Verfügung stehen. Diesen Eklat hat die, Software AG so nötig wie einen Kropf: Die Konkurrenz durch den Erzrivalen IBM auf der einen und die Anbieter Unix-basierter Systemsoftware auf der anderen Seite sowie die zähen Kooperationsverhandlungen mit der SAP AG, Walldorf, hatten den Softwareriesen ohnedies genug Substanz gekostet. Da bedurfte es nicht der offensichtlich gewordenen Grabenkämpfe innerhalb der Vorstand, um bei den Kunden die Frage aufzuwerfen, ob sie mit ihrem Softwarelieferanten noch gut beraten seien.

Die positive Nachricht zuerst: Die Mehrzahl der SAG-Kunden hält die Änderung im Management des Unternehmens für eine relativ undramatische Angelegenheit. "Bei aller Wertschätzung für Herrn Pagé gehen wir davon aus, daß das auf Dauer keine nachteiligen Auswirkungen haben wird", äußert sich beispielsweise der Software AG liebster Referenzkunde, Georg Thaler, der als Chief Information Officer die Datenverarbeitung der Klöckner & Co. AG, Duisburg, leitet.

Den Vorstand der SAG-Benutzergruppe beschwichtigte der Firmengründer und Vorstandsvorsitzende Peter Schnell persönlich mit der Versicherung, ändern werde sich lediglich "die personelle Darstellung" der Software AG: Statt eines Ansprechpartners auf höchster Ebene stünden künftig mehrere unterhalb des Vorstands angesiedelte Spezialisten zur Verfügung. "Da muß sich jetzt eine neue Kommunikationsstruktur einspielen", kommentiert Michael Grüner, Leiter Org./DV bei der Saar Ferngas AG, Saarbrücken, und Mitglied des Benutzergruppen-Vorstands, die aktuelle Situation in Darmstadt.

Ganz leise melden sich aber auch kritische Stimmen zu Wort. So bemerkt beispielsweise ein Anwender aus dem Finanzbereich, der nicht genannt werden will: "Wenn Pagé weg ist, habe ich ein bißchen Angst um die Software AG; der Mann hatte Visionen -

auch wenn die sich nicht immer mit unseren gedeckt haben."

Die jüngsten Ereignisse gießen Wasser auf die Mühlen derjenigen, die bei der Software AG schon lange einiges im argen liegen sehen. Da wäre zum ersten die undurchsichtige Besitzstruktur: Während außerhalb des Unternehmens die Ansicht vorherrscht, die Software AG gehöre Schnell, liegen die Anteile nach SAG-Darstellung bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, von wo sie "in Kürze" an zwei Stiftungen übertragen werden sollen. Nach Ansicht von Wirtschaftsexperten ist ein solches Konstrukt sehr viel schlechter zu kontrollieren als eine normale AG oder GmbH, weshalb die Bilanzen der Software AG mit Vorsicht zu genießen seien.

Hinzu kommt, daß sich die Umsatzrendite seit vier Jahren nahe der Nullinie bewegt. Zwar wußte Pagé öffentlichkeitswirksam zu erläutern, daß die Software AG - da sie keinem Aktionär verantwortlich sei - nicht unbedingt Profit zu machen brauche (vgl. CW Nr. 22 vom 29. Mai 1992, Seite 4: "Verluste machen, das geht auch bei uns nicht"). Diese offensichtliche Mißachtung kapitalistischer Grundsätze ließe sich aber mühelos auch als billige Ausrede interpretieren.

Den Kunden scheint dies jedoch weniger Sorgen zu bereiten. So werden nach Grüners Ansicht die finanziellen Probleme der Software AG "dramatisiert". Auch die SAP habe aufgrund ihres Wachstums mit Integrationsproblemen zu kämpfen. "Beide Unternehmen sind urgesund", lautet die Einschätzung des Anwendersprechers.

Andere Anwender vertreten allerdings eine abweichende Ansicht und geben zu bedenken, daß Entscheidungen für Systemsoftware-Produkte immer auf lange Sicht angelegt seien. Vor diesem Hintergrund hätten die veröffentlichten Tatsachen und Gerüchte um die Software AG die Frage aufgeworfen, welche Sicherheit dieser Partner eigentlich noch bieten könne.

