Objektorientierte Datenbanken/Die Marktentwicklung spricht fuer einen vermittelnden Ansatz

Universelle Datenbanken statt isolierter Objekttechnologie

19.01.1996

Objektorientierte Technologie und der Einsatz objektorientierter Datenbanken versprechen schnelle und produktivitaetssteigernde Unterstuetzung erfolgsrelevanter Faktoren von Unternehmen. Tatsaechlich laesst sich eine komplexe, vernetzte Organisationsstruktur am ehesten unter Anwendung des objektorientierten Ansatzes adaequat modellieren. Betrachtet man dabei die kleinen, unabhaengigen Geschaeftseinheiten als "die Objekte", stellt sich die Kommunikation zwischen den Geschaeftseinheiten als die Anfragen dar, die ein Objekt an ein anderes weitergibt.

Die Beziehungen zwischen Objekten sind explizit, und Methoden oder Prozeduren werden mit Objekten assoziiert. Dabei besteht ein Objekt sowohl aus Attributen als auch Methoden, und es lassen sich Hierarchien von Objekttypen oder -klassen erstellen. Die Hierarchie der Klassen definiert das Objektmodell und wird zum Schema fuer eine Objektdatenbank. Bestimmte Klassen von Objekten koennen dann fuer die Standardaufgaben eines Unternehmens - zum Beispiel Produktion, Logistik, Support, Vertrieb oder Marketing - stehen.

Das Prinzip der Vererbung macht es moeglich, dass auch kleinere Einheiten den Zugang zu Informationen haben und an globalen Aufgabenstellungen mitwirken. Das objektorientierte Modell unterstuetzt auch das langfristige, evolutionaere Wachstum einer Organisation, und zwar unabhaengig von temporaeren Strukturen, die aktuellen Anforderungen entsprechend implementiert werden. Aussichten wie diese und die Hoffnung auf messbar verbesserte Wirtschaftlichkeit, so die Erwartung der Anbieter, wuerden denn auch der Objekttechnologie die Pforten bei der Kundschaft schnell und weit oeffnen. Nach einer Untersuchung der International Data Corp. (IDC) im Jahre 1993 unter rund 1200 deutschen Grossunternehmen wollten 41,7 Prozent der Befragten teilweise und 13,7 Prozent sogar in signifikantem Umfang auf OO-Loesungen setzen. Als Gruende fuer die geplanten Investitionen fuehrten die Unternehmen die Hoffnung auf Produktivitaetsgewinne, schnellere Entwicklung, Steigerung der Softwarequalitaet, vereinfachte Wartung oder die Wiederverwendbarkeit der Software an.

Doch geschehen ist offenbar wenig, zieht man Rueckschluesse aus den aktuellen Geschaeftsergebnissen der Anbieter objektorientierter Datenbanken: Sie treten auf der Stelle. Ganz im Gegensatz zu ehemals rosigen Prognosen vergleicht heute etwa die Gartner Group die Marktentwicklung mit einer "Einen-Schritt-vor-und-einen- zurueck"-Bewegung, sieht Objektdatenbanken gar "am Rande des Abgrunds" stehen und verweist auf rote Zahlen oder schwache Umsaetze der Hersteller.

Dass die Organisationen ihre ambitionierten Vorhaben dann doch nicht im geplanten Umfang durchfuehrten, liegt wohl hauptsaechlich an der allgemeinen Unterschaetzung der damit verbundenen Risiken. Nicht selten erweist sich der Versuch eines Umstiegs auf die Objekttechnologie infolge von mangelnder Erfahrung, Wissensdefiziten und entsprechend hohem Schulungsaufwand als ueberaus anspruchsvolles Projekt. Es wirft unerwartete Probleme auf und verlaeuft schliesslich im Sande.

Von einer allgemeinen Marktreife im Sinne einer einfach und effizient anzuwendenden Technologieneuerung laesst sich bei objektorientierten Datenbanken und Technologien demnach noch nicht sprechen. Erste und dem Unternehmensmodell entsprechende Schritte in die Welt der Objektorientierung sollten dennoch nicht erst in ferner Zukunft gewagt werden.

Dabei ist es jedoch nicht erforderlich, mittels der Implementierung eines reinen OODBMS auf eine grundsaetzlich neue Technologie zu setzen. Anbieter relationaler Datenbanksysteme versuchen mit dem ganzheitlichen Ansatz der allmaehlichen Erweiterung ihrer Systeme fuer die objektorientierte Anwendung, den Benutzer sukzessive an den Umgang mit objekt-relationaler Technologie heranzufuehren.

