Verplant und verloren

Verplant und verloren Zeitplaner für den PC: Eine feine Sache - solange man sie nicht benutzt

26.03.1999
Von Walter Schmidt* Erfindungen wie der Rasierpinsel machen das Leben einfacher. Elektronische Terminkalender für den PC liefern hingegen die technische Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat. Entsprechend widerwillig werden sie genutzt.

Die Sekretärin meines Chefs kann davon ein Lied singen. Seit Monaten führt sie einen wackeren Kampf gegen eine Meute hartnäckiger MS-Schedule-Muffel in unserer Abteilung. Zu Besprechungen trommelt sie alle per Computer zusammen und schafft es dank des neuen Programms recht schnell, zwei Stündchen zu finden, die anscheinend noch niemand mit anderen Verpflichtungen zugepflastert hat.

Terminplaner werden wenig gepflegt

Dumm ist nur, daß man mit dem elektronischen Zeitplaner im Termindschungel der Belegschaft ähnlich gut durchblickt wie mit einem Fernglas in einer dunstigen Waschküche. Die meisten Mitarbeiter aktualisieren ihren Zeitplan im Rechner - gelinde gesagt - sehr verhalten. Am Ende muß die Sekretärin die Termine dann doch so hausbacken makeln wie anno dunnemals - per Telefon.

Regelmäßig drohende Sitzungen kündigt sie ein Jahr im voraus elektronisch an. Und man ist, auch ohne Druck von ihr, gehalten, sämtliche Termine zu bestätigen. "Ja, ich nehme teil!" heißt die vom Programm vorgesehene Standardantwort dafür. Nicht nur mir geht die Entschiedenheit dieser Aussage immerhin Monate vor dem betreffenden Termin entschieden zu weit.

Doch um das System nicht zu sabotieren und aus Nettigkeit gegenüber der Dame im Sekretariat sagen alle ihre Teilnahme an Treffen zu, für die schon vorab einiges als sicher gilt: Ein gutes Fünftel der Sitzungen wird ohnehin verschoben, weil entweder der Chef oder zu viele Mitarbeiter Wichtigeres zu tun haben. Ein weiteres Fünftel wird mangels Ersatzterminen gleich ganz gestrichen. Und vom Rest fallen einige Termine Krankheiten zum Opfer.

Aber hübsch sind PC-Zeitplaner schon. Darüber hinaus bieten sie allerlei Zierrat, den kaum ein Mensch außer dem Erfinder des Programms überblickt. Zum Beispiel kann man sich fünf oder zehn Minuten vor jedem Termin von einem "Mahner", nun ja, ermahnen lassen, die Sache nicht zu verschwitzen - vorausgesetzt freilich, man hockt artig vor dem Bildschirm und macht nicht gerade Mittagspause oder lümmelt in einer von jährlich 127 Besprechungen herum, die gänzlich ungeplant einberufen wurden.

Man kann mit dem Programm auch Kontakte professionell pflegen, indem man die Ergebnisse des letzten Gesprächs in eine Extradatei packt und sie an den Hinweis auf das nächste Telefonat mit dem Geschäftspartner koppelt. Solange man nur einen Kontakt pro Tag hat, mag das auch angehen. Bei mehr Kontakten raubt einem deren Pflege am PC die Zeit, jemals wieder neue Leute kennenzulernen.

Der amerikanische Management-Berater Peter Sassone hat schon 1992 in einer Untersuchung über Ineffizenz im Büro durch wuchernden PC-Einsatz festgestellt, daß viele hochbezahlte Fachkräfte einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit auf niedere Bürotätigkeiten am Computer verwenden. Sie täten dabei Dinge, wofür sie weder ausgebildet waren noch bezahlt wurden. Sassone muß damit auch elektronische Zeitplaner gemeint haben.

Für deren Anwendbarkeit wäre schon viel gewonnen, wenn ein Büro-PC in die Innentasche einer Jacke paßte. Bestellt mich mein Zahnarzt zur Nachkontrolle für nächsten Dienstag um 17 Uhr erneut, schreibe ich mir das auf einen kleinen Zettel und stecke ihn in die Brusttasche meines Hemdes. Manchmal finde ich die Notiz vor dem nächsten Waschtag auch wieder. Doch ganz gleich, wie und wo man eine Verabredung memoriert - wenn ein PC-Terminkalender funktionieren soll, muß jeder Termin dort eingetragen werden. Sonst stürzt sich die nächste Besprechungsanfrage der Chefsekretärin gierig auf eine Terminlücke, die gar nicht vorhanden ist. Und die Ärmste muß schon wieder telefonieren.

Neulich rief mich ein Kollege an und bat um die Verschiebung der für den nächsten Tag um zehn Uhr geplanten Sitzung um eine Stunde. Bekanntlich passiert so etwas meist dann, wenn der Rechner schon aus- oder noch nicht eingeschaltet ist.

Gottlob führe ich zusätzlich einen Tischkalender, in dem sich selbst bei Stromausfall Termine lässig hin- und herschieben lassen und der zudem tragbar ist, weshalb er mich in jede Sitzung begleiten kann. Jedenfalls umkringelte ich die Eintragung kurzerhand und verschob den Termin mit einem kleinen Doppelpfeil um die gewünschte Stunde. Geschätzter Zeitbedarf: fünf Sekunden. Das am Rechner zu tun hätte mich - und meinen Arbeitgeber - plus Einloggen, Terminändern und Ausloggen geschlagene drei Minuten gekostet - kein rationeller Personaleinsatz.

Damit kein Mißverständnis aufkommt: Schedule ist ein wundervolles Programm. Und die Konkurrenzprodukte, die sich meiner Erfahrung entziehen, haben sicher auch Überzeugendes zu bieten. Sie scheitern eben nur am richtigen Leben.

Wenn zum Beispiel ein Kollege einen brandneuen Friseurtermin für wichtiger hält als eine geplante Projektbesprechung mit mir, wird er seine Anfrage ("Kannst du eigentlich auch morgen?") kaum auf elektronischem Wege stellen. Er wird vorbeikommen und ein jammervolles Gesicht machen, das in Schedule nicht vorgesehen, aber zum Steinerweichen ist. Also streiche ich den Termin auf dem Tischkalender durch, und nur die hartgesottensten Computerfreaks haben dann auch noch den Nerv, ihren PC-Zeitplan auf den neuesten Stand zu bringen.

Wo Ordnung über kreatives Chaos herrscht

Manche mögen Schedule und Konsorten trotz alledem lieben, weil sie strenge Ordnung partout über kreatives Chaos stellen. Die Bildschirmseiten eines PC-Zeitplans sehen aus wie ein blitzblanker OP vor der Operation; wie eine Sinfonie, die bereits im ersten Anlauf vollendet gelang.

Hier zeugt kein farbiges Hervorheben eines Termins von der Fähigkeit des Menschen zur Hoffnung ("11 Uhr: Treff mit Chef wegen Gehaltserhöhung"); kein trotziges Durchstreichen beweist Härte im Nehmen ("19.30 Uhr: Essen mit Monika !!!"). Chaotische Wochen hinterlassen im PC-Plan auch kein Abbild von wildverwegenem Termingeschiebe, das uns erinnert an jene erste Bleistiftzeichnung im Kindergarten mit dem Titel "Ausmalen einer Birne".

Papierkalender hingegen sprechen Bände; hier wird der Mensch noch sichtbar. Und - jetzt endlich muß es heraus - sie sind irre einfach zu bedienen.

*Walter Schmidt ist Pressesprecher einess bundesweit aktiven Verbands in Bonn.