Schwerer als die Spekulationen um die wirtschaftliche Gesundheit des Unternehmens wiegen - zumindest aus Sicht der Anwender - die Vorwürfe, die Software AG habe die DV-Trends der späten 80er Jahre verschlafen. Cash-cow des Unternehmens ist - noch vor dem 4GL-Produkt Natural - unverändert das mehr als 20 Jahre alte Datenbank-Management-System Adabas: Im vergangenen Jahr erzielten die Darmstädter mit diesem Produkt über ein Drittel ihres Umsatzes.

Gegenüber jüngeren Konkurrenzprodukten wie DB2 und Oracle hat Adabas den Vorteil, nicht an starre relationale Tabellen gebunden zu sein, sondern multiple Felder und Periodengruppen, mithin eine nach sachlichen Kriterien geordnete Speicherung und

Darstellung der Informationen, zu erlauben. Neben seiner Flexibilität schätzen die Kunden das SAG-Produkt vor allem wegen der guten Performance, während das IBM-System DB2 gerade in diesem Punkt heftig kritisiert wird. Die Kehrseite der Medaille: Adabas

hat erst seit kurzem eine Schnittstelle zur Standard-Abfragesprache SQL zu bieten, die, so bemängeln Insider, nicht in den Datenank-Nukleus integriert, sondern außen aufgepfropft wurde.

So gibt es denn auch eine Reihe von Kunden, die darüber nachdenken, ob sie sich mit Adabas noch auf dem aktuellen Stand der Technik befinden und diese Frage mit einem Nein beantworten. Der spektakulärste Fall ist hier die Deutsche Bank AG in Frankfurt. In den vergangenen zwei Jahren hat der Finanzkonzern fast alle operativen Systeme in seinen Hauptfilialen von BS2000 und Adabas auf MVS und DB2 umgestellt und wurde damit - eigener Einschätzung zufolge - "über Nacht einer der größten DB2-Anwender".

Offiziell will das Unternehmen dazu keine Stellung nehmen; unter der Hand war jedoch zu erfahren, daß die Ursachen für den Datenbankwechsel in technischen Restriktionen des SAG-Produktes begründet lägen, vor allem darin, daß Adabas nicht für Multiprozessor-Maschinen ausgelegt sei. Außerdem solle die Software in diesem Bereich künftig nicht mehr mit dem "proprietären" Natural, sondern mit der standardisierten Programmiersprache Cobol entwickelt werden.

Diese Neuorientierung der Deutschen Bank sollte jedoch nicht isoliert betrachtet werden. Sie ist Teil einer umfassenderen Organisationsänderung, die auf eine Konsolidierung von bis dato 37 auf nunmehr 17 Filialrechenzentren hinausläuft. Damit verbunden ist der Versuch, den Produktwildwuchs zu beschneiden. Die Informatiker der Deutschen Bank wollten eine einheitliche Systemplattform und wählten diejenige, die ihnen am zukunftssichersten erschien.

Die vielzitierte schlechte Performance von DB2 habe sich im Test als ausreichend erwiesen. Außerdem sei das höchste Kriterium für die Deutsche Bank nicht der Durchsatz, sondern die Sicherheit des Systems. Und gerade in dieser Beziehung habe die Software AG nicht allzu gut abgeschnitten. Der Forderung nach "vernünftig automatisierten Recovery-Verfahren" sei sie nicht oder jedenfalls nicht schnell genug nachgekommen.

Bei der Banque Cantonale Vaudoise (BCV) in Lausanne bedeutete die fehlende Schnittstelle zur Information Engineering Facility (IEF) von Texas Instruments das Aus für Adabas. Ende 1986 hatte sich das Schweizer Finanzinstitut dazu durchgerungen, sein neues Bank-Informationssystem mit Hilfe einer integrierten CASE-Umgebung zu entwickeln. Das von der Software AG und dem EDV-Studio Ploenzke entwickelte "Predict CASE" steckte damals noch in den Kinderschuhen, Texas Instruments hingegen konnte bereits

ein ausgereiftes Produkt vorweisen, das dazu noch Cobol-Code generierte, während die SAG-Umgebung ausschließlich Natural-Programme hervorbrachte.

