Auslagerung der Standardanwendungen

Unternehmen zeigt goldenen Mittelweg beim Outsourcing

16.10.1992

Seit rund 18 Monaten hat die MAN GHH Logistics GmbH (MGL) Teile der Datenverarbeitung ausgelagert und zeigt sich mit dieser Entscheidung zufrieden. Das Unternehmen hat die fest abgegrenzten Standardanwendungen an einen DV-Dienstleister abgegeben, führt aber spezielle Applikationen wie CAD selbst im Unternehmen durch. Als Vorteile gegenüber einem eigenen Rechenzentrum nennt Hans-Eckhard Scholz* Kosteneinsparungen und die flexible Verfügbarkeit von Personalressourcen.

Der Zusammenschluß von drei bis dahin eigenständigen Unternehmen zur MAN GHH Logistics (MGL) stellte die DV-Verantwortlichen vor große Schwierigkeiten. In den Altfirmen befanden sich DV-Systeme im Einsatz, die sich - für jeden Betrieb einzeln gesehen - als gute Hilfsmittel für die Bearbeitung der anfallenden Aufgaben erwiesen hatten. Die Mitarbeiter waren mit der Bedienung der Programme vertraut, und die Informationsflüsse orientierten sich an den eingeführten Systemen. Mit der Zusammenlegung von Abteilungen zu neuen Organisationseinheiten ergaben sich in der Datenverarbeitung Probleme durch:

- unterschiedliche Hardware,

- heterogene Software,

- inkompatible Teilsysteme,

- unterschiedliche Einführungsgrade,

- Individuallösungen mit standortspezifischen Abläufen.

Selbst bei aufwendigen Schnittstellen gab es keine Möglichkeit, ein firmenübergreifendes Informationssystem zu entwickeln. Die aufgrund dieser Situation auftretenden Schwierigkeiten bei der Abwicklung gemeinsamer Aufgaben nach einem einheitlichen Berichtswesen stellten die DV-Abteilung gleich vor mehrere Probleme. Zum einen galt es, durch die Zusammenführung von Teilanwendungen in laufenden Systemen die wichtigsten Anforderungen der Gegchäftsabwicklung und des Berichtswesens zu erfüllen, zum anderen, durch einfache Zwischenlösungen die Geschäftsergebnisse zu sichern. Ferner benötigte die MGL ein DV-Rahmenkonzept, das die Anforderungen einer bis in die Geschäftsstellen vernetzten Informationsverarbeitung für die Zukunft erfüllt. Aus dir Analyse der in die MGL eingebrachten DV-Systeme und den Erfahrungen der Anwender und Betreuer wurden die Anforderungen an das zukunftsorientierte DV-Konzept abgeleitet. In Frage kam nur ein integrationsfähiges Standardsystem, das sich bereits in der Industrie bewährt hatte.

Zudem sollte das System benutzerfreundlich sein, einen geringen Wartungsaufwand haben und über offene Schnittstellen verfügen.

Zusammen mit den Anforderungen der Produkt- und Zentralbereiche konnten die strategischen Zielsysteme sehr schnell ermittelt werden. Für die verschiedenen Anwendungsgebiete entschied man sich für folgende Softwarelösungen: kaufmännische Anwendungen SAP, Vertrieb SAP und PC-Connection, Konstruktion Cadam und Ruplan, Fertigung (NC) Esab und WOP, Produktionsplanung und -steuerung SAP, Personalwirtschaft Paisy.

Das Konzept enthielt Richtlinien, die auf jeden Fall einzuhalten waren, Beispiels sollte das SAP-System in der Standardversion ohne Modifikationen eingeführt werden. Für Anwendungen, die noch nicht umgestellt werden konnten, mußte die volle Funktionalität in den vorhandenen Systemen sichergestellt sein und gegebenenfalls über Schnittstellen erhalten bleiben.

Modernisierung und Erweiterung der Hardware

Die im Rahmenkonzept festgeschriebenen DV-Systeme waren mit Ausnahme von SAP bereits in Teilbereichen im Einsatz.

Die Ausdehnung der Anwendung auf alle Gebiete mit entsprechenden Aufgabenstellungen erforderte die Modernisierung und Erweiterung der Hardware, was speziell für die CAD-Anwendungen zutraf.

Für die schrittweise Realisierung des SAP-Systems zur integrierten Auftragsabwicklung der kaufmännischen und personalwirtschaftlichen Belange definierten die Verantwortlichen in einer Geschäftsordnung die Projektschritte und legten Termine sowie organisatorische Vorgehensweise fest. Während der Einführungsphase sollten die Dienste eines Servicerechenzentrums genutzt werden. Für diese Entscheidung gab es eine Reihe von Gründen:

- sofortige Verfügbarkeit der gesamten SAP-Softwarepalette,

- geringes Einführungsrisiko,

- professioneller Rechenzentrumsbetrieb,

- Hard- und Softwarebetreung aus einer Hand mit geringen Schnittstellen-Problemen,

- fehlende Hardware und fehlendes System-Know-how im eigenen Haus,

- Verzicht auf den Aufbau einer zusätzlichen, zeitlich begrentzen Personalkapazität für die Einführungsphase,

- fest kalkulierbare Kosten in der Einführungsphase,

- die Möglichkeit, das System später in eigener Verantwortung zu übernehmen.

