Fraktale komprimieren Bildschirminhalte

Video-Übertragungen per Telefonleitung kein Problem

08.12.1989

Die meisten kennen sie nur als mathematisches Werkzeug, das mit Hilfe eines Computers faszinierende Farb-Grafiken auf den Bildschirm zaubern kann: jene Fraktale, die auf den Mathematiker Benoit B. Mandelbrot von der Yale Universität und dessen "fraktale Mathematik" zurückgehen und die seit fast 15 Jahren Forscher rund um die Welt faszinieren. Doch wer weiß schon, daß diese neuen Konzepte nun auch vor ganz handfesten, praktischen Anwendungen stehen?

Fraktale dienen in einem neu entwickelten, sogenannten "Video-Modem" als Basis von Algorithmen, mit deren Hilfe dieses Modem die Inhalte kompletter Farb-Bildschirme so

stark komprimieren kann, daß man sie mit hoher Geschwindigkeit über ganz gewöhnliche Telefonleitungen schicken kann.

Lebensechte Übertragung von bewegten Bildern

Dabei kann ein Tempo erreicht werden, das die lebensechte Übertragung von Bewegtbildern wie daheim mit dem Fernsehgerät erlauben soll, während herkömmliche TV-Bildkomprimierungstechniken ja allenfalls ein sporadisches Auffrischen des gerade gezeigten, via Telefondraht übermittelten Bildes erlauben. Weshalb jene auch bloß ruckhafte Bewegungen zeigen können, aber keine elegantfließenden.

In ihren geometrischen Darstellungen stellen Fraktale Muster dar, die sich, iterativ immer kleiner werdend, fortlaufend selber wiederholen. Und die man sich optisch ähnlich vorstellen kann wie ein Bild, das ein Bild zeigt, das ein Bild zeigt ...

Endlose Folge einzelner Worte

Fraktale entstehen, mathematisch betrachtet, indem man beispielsweise die einfache Gleichung m = n² - 1 nimmt und im nächsten Schritt (n) durch das Resultat (m) ersetzt. Wodurch sich iterativ eine endlose Folge einzelner Werte ergibt, die sich bei entsprechender geometrischer Aufbereitung als "selbst-ähnliche" Muster darstellen lassen. Und die nicht nur bei verschiedenen Startwerten (n) jeweils eine andere Zahlenfolge und damit ein anderes Muster nach sich ziehen, sondern immer auch dann, wenn man pseudo-zufallsgesteuert noch kleine Variationen in die Zahlenfolgen einbringt. Denn diese "Störungen" lassen das resultierende Bild prompt besonders natürlich-irregulär aussehen.

Für Michael F. Barnsley, einen Mathematiker und Mit-Erfinder der neuen Technik aus dem US-Bundesstaat Georgia stellt die neue Fraktal-Transmissions-Technik nun längst schon weit mehr als etwa nur eine Spielerei dar, die bloß wieder die Bilderflut rings um uns noch weiter zu vergrößern droht; denn er sieht in seiner Technik generell einen völlig neuen Ansatz - und er glaubt, "sie werden die Art, wie Computer heute mit Grafik umgehen, radikal verändern".

Wie wichtig effiziente Methoden zur Reduzierung der großen Menge an Daten sind, die hinter einem guten Computerbild heute stecken, zeigt allein schon folgende Überlegung: der Bildschirm einer gewöhnlichen Arbeitsstation mit vielleicht 1024 mal 1024 Bildpunkten und mit der Fähigkeit, gleichzeitig mehr als 1000 Farbnuancen pro Punkt darzustellen, repräsentiert Grafik für Grafik ein Datenvolumen von 10 Millionen Bit oder gut 1,2 MB.

Und da selbst bewegte Grafik von beispielsweise nur einer Minute Dauer 1500 solcher Bildschirme erfordert, summiert sich der Speicherbedarf, wird nicht durch Komprimierung Abhilfe geschaffen, auf 1,8 Gigabyte.

Hier also setzt nun Barnsleys neue, zusammen mit einem Unternehmen entwickelte Technik an. Ein Konzept nämlich, bei dem ein beliebiges TV- oder Computer-Bild nun einfach als Sammlung mehrerer einzelner Fraktale betrachtet wird, die wiederum jedes für sich durch einfache und sehr kompakte mathematische Gleichungen beschrieben werden.

Diese Gleichungen leiten sich ihrerseits aus dem Ausgangsbild durch Anwendung einer Regel ab, die auf einem sogenannten Collage-Theorem basiert; einem Theorem wiederum, das Barnsley und seine Mitarbeiter schon 1986/87 am Georgia Institute of Technology in Atlanta entwickelt und als gültig bewiesen haben.