Eines der bedeutendsten Einsatzgebiete fuer die effiziente Nutzung von Objekten werden mittelfristig die Multimedia-Anwendungen sein. Kontinuierlich sinkende Hardwarepreise und die damit fuer den Benutzer immer kostenguenstigere, hohe Prozessorleistung lassen eine rasch zunehmende Marktakzeptanz auch sehr komplexer Multimedia-Anwendungen erwarten.

Bereits Ende 1996, so eine Studie des US-Marktforschungsinstitutes Dataquest, werden sieben von insgesamt neun Millionen verkauften PCs Multimedia-faehig sein. Die daraus resultierenden Anforderungen der Anwender machen eine Erweiterung herkoemmlicher RDBMS fuer die effiziente Unterstuetzung komplexer Datentypen, Objekte und diverser Multimedia-Applikationen erforderlich.

Dabei wird, anders als beim Einsatz eines OODBMS, die vollstaendige Integration bestehender Systeme und Anwendungen in ein universelles Informations-Management-System angestrebt. Alle Arten von Datentypen, ob strukturiert oder Objekt, sollen sich in einer zentralen Datenbank indizieren und/oder ablegen lassen und so fuer den unternehmensweiten Zugriff zur Verfuegung stehen.

RDBMS-Anbieter fuegen ihrer Datenbank-Engine spezifische Klassenbibliotheks-Erweiterungen hinzu, die die Definition komplexer Datentypen und die Integration neuer Methoden und Einsatzmoeglichkeiten fuer diese Typen erlauben. Dabei muss das so erweiterte Datenbanksystem nach wie vor die Leistung, Zuverlaessigkeit und Offenheit bieten, um auch umfangreiche Anwendungen wie Decision-Support- und Data-Warehouse- Implementationen effizient zu unterstuetzen.

Informix etwa treibt diesen Ausbau seiner Architektur Dynamic Scalable Architecture (DSA) unter dem Begriff "Universal Information Management" voran. Aufbauend auf DSA, entwickelt der Anbieter das RDBMS zu einem universellen Datenbank-Server weiter, der ueber Funktionalitaeten verfuegt, die das Speichern, Aufrufen und Bearbeiten neuer multimedialer Datentypen wie Dokumente, Bilder, Video, Audio etc. ermoeglicht. Ziel ist es, diese komplexen Datentypen in ein einheitliches universelles Datenbanksystem zu integrieren, das sowohl strukturierte als auch unstrukturierte Informationen verwalten kann.

Einer Studie von Forrester Research Inc. zufolge sind rund 80 Prozent aller heute anfallenden Daten unstrukturiert und werden daher noch nicht in Datenbanksystemen verwaltet. In den naechsten zwei bis vier Jahren, so die Prognose, wird sich dies aber drastisch aendern. Grosse Datenbanken mit komplexen wie auch einfachen Daten im mehrstelligen GB- bis TB-Bereich werden dann eher die Regel als die Ausnahme sein, und VLDB-Support (Very Large Database) wird stark an Bedeutung gewinnen.

Hier sei aber die OODBMS-Technologie sicherlich nicht der Koenigsweg, konstatiert etwa die Gartner Group. Im Gegensatz zu relationalen DBMS weisen OODBMS noch deutliche Defizite bei der Unterstuetzung sehr grosser Datenbanken auf, die unter anderem komplexe Daten wie Text, Bilder, Video oder Ton, aber auch einfache, strukturierte Daten umfassen koennen.

Fuer den effizienten Umgang mit solchen Datenmengen ist zudem die Unterstuetzung paralleler Hardware (SMP-, SMP-Cluster, MPP- Systeme), der Datenpartitionierung und die Bereitstellung umfassender Sicherungskonzepte erforderlich. Derartige Funktionalitaeten koennen die OODBMS bisher ebensowenig bieten wie die Moeglichkeit zur Replikation auch komplexer Datentypen in verteilten Umgebungen, die aber aus Leistungs- und Verfuegbarkeitsgruenden gegeben sein muss.

Die Achillesferse objektorientierter Datenbanken aber, insbesondere in Hinblick auf ein universelles Informations- Management, machen die Gartner Group wie auch andere Marktbeobachter im Fehlen adaequater Unterstuetzung von Ad-hoc- Abfragen aus. Dieses Problem geht das Konzept der RDBMS- Erweiterung mit der Unterstuetzung erweiterter Indizierungsmethoden sowie der Optimierung komplexer Abfragen auf die jeweiligen multimedialen Datentypen an.

So werden etwa Abfrageplanung und -ausfuehrung ueber die Bereitstellung neuer Indizierungs-Schemata vereinfacht und beschleunigt. Dabei weisen die in der Datenbank abgelegten komplexen Objekte die gleiche Verlaesslichkeit, Verfuegbarkeit, Sicherheit und Integritaet auf wie herkoemmliche, einfache Datentypen. Traditionelle RDBMS-Funktionen wie Rollback, Backup, Restore und vollstaendige Transaktionskontrolle werden auch fuer die neuen komplexen Datentypen zur Verfuegung stehen.

