Unix kommerziell: Motif und Open Look machen's möglich

02.03.1990

Eine bedienerfreundliche Oberfläche war bei Unix lange Zeit Mangelware. Entwickler und Anbieter des portablen Betriebssystems berücksichtigten weder Masken- oder Menüsteuerung noch die seit einigen Jahren im PC-Bereich gängige Window-Technik. Seit Mitte letzten Jahres aber können Unix-Anwender gleich zwischen zwei komfortablen Benutzerschnittstellen wählen: den grafischen Oberflächen Motif von der OSF und Open Look von AT&T. Der leidige Unix-Streit machte es möglich.

Als Unix 1969 in den Bell Laboratories entwickelt wurde, hatte es neben allen Vorzügen der Herstellerunabhängigkeit eine gravierende Schwachstelle: Ganz auf Zeichen ausgerichtet, mangelte es dem Betriebssystem an einer benutzerfreundlichen Oberfläche. Trotz ständiger Fortentwicklung, neuer AT&T-Versionen und unzähliger Derivate wurde dieses Manko nahezu 20 Jahre lang nicht behoben. Auch die 1984 gegründete X/Open, eines der wichtigsten Standardisierungsgremien für Unix, schaffte es nicht, eine solche Benutzerschnittstelle zu definieren. Dies führte dazu, daß sich Unix zwar im technisch-wissenschaftlichen Bereich wachsender Beliebtheit erfreute, sich im kommerziellen Sektor indes nicht durchsetzen konnte.

Selbst als Ende der 70er Jahre die neuen PC-Generationen auf der Basis des 286-Prozessors von Intel einen wahren Unix-Boom hervorriefen, blieb der Einsatz des Betriebssystems überwiegend auf den technisch-wissenschaftlichen Bereich begrenzt. Die kommerziellen Anwender konnten mit den aufwendigen Unix-Befehlszeilen nichts anfangen, waren sie doch gewohnt, per Maske oder Menü durch die Programme geführt zu werden.

Abhilfe schuf schließlich der ungemein medienwirksame Unix-Streit, der vor gut zwei Jahren zwischen AT&T und zahlreichen anderen DV-Herstellern ausbrach. Ihnen nämlich war die Lizenzpolitik, die der amerikanische Telefonriese in Sachen Unix betrieb, mehr und mehr ein Dorn im Auge, da sie AT&T zunehmend eine Monopolstellung einräumte. Unternehmen wie DEC, Hewlett-Packard und Apollo begannen sich gegen die wachsende AT&T-Abhängigkeit zu wehren, sahen sie doch ihre Unix-Felle wegschwimmen.

Gefahr für IBM und den Presentation Manager

Als AT&T schließlich im April 1988 mit "Open Look" eine grafische (Benutzeroberfläche für das portable Betriebssystem ankündigte, die von Sun Microsystems mit den Open-Look-Technik-Lizenzen von Xerox entwickelt worden war, erreichte der Widerstand seinen Höhepunkt. Formiert wurde die Open Software Foundation (OSF) mit dem Ziel, eine eigene Unix-Version, vor allein aber eine eigene grafische Benutzeroberfläche zu entwickelter Mitglieder der ersten Stunde waren neben den Anführern DEC, HP und Apollo auch Siemens, Nixdorf sowie Bull - und die IBM. Der Armonker Computergigant lief nämlich nicht nur Gefahr, den Anschluß an den wachstumsträchtigen Unix-Markt zu verpassen, sondern mußte auch fürchten, daß Unix mit Open

Look dem OS/2-Betriebssystem mit dem Presentation Manager in die Quere kommen und an seiner Vormachtstellung im PC-Markt kratzen würde. Der OSF wiederum kam die Teilnahme von IBM sehr gelegen und sie beschloß, deren AIX als Grundlage für die eigene Unix-Entwicklung zu verwenden.

AT&Ts Vorstoß in Richtung grafische Benutzeroberfläche erwies sich in der Folgezeit jedoch als heiße Luft. Dem amerikanischen Telefonriesen lag nämlich wesentlich mehr an der Entwicklung der neuen Unix-Version V.4. Darüber hinaus schien das Unternehmen die Bemühungen der OSF in Sachen Benutzeroberfläche - schon zwei Monate nach ihrer Gründung startete die Organisation eine entsprechende Ausschreibung - nicht sonderlich ernst zu nehmen. Trotzdem sandte auch AT&T einen Vorschlag ein, kam sogar in die engere Wahl, mußte sich aber letztlich von Digital Equipment und Hewlett-Packard /Microsoft geschlagen geben.

Im Januar 1989 kündigte die OSF-Gruppe ihre grafische Benutzeroberfläche OSF/Motif an. Gewählt worden war eine Kombination aus dem X-Window-User-Interface (XUI) von DEC und dem Common User Interface (CXI) von HP und Microsoft, wobei letztere Komponente dem "look-and-feel"-Verhalten des Presentation Managers für OS/2 entspricht. Mit dieser schnellen Entscheidung der OSF für eine Benutzeroberfläche hatte AT&T wohl nicht gerechnet. Der US-Konzern, den die mittlerweile gegründete OSF-Gegengruppe Unix International Inc. (UI) unterstützte, geriet in Zugzwang. Denn seit AT&Ts Ankündigung, Open Look als Benutzeroberfläche für Unix zu verwenden, war knapp ein Jahr vergangen, ohne daß der Konzern sich verstärkt in diesem Bereich engagiert hätte.