IEF war jedoch nicht Adabaskompatibel, sondern unterstützte die Mainframe-Datenbanksysteme der IBM. "Wir haben 1987 mit der Software AG Verhandlungen aufgenommen, ob ein Interface zwischen Adabas und IEF möglich wäre", berichtet Gerard Eyer, verantwortlich für Methoden, Standards und Entwicklungswerkzeuge bei dem Unternehmen Unicible, unter dessen Dach sich Anfang dieses Jahres die Informatikbereiche von fünf westschweizerischen Kantonalbanken - darunter die BCV - zusammengeschlossen haben. "Aber weder für die Software AG noch für Texas Instruments kam es in Frage, eine solche Brücke zu bauen", mußte Eyer erfahren.

In der Konsequenz heißt die Datenbankplattform der Unicible heute DB2. "Unsere Pläne sehen vor, daß bis Ende 1994 kein Software-AG-Produkt mehr im Einsatz sein wird", konstatiert Eyer. Alle Adabas-Anwendungen der BCV werden derzeit auf DB2 umgestellt - mit Hilfe eines Software-Tools, das Mitarbeiter des indischen Unternehmens Tata Consultancy Services eigens zu diesem Zweck entwickelt haben.

In Deutschland wird dieses Werkzeug von der Software Associates GmbH vertrieben. Der für den süddeutschen Markt zuständige Geschäftsstellenleiter Benjamin Poensgen hält Adabas für "eines der effektivsten und leistungsstärksten Mainframe-Datenbanksysteme", hofft aber aufgrund eigener Recherchen, mit dem Migrations-Tool auf eine rege Nachfrage zu stoßen. Eine ganze Reihe von Unternehmen hätten neben Adabas auch DB2 im Haus.

Das gilt auch für die Westdeutsche Landesbank in Düsseldorf, wo voraussichtlich im Laufe des kommenden Jahres die ersten auf dem IBM-Produkt basierenden Anwendungen in Produktion genommen werden. Anders als die Deutsche Bank oder die Banque Cantonale Vaudoise will die WestLB jedoch die existierenden Adabas-Anwendungen vorerst nicht anrühren. Dazu Thomas Meinhold, Leiter der Systementwicklungs-Unterstützung: "Wir denken nicht daran, Adabas kurzfristig zugunsten von DB2 auszutauschen; wie das in fünf oder zehn Jahren aussieht, weiß ich allerdings nichtig."

Die Entscheidung, DB2 einzusetzen, sei aus zwei Gründen getroffen worden: Zum einen bilde das IBM-Produkt die Plattform für gemeinsame Entwicklungen im Rahmen von Sparkassen- oder Bankenkooperationen. Zum anderen stünden Standardapplikationen, beispielsweise für den Zahlungsverkehr oder den Wertpapierhandel, nur auf DB2 zur Verfügung. "Weil wir eine Adabas-Monokultur hatten, konnten wir manche Anwendungen nicht einsetzen", klagt Meinhold. Was er anfangs nicht habe glauben wollen, sei eingetreten: DB2 habe sich als Marktstandard durchgesetzt.

Unabhängig davon ist Meinhold mit Adabas zufrieden: "Es war nicht so, daß wir sehnlichst darauf gewartet hätten, DB2 einsetzen; unsere Motivation basierte vielmehr darauf, daß wir Möglichkeiten an uns vorbeigehen sahen, und das glaubten wir uns nicht mehr leisten zu können."

Dieses Manko hat die Software AG mit dem Projekt "Omnis" wettmachen wollen: Gemeinsam mit den Privatbanken Metzler & Sohn, Delbrück & Co. sowie Hermann Lampe KG arbeitet sie an einem bankenspezifischen Anwendungspaket auf Adabas-Grundlage, dessen erste Phase - die Entwicklung eines Basispakets für den Wertpapierhandel - so gut wie abgeschlossen ist. Allerdings liegt die Entwicklung weiterführender Applikationen derzeit auf Eis. Nach Insider-Informationen ist der vorgesehene Kostenrahmen bereits

überschritten, woraufhin die beteiligten Banken die Entwicklung nicht mehr allein tragen wollen und darauf warten, daß die Software AG weitere Partner findet.

