Was die roten Streifen bei der Zahnpasta, ist der Mikrokanal beim PC:

US-Zeitung enthüllt IBMs Marketing-Tricks

01.04.1988

MÜNCHEN (CW) - Wieder einmal ist IBMs Mikrokanal ins Gerede gekommen. Das Wall Street Journal enthüllte, was das von IBM propagierte wichtigste Feature der PS/2-Linie in Wirklichkeit ist: Ein Marketing-Trick mit dem Ziel, einen höheren Preis zu rechtfertigen.

In der Ausgabe vom 26. März analysiert die Zeitung den derzeitigen Markt für Arbeitsplatzsysteme. Das Fazit: Personal Computer sind zu einem Gebrauchsgegenstand geworden, zu einem Massenartikel. PCs werden demzufolge auf ähnliche Weise vermarktet wie Zahnpasta oder Waschmittel. Und was für Signal-Zahncreme die roten Streifen oder die "Jod-S11-Körnchen" für Vogelfutter einer bestimmten Marke, das ist für den Personal Computer eben der Mikrokanal.

So erstaunt es nicht weiter, wenn viele PS/2-Anwender gar nicht wissen, welcher Vorteile sie mit dem Erwerb einer Mikrokanalmaschine habhaft geworden sind. Das Wall Street zitiert als Beispiel Rick Pemberton, einen leitenden DV-Manager der Fluggesellschaft United Airlines, der bei der Anschaffung einer großen Anzahl von Mikrokanalmaschinen beteiligt war: "Wir sehen einen definitiven Vorteil in der neuen Architektur", erklärt der Experte. Gegenfrage: "Welchen Vorteil?". Pemberton nach einigem Zögern: "lch weiß nicht. Ich muß das nachprüfen".

Auch Edward Belove, Vice-President für Forschung und Entwicklung bei der Lotus Development Corp., sieht im Mikrokanal eher einen Marketing-Gag. Er kommentiert den Umstand, daß IBM zwar gerichtliche Schritte für Nachahmer des Mikrokanals androht, bisher aber noch immer nicht bekanntgegeben hat, was daran eigentlich patentrechtlich geschützt ist, mit den Worten: "Es ist eine Menge FUD im Spiel". FUD ist der Kürzel für "Fear, Uncertainty and Doubt" und beschreibt aus der Sicht von Nicht-lBM-Kunden die seit langen Jahren erprobte Marketingstrategie des Computerriesen. Bezüglich der PS/2-Maschinen kommt Belove zu dem Resümee "Der Kaiser trägt nur eine Badehose".

Zwar habe IBM bis Ende Januar anderthalb Millionen PS/2-Systeme verkauft, erläutert das US-Journal. Analysen des PC-Sektors deuteten jedoch darauf hin, daß ein Großteil davon in den Regalen des Einzelhandels dem Verkauf entgegenschlummere. In dieses Bild passe auch der Preisnachlaß von bis zu 45 Prozent, den einige Händler auf die Maschinen gewährten. Der Clone-Markt sei so vital wie nie zuvor, und IBM verliere nach wie vor Marktanteile.

Natürlich stemmt Big Blue sich mit allen verfügbaren Kräften gegen solche enthüllenden Analysen. "Es handelt sich hier um ein technikorientiertes Investitionsgeschäft", entgegnete William Lowe, Chef von IBMs PC-Abteilung, auf den Vergleich von Mikrokanal und Waschmittelwerbung. Ein anderer - namentlich nicht genannter IBM-Manager bringt die Sache jedoch auf den Punkt: "In einer Welt, wo alles zum Massengut wird, will man als Anbieter exklusive Merkmale besitzen". erklärte er dem Wall Street Journal. Und das wichtigste: "Niemand hier will einen Preiskrieg".