Dennoch ließ die Reaktion von AT&T nicht lange auf sich warten. Ende März - die OSF hatte während der CeBIT bereits erste Demo-Versionen von Motif vorgeführt - erklärte der US-Konzern, die Oberfläche Open Look sei für Unix fortan weltweit verfügbar. Somit hatte AT&T die OSF in Sachen Oberfläche zwar wieder überholt, da Motif erst im Herbst 1989 zur Auslieferung kommen sollte.

Den Wettlauf aber, Standardoberfläche für Unix zu werden, hatte Open Look dennoch nicht gewonnen. Denn gleichzeitig beschloß AT&T, die Benutzeroberfläche unabhängig vom Unix-Release V.4 zu vertreiben. Damit waren Anbieter wie Anwender frei in der Entscheidung der Benutzeroberfläche für Unix, zumal auch die AT&T-nahe Unix International vereinbart hatte, Open Look zwar vorerst als Standardoberfläche für das Release V.4 anzunehmen, aber gleichzeitig für andere Benutzeroberflächen offen zu bleiben.

Das mangelnde Engagement des amerikanischen Telecom-Anbieters in Sachen Open Look ließ die Fachwelt zu der Überzeugung kommen, daß AT&T nach wie vor mehr Wert auf die Entwicklung von Unix V.4 legte als auf die Benutzerschnittstelle. Dies, so orakelten Branchenkenner, öffne OSF/Motif Tür und Tor, Standard-Benutzeroberfläche für Unix zu verwenden. Tatsächlich spricht mittlerweile einiges dafür. Die Oberfläche ist seit Mitte letzten Jahres allgemein verfügbar. Im Oktober bekundete die Kommission der Europäischen Gemeinschaft die Absicht, das OSF-Produkt als Standardoberfläche für ihre Unix-Systeme einzusetzen. Wenn sie auch ihre endgültige Zusage noch vor der Empfehlung der X/Open-Gruppe abhängig macht, so gilt der Entschluß der EG-Kommission bereits als richtungsweisend. Auf der Online 90 Anfang Februar in Hamburg erklärte denn auch Günter Martin, Marketing-Leiter der Unisys Deutschland GmbH (Unisys ist UI-Mitglied): "Es spricht vieles dafür, daß sich OSF/Motif als Benutzeroberfläche für Unix durchsetzen wird". Die Empfehlung der X/Open-Gruppe steht allerdings noch immer aus.

Anders sieht es in Sachen Betriebssystem-Versionen aus. Obwohl das neue Unix-Release V.4 und die OSF-Version OSF/1 etwa zeitgleich allgemein verfügbar sein werden, räumen Experten dem AT&T-Produkt, das die früheren Versionen von Unix System V mit den Derivaten Xenix, Sun-OS sowie den Versionen Unix 4.2 und 4.3 der Berkeley-Variante BSD vereinigt, weitaus größere Chancen ein, sich als Standard durchzusetzen. Grund: Im Dezember gab die OSF ihr bisheriges Basisbetriebssystem AIX, das Unix-Derivat von IBM, auf.

Der neue Kernel heißt nun Mach und wurde von der Carnegie Mellon University entwickelt. Es ist kein Unix-Derivat, wird aber als Basis für das Berkeley-Unix Release 4.3 benutzt. Eine erweiterte Mach-Version läuft auf dem Next-Rechner von Steven Jobs.

Schritt der Unix-Contras zu Unix International

Diese Entscheidung der OSF wird zumindest der IBM-Anhängern die Wahl erschweren, welche Unix-Version - wenn überhaupt - erworben werden soll. Andererseits machten die einstigen Unix-Contras damit aber auch einen Schritt hin zu Unix International. Schon spricht die Fachwelt davon, Vereinigungen hätten das Kriegsbeil begraben. Immerhin sind auf beiden Seiten die "Knackpunkte ", an denen sich die Gemüter einst erhitzten, inzwischen behoben.

So brauchen die OSF-Mitglieder nicht mehr die Abhängigkeit von AT&T zu fürchten, da der Unix-Lizenzgeber schon vor einem Jahr Hard- und Softwareabteilung getrennt hat und die Unix-Aktivitäten in die eigenständige Unix Software Operation (USO) ausgliederte. Da die OSF sich wiederum von IBM's AIX entfernte, ist auch die Sorge der Unix International unbegründet, die Offenheit von Unix sei gefährdet.

Ganz gleich aber, ob die beiden Vereinigungen künftig tatsächlich an einem Strang ziehen werden: Die Aktivitäten von OSF und Unix International hatten zur Folge, daß Unix nun endlich eine bedienerfreundliche Benutzeroberfläche bietet - sei es Motif oder Open Look. Eine dritte Alternative steht dem Anwender jetzt gar mit Nextstep von Steven Jobs auf den gerade von der IBM angekündigten Unix-Rechnern 6000 zur Verfügung. Damit ist Unix nun sogar für Big Blue für den kommerziellen Bereich salonfähig geworden.