Überlebenschancen in einer künftigen CIM-Welt verbessern:

Unterschiedliche Systeme müssen sich ergänzen

15.05.1987

Kaum ein Unternehmen kann es sich leisten, seine bestehenden PPS-Investitionen von heute auf morgen über Bord zu kippen. Andererseits droht jedoch Gefahr, durch Beibehalten autonomer "Inseln" in einer technischen Sackgasse zu landen. Trotzdem, so meint Matthias Müller*, haben die heutigen Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme auch in einer künftigen CIM-Welt gute Überlebenschancen. Seine Devise lautet: partnerschaftliche Ergänzung von Steuerungs- und Informationssystemen.

Viele Unternehmen haben in den letzten zwei Jahrzehnten mit Erfolg in PPS-Produkte investiert. Die Automobilindustrie ist dafür ein gutes Beispiel. Der Wettbewerb verlangt eine möglichst flexible Automobilfertigung, und nur die realisierten PPS-Produkte der Fahrzeug- und Fertigungssteuerung haben es bisher ermöglicht, sich dieser Herausforderung zu stellen.

Doch was bringt die Zukunft? Der Begriff CIM begegnet uns beinahe täglich und wie selbstverständlich wird erwartet, daß die Anwendungssysteme die entsprechende Antwort geben. Aber: Können die derzeit verfügbaren PPS-Produkte und auch die teilweise älteren kommerziellen Anwendungen dieser Forderung überhaupt gerecht werden?

Alle Funktionen bei CIM sind gleichberechtigt

Die folgende These mag überraschend klingen, doch rationale Gründe zwingen zu der Überlegung: PPS-Produkte besitzen weiterhin ihre essentielle Notwendigkeit und müssen neben anderen Funktionen wie CAD, CAQ, CAP und CAM gleichberechtigt in künftige CIM-Überlegungen einbezogen werden.

Selbstverständlich heißt das nicht, daß PPS-Produkte im heutigen Zustand schon integraler Bestandteil eines CEM-Gebildes von morgen sein können. Jedoch kann man getrost von der Annahme ausgehen, daß viele gegenwärtig verfügbaren PPS-Systeme in die zukünftige CIM-Welt integrierbar sind. Denn das Streben nach Integration ist für diejenigen, die bisher mit der Entwicklung von PPS-Produkten beauftragt waren, nicht revolutionär. Ausgehend von ursprünglichen PPS-Zielen, einzelne Organisationseinheiten wie Preßwerk, mechanische Fertigung, Druck- und Spritzgießerei oder Fahrzeugmontage gezielt als Insel zu optimieren, waren zunehmend - wenn auch vielleicht latent - Bemühungen erkennbar, einzelne Systeme durch Schnittstellen zu verknüpfen.

Kostenbewußtsein hält PPS-Produkte in den Reihen

Außerdem verlangt vor allem das Kostenbewußtsein, an den PPS-Produkten festzuhalten, stecken doch Hunderte von Mann-Jahren an Entwicklungsaufwand in diesen Systemen. Welches Unternehmen könnte es sich leisten, sie für verzichtbar zu erklären?

Nun soll andererseits auch nicht der Eindruck entstehen, als gäbe es keine Probleme. Jedenfalls tun sich die PPS-Produkte sehr schwer, ganzheitliche Fragestellungen zu beantworten. Hierzu ein Beispiel: "Ein Fahrzeug soll mit einer zusätzlichen Ausstattungsvariante diversifiziert werden; ab wann und unter welchen Aufwendungen ist dies möglich?" Gerade diese oder ähnliche Fragestellungen, ob sie nun Entscheidungshilfen für das Management oder die Sachbearbeiterebene -geben sollen, zeigen sehr schnell "weiße Flecken" der realen Systemwelt und damit auch der PPS-Produkte.

Um DV-Anwendungen CIM-gerecht zu gestalten, bedürfen alle mittel- und unmittelbar am Produktionsprozeß beteiligten Systeme eines Reviews bezüglich ihres Verhaltens im CIM-Modell - angefangen von den Systemen der technischen Entwicklung über Produktion, Logistik und Einkauf bis hin zu Qualitätssicherung und Finanzwesen.

Einhergehend mit der zunehmenden Bedeutung des Produktionsfaktors "Information" in der Automobilindustrie ergibt sich daraus neben den Steuerungssystemen eine neue Spezies von Anwendungen: die der Informationssysteme. Diese als sinnvolle und notwendige Ergänzung der PPS-/Steuerungsprodukte zu gestalten, ist eine wesentliche Aufgabe für CIM.

