Von einem historischen Tiefstkurs zum nächsten

US-Dollar: Verfall der Leitwährung geht weiter

02.11.1990

Arnd Wolpers ist Geschäftsführer der Vermögensgesellschaft GmbH in München.

Die US-Valuta, wichtige Bezugsgröße im Hardwarebereich, rutscht von einem historischem Fischen Tiefstkurs zum nächsten. Unter fundamentalem Blickwinkel bleibt diese Entwicklung für viele Marktbeobachter unverständliche gibt es doch einen aus dem Kaufkraftvergleich resultierenden "richtigen" :Wechselkurs, der sich aus dem Preisvergleich identischer Waren und Dienstleistungen in zwei Währungsräumen errechnen läßt.

So wird zum Beispiel ein BMW 318i in den USA aktuell zu einem Listenpreis von weniger als 20 000 Dollar angeboten. Der deutsche Listenpreis des vergleichbaren Modells beläuft sich auf 34000 Mark. Die reale Güterwelt des BMW 318i würde einen Dollarkurs von 1,65 Mark rechtfertigen. Die unter dem Gesichtspunkt des Kaufkraftvergleichs anhand eines Warenkorbes ermittelte rechnerisch "richtige" Dollarparität von rund 1,75 Mark ist ab heute deutlich unter schritten.

Dabei muß man berücksichtigen, daß Börsenkurse zwar langfristig um fundamental nach, vollziehbare Wertansätze oszillieren, kurz- und auch mittelfristig jedoch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage für die Kursbildung sorgt. Die Auswirkungen der weltweit fließenden Finanzströme überlagern häufig die fundamentalen Austauschrelationen von Währungen.

Ein anschauliches Beispiel für das jahrelange Auseinanderklaffen von "realem" und "börsentechnisch verursachtem" Dollarpreis liefert die Entwicklung zwischen 1981 und 1985: Der unter Kaufkraftgesichtspunkten fundamental begründbare Dollarkurs lag in diesen Jahren zwischen 2,00 und 2,50 Mark. Trotzdem stieg die US-Valuta in der Spitze auf 3,47 Mark und hielt sich während mehr als drei dieser Jahre deutlich über 2,50 Mark.

Diese "Dollarüberbewertung" war um so erstaunlicher wenn man bedenkt, daß die USA in jenen Jahren einen gigantischen Bonitätsverfall in Kauf nehmen mußten. Aus dem am Ende der 70er Jahre noch größten Nettogläubiger weltweit wurde bis Mitte der 80er Jahre der größte Nettoschuldner.

Nach der starken Inflation der 70er Jahre trieb die Anti-Inflationspolitik der US-Notenbank die USA 1980 und 1981/82 in eine Rezession. Vor diesem Hintergrund schien die Verordnung des Aufputschmittels "Verschuldung plus Steuersenkung = Progressives Schuldenwachstum" trotz der damit verbundenen Risiken vertretbare. Die Inflation hatte in der zweiten Hälfte der 70er Jahre nicht nur den Geldwert, sondern auch die Schulden ausgezehrt - sie schienen beherrschbar zu sein. Eine politisch erzwungene, kurzfristige Sicht, wie man heute weiß. In den USA sind die Probleme von 1980 wiedergekehrt. Wegen der gewachsenen Verschuldung ist der Handlungsspielraum heute jedoch kleiner als damals.

Aufgezehrtes altes Guthaben und neue Verschuldung zusammengerechnet machten in der ersten Hälfte der 80er Jahre zirka 1000 Milliarden Dollar Bonitätstransfer aus. Wegen dieser Verschlechterung hätte der Dollar unter fundamentalen Gesichtspunkten seinerzeit an Wert verlieren müssen, anstatt sich zu verdoppeln.

Der Grund für den Kursanstieg lag in der großen Dollarnachfrage wegen der Entsparung beziehungsweise Verschuldung der USA im Ausland. Teilweise wurden US-Auslandsguthaben verkauft und in Dollar getauscht. Gleichzeitig wechselten Investoren außerhalb der USA ihre Heimatwährung in Dollar, um diese in den USA zu attraktiven Zinsen anzulegen. Die Vereinigten Staaten waren vorn Kapitalexporteur zum Kapitalimporteur geworden. Die dadurch ausgelöste Dollarnachfrage trieb den Dollarkurs nach oben, allen fundamentalen Bewertungskriterien zum Trotz. Die Richtung des Geldstroms war kurzfristig der wichtigste Preis-Beeinflussungsfaktor.

Erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre, als sich das Verschuldungstempo in den USA verlangsamte, sank der Dollar in den Bereich "fundamental begründbarer Bewertung" (dies deshalb in Anführungsstrichen, weil es keinen begründeten oder unbegründeten, richtigen oder falschen Dollarkurs gibt. Es gibt immer nur den aktuellen Börsenkurs, mit dem die Beteiligten arbeiten müssen).