Bei Barnsleys Verfahren spielen affine Transformationen eine wesentliche Rolle; also sozusagen Verzerrungen einer geometrischen Struktur in dem Sinne, daß alle Punkte der Grafik nach der gleichen Vorschrift an eine andere Position gebracht werden: Etwa so, wie es bei der Dehnung eines Kreises in eine Ellipse, bei der Stauchung eines Rechtecks in ein Quadrat oder auch bei der Verzerrung eines Rechtecks in ein Parallelogramm geschieht.

Wesentliche Strukturen wiedergewinnen

Und bestimmte Bildelemente, die durch derartige Transformationen erzeugt wurden, legt Barnsley in einem weiteren Schritt wie bei einer Collage nun so übereinander, daß er am Ende aus nur wenigen, geschickt und wechselhaft Collagerekombinierten Bildelementen

alle wesentlichen Strukturen des Ursprungsbildes wiedergewinnen kann.

Weitere trickreiche Maßnahmen dienen dazu, den einzelnen Punkten der später wieder neu zu erzeugenden Bilder korrekt die richtigen Grau- oder auch Farbtöne zuzuweisen, ohne daß deshalb übermäßig viel an Daten gespeichert werden müßte: Denn auch hier werden ausgefeilte mathematische Vorschriften benutzt, um aus wenig Daten komplexe Schattierungen und Tönungen zu errechnen.

Es ist nicht weiter schwer, summarisch das Wesentliche an der neuen Kompressionstechnik zu skizzieren. Bei ihr werden künftighin nämlich keine kompletten Bilder mit ihren als Beispiel erwähnten - rund 1,2 MB Speicherbedarf mehr auf Platte oder gar im RAM vorgehalten, sondern bloß noch jene Gleichungen, die die Erzeugung der einzelnen, das Bild aufbauenden Fraktale festlegen.

Größere Flexibilität bei den Bildschirmen

Und immer dann, wenn irgendwann ein Mensch das echte Bild sehen möchte, tritt der Computer in Aktion und erzeugt es mit Hilfe eben dieser Fraktal-Gleichungen aus den gespeicherten Informationen.

Bei dieser Rekonstruktion des Bildes an Hand von Fraktal-Gleichungen gewinnt man ganz nebenbei den Vorteil, daß das Bild immer wieder anderen, völlig unterschiedlichen Bildschirm-Typen mit ihren unterschiedlich feinen Auflösungen angepaßt werden kann. Also an einem PC-Schirm mit 480 mal 200 Punkten; und dann wieder an einen der Super-Monitore für Spezialzwecke, die es auf 2000 mal 2000 Bildpunkte bringen. Und die damit übrigens noch viermal feinere Bilder erzeugen können, als selbst das kommende High-Definition-Television (HDTV).

In seiner derzeitigen Ausführung besteht das erwähnte Video-Modem aus je einer Computer-Platine zum Kodieren und Dekodieren der einzelnen Bilder; sowie, natürlich, auch

aus den entsprechenden Programmen. Und will man nun ein Bild oder auch eine Kurzfilm-Sequenz in Fraktale umsetzen, so kann man die Kodier-Platine in einen Personal-Computer einsetzen, das Ganze beispielsweise mit einem Video-Abspielgerät als Bildquelle verbinden und die gewünschten Bilder dann eines nach dem anderen auf den Kodierer übertragen.

Direkte Übertragung der Fraktal-Daten

Bei diesem Kodieren wird jedes einzelne Bild binnen zwei bis drei Sekunden in seine fraktale Darstellungsform umgewandelt, wobei die Menge der Daten je nach Bild um Faktoren zwischen 20 und etwa 60 reduziert wird. Und anschließend können die erzeugten Fraktal-Daten direkt übertragen oder aber auf einer Platte zwischengespeichert werden.

Der Dekodierer ist in der Lage, pro Sekunde 30 Farbgrafik-Bildschirme von 256 mal 256 Bildpunkten Auflösung - sowie weiteren acht Bit je Bildpunkt zur Darstellung von Farbwerten oder Grautönen - aus Fraktalen in konkret sichtbare Bilder zurückzuverwandeln und jene auf einem Grafik-Bildschirm auszugeben. Und damit ist er schnell genug, sogar bewegte Bilder, die vielleicht von einem fernen Speicher her zu ihm übermittelt werden, ganz wie einen gewöhnlichen Fernsehfilm abzuspielen.

Hochauflösende Grafiken zaubern

Ist am Ziel, also beim Dekodierer, überdies gar ein besonders hochauflösender Bildschirm installiert, so kann das System die dazu passenden, hochauflösenden Grafiken zaubern. Denn es macht sich ja letztlich die Tatsache zueigen, daß beispielsweise die Feinstruktur eines handgroßen Stücks Felswand praktisch die gleiche ist, wie die Grobstruktur der ganzen Watzmann-Ostwand. So daß es genügt, nur einmal knapp die Strukturinformation "Fels" abzuspeichern und jene dann, je nach Bildschirmauflösung, in beliebig feiner Wiederholung immer neu zu reproduzieren.

*Egon Schmidt ist freier Journalist in München