Kennzeichnend für diese Informationssysteme ist insbesondere ihr fachbereichsübergreifender Charakter unter Zugrundelegung einer ganzheitlichen Betrachtungsweise mit dem Ziel, in erster Linie der Unternehmensstrategie zu dienen. Beispiele hierfür sind

- fertigungsvorbereitende Terminverfolgung, ausgehend von Teilekonstruktion über Betriebsmittelkonstruktion, Qualitätssicherung hin zu logistischen Aktivitäten und Fertigung

- durchgängige Basisdatenbereitstellung nach dem Motto "alle Anwender arbeiten zu einem Zeitpunkt mit gleichen technischen Unterlagen"

- integrierte Logistikunterstützung in Form von Materialabrufinformation für/von internen/externen Lieferanten.

Die schon angesprochene "partnerschaftliche" Ergänzung von Steuerungs- und Informationssystemen wird wohl an diesen Beispielen sehr deutlich. Nicht gegeneinander, sondern miteinander heißt die Maxime. Und die Entwickler von Informationssystemen sind aufgerufen, sich das integrierende Moment ihrer Aufgabe immer wieder aufs neue zu vergegenwärtigen.

Ein Aspekt ist an dieser Stelle zusätzlich herauszuheben: Die zu schaffenden Schnittstellen sind nicht zu unterschätzen. Das CIM-Zeitalter wird nicht von heute auf morgen eingeläutet. Es ist ein steiniger Weg dorthin; geprägt von einer andauernden mühevollen Anpassung der Schnittstellen, Schaffung von Brückenprogrammen und Lösen von Organisationsproblemen. Wohl dem, der bei der bisherigen Entwicklung seiner PPS-Produkte schon auf Software-Qualität geachtet hat und so den Aufwand für Sanierung und CIM-Integration in Grenzen halten kann.

Auf Prototyping bei CIM nicht verzichten

Gern hat man sich bei der Entwicklung von PPS-Produkten des Prototypings bedient. Die Zielgruppe war überschaubar, da in der Regel eine "Insel" vorhanden, die Betriebsorganisation anpassungsfähig und rascher Erfolg möglich war. Nun stellt sich die Frage, ob Systementwickler jetzt wegen CIM auf dieses bewährte Vorgehensmodell bei der Systementwicklung verzichten müssen, um dem integrierenden Anspruch letztendlich gerecht werden zu können. Keine Angst; auch die Entwicklung von Steuerungs- und Informationssystemen für CIM ermöglichen ein Arbeiten mit Prototyping, aber unter einer Voraussetzung. das strategische Konzept für ein System muß festliegen und abgestimmt sein - je detaillierter, um so besser.

Einzelkämpfer haben künftig wenig Chancen

Die Entwicklung von CIM-Systemen fordert von den Systementwicklern darüber hinaus neue Qualifikationsmerkmale. Sicher ist ein "neues" Systembewußtsein vonnöten, eben das ganzheitliche für integrierte Systeme. Neben den fachlichen Qualifikationen der Informatik sind zunehmend überfachliche und innovative Qualifikationen gefragt und solche, die der Berücksichtigung von soziologischen Strukturen dienlich sind. Der Bedarf an "Einzelkämpfern" nimmt also ab, die Devise lautet: CIM-Denken.

Zudem rückt eine weitere Sparte in den Vordergrund: die des (Ablauf-) Organisators. Aufgrund der Tatsache, daß "alte" und neuem Systeme im Normalfall bereichsübergreifenden Charakter erhalten und die damit verbundenen Schnittstellenprobleme erheblich sind - insbesondere aus betriebsorganisatorischer Sicht -, wird in Zukunft neben dem DV-Konzept das Funktionskonzept an Bedeutung gewinnen. Daraus ist zu schließen, daß gestalterische Entwicklung der Ablauforganisation für CIM durchaus notwendig ist.

Informationssysteme auf dem Großrechner, Steuerungssysteme auf dedizierter Hardware bilden schon heute eine funktionsfähige Architektur. Und es sei der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß über kurz oder lang auch das leidige PC-Problem gelöst werden kann - oder anders ausgedruckt, daß PDV und EDV für CIM zu einer vernünftigen Integration finden.

Des weiteren muß gerade für die Entwicklung künftiger Systeme der Einsatz von Software-Engineering-Methoden und Tools Standard werden.

Die Fabrik der Zukunft erfordert eine integrierte und innovative Systemarchitektur. Ilusionen sind fehl am Platz, trotzdem stellen heute schon vorhandene und funktionierende PPS-Produkte mit Sicherheit eine gelungene Investition in die CIM-Welt von morgen dar.

* Matthias Müller ist zuständig für die Entwicklung von technischen Informationssystemen bei der Audi AG, Ingolstadt.