Derzeit wandelt sich in den USA zwangsläufig der Verschuldungstrend der 80er Jahre. Die Grenze der Belastbarkeit wurde längst überschritten. Die Zusammenbrüche regionaler Immobilienmärkte mit der Folge der Krise der Regionalbanken, der Spar- und Darlehnskassen zeigen, wie tief die Konsolidierung in das System hineinwirkt.

Die USA sind zwar immer noch auf Kapitalimporte angewiesen, das Volumen der Defizite verringert sich jedoch zusehends. Seit 1987 hat sich das noch in der Zahlungsbilanz von 154,6 Milliarden Dollar auf 76,4 Milliarden Dollar (Schätzung 1990) halbiert. Da gleichzeitig fällig werdende Dollarguthaben wegen der wenig attraktiven Verzinsung aus dem Dollarraum abgezogen werden, können die USA schon 1990 wieder zum Nettoexporteur von Kapital werden. Dies geht aus Zahlen der US-Notenbank zu den Kapitalmarktströmen, basierend auf der Entwicklung der ersten sechs Monate 1990, hervor.

Diese Entwicklung ist ohne weiteres nachvollziehbar. Die wichtigsten Kapitalexporteure, die Exportüberschußländer Japan und die Bundesrepublik fallen heute weitgehend als Investoren in die US-Defizite aus.

Westeuropa benötigt durch die Entwicklung in Osteuropa mehr Kapital, als es derzeit aufbringen kann. Deshalb haben sich attraktive Anlagekonditionen herausgebildet. Der Nettozins (Nominalzins minus Inflation) der Mark liegt jetzt bei etwa sechs Prozent. In den USA werden zirka 2,5 Prozent geboten.

Auch in Japan unterscheidet sich das Zinsniveau nominal kaum noch von dem der USA. Der Nettozins in Yen ist attraktiver als in Dollar. Die Japaner befinden sich nach dem Aktienmarktzusammenbruch und vor dem Hintergrund der anstehenden Konsolidierung des japanischen Immobilienmarktes in einer Liquiditätsklemme, eine Tatsache, die durch das stark gestiegene Zinsniveau untermauert wird. Den USA wird es deshalb nicht gelingen, Neuanlagen in erheblichem Umfang an, zuziehen. Gleichzeitig werden "alte" Dollarguthaben in Richtung renditeträchtiger Kapitalmärkte abwandern. Der Druck auf den Dollar dürfte sich deshalb noch fortsetzen.

An der Schwelle zum Netto-Kopitelexporteur

Während die USA Netto-Kapitalimporteur waren, stieg der Dollar. Jetzt befinden sich die USA wieder an der Schwelle zum Netto-Kapitalexporteur. Der Umkehrschluß lautet daher: Der Dollarrückgang wird sich noch fortsetzen müssen. Erst wenn der Nettozins im Dollarraum wieder eine attraktive Größenordnung von vier bis fünf Prozent erreicht hat und Investments anzieht, wird sich der Dollar stabilisieren und erholen.

Die sich abzeichnenden rezessiven Tendenzen der US-Volkswirtschaft (Minuswachstum im ersten Halbjahr 1991) werden im optimistischen Fall in der zweiten Hälfte 1991 beendet sein. Vom richtigen Timing der Einschätzung der Konjunkturentwicklung muß das Zins- und Dollartiming abhängen.

Zu den Begleitumständen des Minuswachstums sollte ein Ansteigen des Nettozinses aufgrund rückläufiger Teurungsraten gehören, denn:

- das Geldmengenwachstum wird wegen der verhältnismäßig hohen Teuerungsrate trotz Rezession weiter knapp ausfallen, - die Löhne können nur moderat steigen,

- die Nahrungsmittelpreise werden insgesamt zumindest nicht steigen, die Vereinigten Staaten konnten eine Rekordernte einfahren,

- die Rohstoffpreise sinken abgesehen vom Erdöl - weltweit,

- die Inflationsrate der Investitionsgüter liegt derzeit bei nur zwei Prozent, in rezessivem Umfeld wird diese Rate weiter sinken,

- die Importpreise steigen nicht proportional zum Dollarverfall, weit Importeure häufig die importpreissteigerungen auf Kosten der Margen nicht an den Markt weitergeben um Marktanteile zu halten (siehe

BMW 318i).

Bei weltweit hohem Kapitalbedarf wird der Nominalzins auch im Dollarraum nur wenig sinken können. Der Rückgang der US-Teuerungsrate sollte kräftig ausfallen, so daß sich vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Konjunkturszenarios bis Mitte nächsten Jahres eine wieder attraktive Nettoverzinsung des US-Dollars herausbilden könnte. Erst dann wird der Dollar wieder einen Fuß am Boden haben und sich im zweiten Halbjahr 1991 spürbar erholen, wenn, ja wenn das beschriebene Konjunkturszenario stimmt.