Nach Verhandlungen mit mehreren Anbietern von DV-Serviceleistungen wurde im Oktober 1990 mit der tds tele-daten-service GmbH, Heilbronn, der Koopertionsvertrag geschlossen. Die Erfahrung mit der Einführung von SAP und nicht zuletzt die räumliche Nähe gaben letztendlich den Ausschlag für die tds.

Unmittelbar nach Vertragsabschluß begann die Übernahme von SAP-RF und Paisy vom Rechenzentrum der MAN Gutehoffnungshütte AG, Oberhausen, und die Projektgruppen Systemtechnik, Konfiguration und SAP-RM-MAT nahmen ihre Arbeit auf.

Die MGL ist an das Rechenzentrum der tds zur Zeit über drei Standleitungen in Heilbronn angeschlossen. Für die Anwendungen SAP-RF (Finanzbuchhaltung), SAP-RM-MAT (Materialwirtschaft) und Paisy (Lohn- und Gehaltsabrechnung) sind 44 Terminals (teilweise PCs) und vier Drucker im Einsatz. Im Werk Feldkirchen der MGL ist durch eine Standleitung die AS 400 über HCF/USE mit dem Rechenzentrum der tds verbunden.

Vom Outsourcing ausgenommen sind lediglich die CAD-Anwendungen, da System-und Anwendungs-Know-how im Hause vorhanden ist. Die Anbindung an das SAP-RM-PPS-System wird über Schnittstellen realisiert werden.

Die MGL hat zur Zeit im Servicerechenzentrum der tds die Systeme Paisy, SAP-RF und SAP-RM-MAT (Lager, Einkauf, Rechnungsprüfung) im Einsatz. Als Testsysteme werden die Module SAP-RM-PPS (Stückliste), SAP-RV (Vertrieb) und SAP-RA (Anlagenbuchhaltung) genutzt.

Die Umstellung von Paisy auf das Rechenzentrum der tds verlief ohne Schwierigkeiten. Die Übernahme von SAP-RF vom Rechenzentrum der MAN Gutehoffnungshütte AG erforderte den gleichzeitigen Wechsel auf Release 4.3 G und die Rücknahme von Modifikationen, die für Oberhausener notwendig gewesen waren.

Neben den tds-Mitarbeitern kam hier ein Externer mit speziellen SAP-RF-Kenntnissen zum Einsatz. Beide Projekte wurden termingerecht und im Rahmen der geplanten Projektkosten abgeschlossen.

Bei der Einführung SAP-RM-MAT standen die Verantwortlichen vor der Problematik, daß die Materialstammdaten in unterschiedlichen Systemen angelegt waren und die Datenqualität nicht den Anforderungen von SAP entsprach. Durch die Zusammenführung existierten zudem unterschiedliche Materialstämme für gleiche Teile. Darüber hinaus mußten Schnittstellen zu noch nicht umstellbaren Anwendungen für Stücklisten und Kostenrechnung konzipiert und realisiert werden.

Da SAP im Standard ohne Modifikationen eingeführt werden den sollte, waren aufwendige Untersuchungen und Anpassungen der Abläufe in den betroffenen Fachbereichen notwendig. Der geplante Realisierungszeitraum für die Umsetzung von SAP-RM-MAT ließ sich daher trotz Anstrengungen der Temmitglieder von tds und MGL nicht einhalten.

Die Produktionskosten setzen sich aus dein Kosten für die Softwarenutzung (SAP-Module) und einem nach der Anzahl der angeschlossenen Terminals gestatfelten Kostenanteil für die Systemnutzung zusammen.

Die Gegenüberstellung der Produktionskosten für Paisy und SAP-RF zeigen, daß die MGL durch Outsourcing erhebliche Kosteneinsparungen erzielen konnte. Zudem ließen sich die in einem firrmeneigenen Rechenzentrum üblichen DV-Kostenschwankungen durch Vollkostenverrechnung vermeiden.

Da ein Teil der DV-Anwendungen im Hause abgewickelt wird und dafür Rechnerleistung und Personal zur Verfügung stehen, kann die MGL sich beim Outsourcing auf fest abgrenbzbare Standardanwendungen beschränken. Die MGL behält durch die reduzierte eigene DV-Kapazität jedoch die Flexibilität, schnell auf spezielle Anforderungen einzugehen, für die im Servicerechenzentrum keine Standardlösung zur Verfügung steht.

*Hans-Eckhard Scholz ist Leiter Organisation/EDV bei der MAN GHH Logistics GmbH in Heilbronn.

Die MAN GHH Logistics GmbH (MGL) ist ein 100prozentiges Tochterunternehmen der MAN Gutehoffnungshütte AG, Oberhausen. Sie wurde im April 1990 als Zusammenschluß der MAN GHH Krantechnik GmbH, Heilbronn (Marken WOLFF und SWF), der Mehne GmbH, Heilbronn, und der MAN Lager- und Systemtechnik GmbH, München, gegründet. Das Produktprogramm der MGL umfaßt computergesteuerte Materialfluß-Systeme (beispielsweise Hochregallager), Turmkrane, Krananlagen und Hebezeuge. Mit etwa 1100 Mitarbeitern, einschließlich 64 Auszubildenden, erzielt die MGL einen Umsatz von rund 250 Millionen Mark. Die Unternehmensstruktur weist drei Produkt- sowie sechs Zentralbereiche auf.