Darüber, wie viele Kunden sich ein Beispiel an der Deutschen Bank oder der BCV nähmen, wenn sie nicht vor dem damit verbundenen Aufwand zu rückschrecken würden, lassen sich allenfalls Vermutungen anstellen. So kann denn auch laut Helmuth Gümbel, Analyst bei der Gartner Group Deutschland, keine Rede von einer massiven Adabas-Flucht sein. Wie der Marktbeobachter ausführt, gebe es dafür überdies kaum einen Grund - zumindest nicht mehr, seit das Adabas-Release 5.2 die ESA-Architekur der neuen IBM-Mainframes unterstütze.

Zudem ist nach Grüners Dafürhalten die Entscheidung, von einer Datenbankplattform auf eine andere zu migrieren, oft nicht so sehr eine Frage der Produkte, sondern der jeweiligen Entscheidungsträger. Die Neubesetzung von Management-Positionen in der DV-Abteilung ziehe bisweilen einen solchen Richtungswechsel nach sich: "Jemand, der in der IBM-Welt groß geworden ist, tendiert eher in Richtung IBM-SQL als in Richtung Adabas."

Gleichwohl räumt auch die Software AG selbst ein, daß das mittlerweile den Kinderschuhen entwachsene IBM-Datenbanksystem ihrer Kundenbasis kräftig zugesetzt habe. "Es war lange Zeit nicht sichtbar, ob uns die DB2-Geschichte umbringen würde", formuliert Günther Tolkmit, Direktor Produkt-Marketing. Als Beispiele dafür, wie gefährdet möglicherweise auch die Software AG war, verweist er auf die Mitbewerber ADR und Cullinet, die von Computer Associates geschluckt wurden. "In dieser Zeit ist der Druck auf unsere Kunden unheimlich groß gewesen."

Im Hinblick auf den Trend zu kleineren und offeneren Systemen ist ein Wechsel von Adabas auf DB2 ohnehin kaum als Fortschritt zu werten. Zukunftssicherung betrieb die Software AG hingegen mit dem Angebot an ihre Kunden, Adabas und Natural auf die Workstation-Ebene herunterzuziehen.

Aber dieses Angebot wollen beileibe nicht alle Anwender annehmen. Einige voll ihnen handeln nach der Maxime, die ein namhafter Nahrungsmittelhersteller ausgab: Wer derzeit Adabas einsetzt, soll dabei bleiben; wer ein an ein neues Datenbanksystem

denkt, soll sich mit Oracle beschäftigen. Der Grund: Oracle verfüge über eine breiter angelegte Hardwarebasis.

In vielen Fällen hat die Software AG sicherlich das Nachsehen, weil ihre Reaktion auf die Marktanforderung nach offenen Systemen allzu lange auf sich warten ließ. Einige Kunden sahen sich in der Zwischenzeit anderweitig um. "Die Software AG ist zu spät in diesen Markt gekommen und hat ihre Möglichkeiten dort nicht genutzt", bestätigt der Branchenbeobachter Gümbel.

Ein Kunde, der die Maiframe-Plattform verlasse, stelle sich automatisch die Strategiefrage. "Wer gepackt hat, der will auch verreisen", erläutert der Analyst. In diesem Zusammenhang wachse das Bewußtsein dafür, daß die heute gewählte Plattform die kommenden zehn Jahre wohl kaum überleben werde. Wer der Realität ins Auge sehe und akzeptiere, daß die Anwendungen zumeist länger leben als die Hardware, versuche deshalb, eine möglichst flexible Middleware einzusetzen. "Und das ist eine Gelegenheit, die der Oracle-Sales-Mann nicht ungenutzt läßt."

Grüner hingegen bestreitet, daß die Software AG den technologischen Trend verschlafen habe. Ihre Kunden seien überwiegend Mainframe-Anwender, die erst jetzt nach und nach auf Downsizing-Strategien umstellen wollen. Mit anderen Worten: Die Benutzer selbst seien zum überwiegenden Teil noch gar nicht soweit, entsprechende Angebote einzusetzen. "Nur wenn wir jetzt sofort auf einer offenen Plattform arbeiten wollten, müßten wir Kompromisse eingehen, aber das müßten wir auch bei IBM, DEC, HP etc.", ergänzt der Benutzergruppen-Vorstand.

Darüber hinaus führt Grüner ins Feld, daß auch die SAP erst seit Anfang des Jahres davon spreche, wie sie sich die Entwicklung von R/3 bei den Kunden vorstelle. "Deswegen sagt auch niemand, er werde künftig keine SAP-Software mehr einsetzen."