Erster kommerzieller Amdahl 470V6-Anwender berichtet über zwei Monate Erfahrung

Versicherungs-Riese scheut nicht das Risiko

27.02.1976

SPRINGFIELD - Der erste Anwenderbericht eines kommerziellen Kunden über "zwei Monate Erfahrungen mit dem Amdahl-Großrechner 470V/6" machte in der US-Fachpresse Schlagzeilen.

"Nach genauer Abwägung aller Vorteile und Risiken hat sich die Massachusetts Mutual Life Insurance Co. (MMLI), Springfield, dafür entschieden, der erste kommerzielle Anwender eines Amdahl 470V/6-Computers zu werden", berichtet etwa die Computerworld auf Seite 1 am 16. Februar 1976.

Bevor Amdahl "kam, sah und siegte", war eine IBM 370/168 die Wunschmaschine der US-Versicherungsgesellschaft, die zum Kreis der "500 Größten" (Privatunternehmen) gehört.

"Wir werden durch diese Entscheidung über die nächsten fünf Jahre hinweg rund fünf Millionen Dollar einsparen", erklärte David J. Blackwell, MMLI-Vizepräsident und Leiter der "Information Services Division". Ferner könne künftig neben dem Amdahl-Jumbo ein leistungsfähigerer Back-up-Rechner eingesetzt (nämlich eine 370/158) werden als dies bei einer 370/168 möglich sei.

Die "Mass-Mutual" - eine der größten Versicherungsgesellschaften der Welt - ist der fünfte 470V/6-Benutzer: Das Großsystem des IBM-Meisterschülers Gene Amdahl steht bereits bei der NASA, der University of Michigan, dem Texas A & M-College und dem Time-sharing Bureau CUG - alles Institutionen, die nicht gerade typisch für das Gros der Anwender sind. Vielleicht erklärt das, warum die Pro-Amdahl-Entscheidung der MMLI eine so große Publicity erlangt hat.

Viereinhalbmal schneller als eine 370/158

Erste Veröffentlichungen der University of Michigan über das Leistungsverhalten der 470 im "Live-Betrieb" waren es übrigens, die die Springfielder Versicherer davon überzeugten, "daß die 470 die bessere Hardware als IBM's 370/168 ist" (Blackwell). "In einer Skala, in der die Verarbeitungsgeschwindigkeit einer 370/158-CPU den Basisfaktor 1 hat würde eine 168 mit dem Faktor 3,61 eingestuft und müßte die 470 gar mit der "Note" 4,5 bis 5,4 bewertet werden", behauptet Blackwell.

Die 470V/6 ist bei MMLI seit dem 27. Dezember 1975 installiert - was Kenneth D. Cardwell, zweiter MMLI-Vizepräsident, von der Übergabe berichtet, hört sich an wie ein Weihnachtsmärchen: Die Anlage wurde am Sonnabend nach Christmas installiert und war bereits am darauffolgenden Montagmorgen betriebsbereit. Cardwell: "Wir waren erstaunt, wie glatt alles ging - Amdahl hat zweifellos gute Leute." Bereits in der ersten Woche sei eine Systemverfügbarkeit von 93 Prozent erreicht worden, die jetzt bei durchschnittlich 98 Prozent liege. Das System läuft unter ganz normalem IBM-MVT Release 21. 8. Die Anlage ist mit 5 Megabytes Hauptspeicher und 16 schnellen Kanälen ausgestattet. Der Kaufpreis betrug 5 Millionen Dollar. Zum Vergleich: Eine 370/168 mit ebenfalls 5 Megabytes, jedoch nur 11 Kanälen hätte MMLI 6,8 Millionen Dollar gekostet.

Vorteile überwiegen

Die Finanzbosse der Mutual Life Insurance Co. brachten, als die 470 im Sommer letzten Jahres bei den Data Processing-Leuten der MMLI erstmals ins "Gerede kam" den Einwand, "daß es noch nicht ausgemacht ist, ob die Amdahl Corp. das Jahr 1980 überleben wird" und es deshalb ein Risiko sei, eine Maschine dieses Herstellers zu kaufen. Und obwohl die Amdahl Corp. finanziell gesichert erscheint, seit sich der japanische Fujitso-Konzern mehrheitlich beteiligt hat, war dieses Argument bis zuletzt nicht vom Tisch. Cardwell: "Wir haben jedoch letztendlich die Vorteile beim Preis/Leistungsverhältnis höher bewertet als gewisse Nachteile in puncto Sicherheit und Image."

Als im August 1975 der Kaufvertrag mit Amdahl unterzeichnet wurde, war bei der MMLI ein ganz respektables IBM-Equipment installiert: Als Hauptrechner eine 5 Megabyte-370/153, eine zweite 158 mit 3 Megabytes für reinen Batchbetrieb und schließlich zwei 360/65, eine davon als Kommunikations-Prozessor im landesweiten MMLI-Netz, an das alle Agenturen der Gesellschaft online angeschlossen sind, die zweite 360 für Stapelfernverarbeitungsaufgaben.

Der Hauptrechner war zu diesem Zeitpunkt bereits zu 90 Prozent ausgelastet. Als Alternativen kamen in Frage: Erstens, ein 370/158-Multiprozessorsystem, zweitens eine "Distributed Systems-Lösung" mit Vorschaltrechnern. Schließlich hätte MMLI auch zwei 370/165-Systeme kaufen können. Aus all dem wurde nichts. Im Gegenteil: Nur eine 370/158 blieb als Backup-Rechner stehen, die anderen IBM-Anlagen wurden "gecancelled".