Konnektivitaet und Multiuser-Faehigkeit

Ausserdem ist die Unterstuetzung des geplanten ANSI-Standards SQL 3 wie auch ausgewaehlter objektorientierter Features vorgesehen. Dies umfasst das Definieren benutzerspezifischer Objekte wie abstrakter und kollektiver Datentypen sowie das Erstellen benutzerspezifischer Zugriffs- und Indizierungsmethoden in einer objektorientierten Stored Procedure Language oder in C++. Es wird objektorientierte Eigenschaften wie Kapselung und Polymorphismus sowie einen bestimmten Grad der Weitervererbung und Wiederverwendbarkeit geben.

Dazu erweitern die Anbieter einerseits das eigene RDBMS-Interface, andererseits schaffen sie aber auch eine Reihe zusaetzlicher APIs. Ueber diese koennen unabhaengige Softwarehaeuser und Value Added Resellers (VARs) auf spezifische Marktsegmente und Applikationskategorien zugeschnittene Server-Erweiterungen zur Verfuegung stellen. Dies ist mit der Bereitstellung von Klassenbibliotheks-Erweiterungen an der Datenbank-Engine gleichzusetzen.

Von besonderer Bedeutung bei der Erweiterung der RDBMS- Funktionalitaeten im Hinblick auf objektorientierte Anwendungen ist die Multiuser-Faehigkeit sowie die gleichbleibende Konnektivitaet mit Drittanbieterprodukten und Netzwerkumgebungen. Hier muessen insbesondere sich etablierende objektorientierte Standards wie Corba und OLE 2 sowie Netzwerkstandards (ATM-API-Interface) Beruecksichtigung finden. Zudem muss ueber offene Interfaces und ausgereifte Gateway-Technologie die Zusammenfuehrung der bestehenden Umgebung mit den neuen technologischen Erweiterungen zu einer einheitlichen Installation gesichert sein.

Waehrend Anbieter reiner OODBMS wie etwa Object Design, Objectivity, Ontos oder Poet nur zoegerlich Schnittstellen zur relationalen Welt und anderen Datenquellen bereitstellen, sind die etablierten RDBMS-Anbieter hier mit bereits bewaehrten Loesungen Vorreiter.

Auch in Multiuser-Umgebungen zeigt das herkoemmlich auf Single-User oder kleine Arbeitsgruppen ausgelegte OODBMS Schwaechen. Denn bei ihm findet in der Regel die gesamte Verarbeitung ueber die Programmiersprache auf dem Client statt, und die Methoden werden ausschliesslich auf dem Client ausgefuehrt. Hohe Netzwerkbelastung und unumgaengliche Investitionen in leistungsstarke, teure Desktop- Workstations sind die Folge.

Das von Grund auf fuer Client-Server- und damit auch Multiuser- Umgebungen ausgelegte RDBMS ist heute in der Lage, Hunderte bis Tausende von Anwendern gleichzeitig zu unterstuetzen. Sie werden kuenftig - abgeschirmt von der Komplexitaet zugrundeliegender Technologien - sowohl die Vorzuege der Objekttechnologie als auch die Funktionalitaeten der ihnen vertrauten DV-Umgebung in vollem Umfang nutzen koennen.

Das "fuer alle Anforderungen geeignete OODBMS" aber wird es laut Ulrich Kracke, Verfasser des umfassenden Nachschlagewerks "Datenbank-Management" aus dem Weka Fachverlag fuer technische Fuehrungskraefte, "nie als Produkt, sondern nur als Ideal geben. Bei der langfristigen Planung in Unternehmen, die ihren Datenbestand moeglichst flexibel nutzen wollen, ist es jedenfalls sinnvoll, auf die erweiterte relationale Architektur mit 'OO-SQL' zu setzen. Reine OO-Systeme werden in diesem Umfeld Inseln bleiben."

*Barbara Finger ist Produkt-Managerin Database Servers bei der Informix GmbH in Ismaning bei Muenchen.

Kurz & buendig

Die Umsaetze im Markt fuer objektorientierte Datenbanken sind bei weitem nicht so gross, wie die Absichtsbekundungen der Anwender erwarten lassen. Diese scheuen anscheinend die Risiken, eine ihnen noch nicht sehr gut bekannte Softwaretechnik jetzt schon einzufuehren. Doch die Anbieter relationaler Datenbanken kommen ihnen entgegen. Denn sie sehen sich ihrerseits durch komplexe Daten aus neuen Anwendungen wie beispielsweise Multimedia gezwungen, ihre Systeme durch objektorientierte Zusaetze zu erweitern. Die Autorin zeigt die Entwicklungslinien auf der relationalen Seite auf. Sie begruendet ihre These, dass eine schrittweise Erweiterung aus relationalen Ansaetzen den Anwendern eher hilft als ein radikaler Schnitt. Das Beste aus beiden Welten

Relationale Datenbanksysteme

- sind etabliertes Ergebnis langjaehriger Entwicklung und hoher Investitionen der fuehrenden Anbieter wie IBM, Informix oder Oracle;

- eignen sich ideal fuer die Verarbeitung einer grossen Menge weniger komplexer Transaktionen aus einfachen, zeichenorientierten und numerischen Daten;

- bieten die Flexibilitaet fuer das Handling von Ad-hoc-Abfragen und neuen Datenbeziehungen und

- werden hohen Anforderungen an Datenintegritaet, Verfuegbarkeit und Multiuser-Unterstuetzung gerecht.

Sie sind aber:

- gerade erst dabei, komplexe Datentypen wie Bilder, Dokumente, Video, Audio, Animation und Zeitreihen zu unterstuetzen.

Objektdatenbanken

- erlauben dem Anwender ueber das objektorientierte Softwaredesign, eigene Modelle zu erstellen, die seinen spezifischen Anforderungen entsprechen;

- ermoeglichen die wirklichkeitsnahe Unternehmensmodellierung und

- unterstuetzen das Konzept des Polymorphismus sowie der Vererbung und steigern hierdurch wie auch ueber die Wiederverwendbarkeit der Software die Qualitaet und den Nutzen der Anwendungen.

Sie werden aber:

- erst seit wenigen Jahren von kleineren Nischenanbietern wie Object Design, Objectivity, Ontos, Poet oder Servio vermarktet, sind also wenig bewaehrt;

- bieten keine standardisierte Abfragesprache und unterstuetzen weder SQL noch Multiuser-Umgebungen;

- unterstuetzen meist nur eine Programmiersprache (zum Beispiel C++) und

- sind meist proprietaer.

Objekt-relationale Datenbanken

- bieten erweiterbare Datentypen. Sie unterstuetzen eine sehr viel breitere Palette an Datentypen als das RDBMS, darunter Gesamtmengen aus Gruppen von Daten und Objekten, Saetzen, Listen, benutzerdefinierten Datentypen und Objekthierarchien,

- verfuegen ueber erweiterbare, benutzerdefinierte Funktionen, die nicht nur Client-seitig, sondern ueber den Server ausgefuehrt werden koennen;

- zeichnen sich durch erweiterbare Datenzugriffsmethoden aus, die benutzerdefinierte Zugriffsmethoden und damit mehr Performanz beim Zugriff auf benutzerdefinierte Datentypen ermoeglichen;

- erlauben navigierenden Zugriff in Ergaenzung zu wertbasiertem Datenzugriff. Objekte haben einzigartige OIDs, ueber die die Navigation durch die Objekte stattfindet. Dies erlaubt eine neue Art der Datenindizierung und des effizienten Zugriffs auf denormalisierte Daten;

- erlauben die Abfrage nach Inhalten, fuehren so zu einem besseren Verstaendnis der Inhalte komplexer Datentypen und erlauben deren Manipulation. Der Anwender sucht nach Informationen mit Befehlen wie "Finde alle Bilder von Haeusern, die aussehen wie dieses". Das traditionelle RDBMS kann heute diese Abfrageanforderungen und Applikationen mit derartigen Datentypen nicht unterstuetzen;

- bieten logische Integritaet auf der Objektmodell-Ebene. Wird ein Objekt geloescht, werden auch alle anderen Objekte, die von diesem Objekt abhaengen, entfernt, was dem Entwickler die Wartung deutlich erleichtert;

- unterstuetzen SQL und relationale Tabellen, was fuer die Akzeptanz in bestehenden RDBMS-Umgebungen erfolgskritisch ist;

- bieten mehrere Schnittstellen zu Datenbanken, so dass Entwickler und Tools auf verschiedene Arten (Call Level Interface, Embedded SQL Precompiler, C++, Smalltalk, ODBC) auf den Server zugreifen koennen;

- verfuegen ueber robuste Datenbank-Management-Funktionen wie Sicherheit, Integritaet, Verfuegbarkeit, Backup und Recovery und unterstuetzen verteilte Datenbanken, Datenreplikation, Parallelverarbeitung etc.;

- erlauben heterogenen Datenzugriff, der fuer jede Organisation zur Nutzung der bestehenden, unterschiedlichen Datenquellen erfolgskritisch ist und

- erlauben die Nutzung von Tools, die am Markt etabliert und dem Anwender vertraut sind. OODBMS-Hersteller nutzen hier ueberwiegend Eigenentwicklungen, die nicht mit der relationalen Welt und anderen Datenquellen kompatibel sind.