UMTS soll zahlreiche neue Jobs bringen

08.03.2001
Von Wolfgang Müller
Zum Jahreswechsel gab es erstmals mehr Handy-Besitzer als Festnetzanschlüsse in Deutschland. Da aber die Sättigungsgrenze immer näher rückt, wollen die Carrier mit Mobile Business auf Basis der neuen UMTS-Netze zusätzliche Nachfrage schaffen. Dabei entstehen zunächst jede Menge neue Jobs.

Die Prognosen des US-amerikanischen Marktforschungsinstituts Forrester Research sind eher düster: Lediglich fünf der heute 26 Mobilfunkanbieter in Europa werden das Jahr 2007 erleben. Sinkende durchschnittliche Einnahmen pro Kunde und die ruinösen Lizenzgebühren für das Universal Mobile Telecommunications System (UMTS), so die Auguren, führten zur Flurbereinigung auf dem Mobilfunkmarkt. “An die UMTS-Versteigerungen wird sich die europäische Telekommunikationswirtschaft als den Auslöser einer Implosion erinnern”, prophezeit Forrester-Analyst Lars Godell. Denn neben den extrem hohen Gebühren für die UMTS-Lizenzen – in zweistelliger Milliardenhöhe – müssen die Netzbetreiber noch einmal beträchtliche Summen für den Aufbau der erforderlichen Infrastruktur der dritten Mobilfunkgeneration aufbringen. So veranschlagen die großen Carrier wie T-Mobil, D2 Vodafone oder Mobilcom bis zu elf Milliarden Mark für den Netzaufbau, während E-Plus und Viag Interkom mit fünf bis sechs Milliarden Mark rechnen. Newcomer Group 3G – ein Konsortium aus der spanischen Telefongesellschaft Telefónica und der finnischen Sonera – geht sogar von notwendigen Investitionen in Deutschland zwischen elf und 16,4 Milliarden Mark aus.

Doch zunächst schaffen diese riesigen Investitionen erst einmal Arbeitsplätze bei Netzbetreibern, Techniklieferanten und Inhalteanbietern. So will allein die Mobilcom AG, die mit ihrem Partner France Télécom für 16,37 Milliarden Mark eine der begehrten Lizenzen ersteigert hat, die Zahl der Mitarbeiter in der gemeinsamen UMTS-Tochter Mobilcom Multimedia GmbH von 75 Anfang November vergangenen Jahres auf knapp 2000 bis Mitte 2001 steigern. Rund 500 sollen in der Zentrale des Unternehmens im schleswig-holsteinischen Büdelsdorf arbeiten, je 150 in den zehn Niederlassungen im gesamten Bundesgebiet. Gefragt sind vor allem Technikspezialisten für den Netzaufbau und Kundenbetreuer. Hochschulabsolventen werden insbesondere aus den Bereichen Nachrichtentechnik, Wirtschaftsinformatik und Betriebswirtschaftslehre gesucht. D2 Vodafone hat bereits im vergangenen Jahr 1000 neue Mitarbeiter eingestellt, 2001 sollen noch einmal so viele dazukommen. Neben Technikern stehen dabei auch Vertriebsleute und Kundenbetreuer hoch in Kurs. Viag Interkom, mit seinem E2-Netz der Spätzünder bei den GSM-Netzen in Deutschland, hat im Vorgriff auf den UMTS-Netzaufbau die Zahl seiner Mitarbeiter im vergangenen Jahr schon mal um 30 Prozent beziehungsweise um 1500 neue Stellen erhöht. Der Boom hält an: In diesem Jahr sucht der Netzbetreiber vor allem Experten aus der IT-Branche, auch auf internationaler Ebene. Viag-Interkom-Personalchef Joachim Kugoth: “Wir benötigen kurzfristig noch rund 200 neue Mitarbeiter, vor allem Ingenieure, Datenbankadministratoren sowie System- und Internet-Spezialisten.”

Der Zeitdruck ist für alle Netzbetreiber recht hoch, da sie wegen der enormen Vorleistungen möglichst schnell – bis Ende 2002 oder Anfang 2003 – mit der neuen Infrastruktur am Markt sein müssen. Als Hürde könnte sich dabei der Personalengpass herausstellen. Bei Mobilcom Multimedia wurde deshalb das Programm “Mitarbeiter wirbt Mitarbeiter” gestartet. Wer einen neuen Kollegen bringt, erhält eine Kopfprämie von 5000 Mark. “Der Bereich, in dem es um den Netzaufbau geht, ist eine kleine Branche. Da kennt jeder jeden”, meint Mobilcom-Chef Gerhard Schmid und verzichtet deshalb weit gehend auf den Einsatz von Headhuntern. Mit flachen Hierarchien, spannenden Aufgaben und Aktienoptionen will er die High Potentials an den Nord-Ostsee-Kanal locken, knapp eine Autostunde von der dänischen Grenze entfernt. Die Lebenshaltungskosten im äußersten Norden der Republik sind vergleichsweise niedrig, die Gehälter bei Mobilcom auch. Aber immerhin: Es gibt einen Dienstwagen und ein günstiges Handy. In den nächsten Monaten soll ein neues Aktienoptionsprogramm aufgelegt werden. Das ist aber angesichts des stark gefallenen Kurses für die Anteile des am Neuen Markt notierten Unternehmens zumindest kurzfristig vermutlich nur ein schwacher Anreiz. 

Die Verdienstmöglichkeiten bei den Nordlichtern bilden in der Branche allerdings keine Ausnahme. Telekommunikationsspezialisten – so eine aktuelle Gehaltsanalyse des Berufsverbandes IfKom (Ingenieure für Kommunikation) – verdienen trotz des Booms immer noch weniger als ihre Kollegen in anderen Wirtschaftszweigen. Während eine Fach- oder Führungskraft im Handel 1999 im Schnitt 194 000 Mark im Jahr erhielt, ging ein TK-Experte mit 30 000 Mark weniger nach Hause. Noch größer war die Schere im Vergleich zu den Bank- und Versicherungs-Managern, die im Durchschnitt auf ein Jahressalär von 225 000 beziehungsweise 211 000 Mark kommen. Benedikt Jerusalem, Bundesgeschäftsführer der IfKom, hat für diese Diskrepanz zwei Erklärungen: Einerseits bestehe die TK-Branche, abgesehen von der Deutschen Telekom, aus relativ neuen Unternehmen und beschäftige verstärkt junge Mitarbeiter, deren Bezüge noch nicht durch viele Dienstjahre hochgeschraubt werden. Zum anderen mache sich der starke Wettbewerbsintensität auf dem Markt bemerkbar. Anders als zum Beispiel bei den Investmentbankern oder Unternehmensberatern, bei denen der Fachkräftemangel die Gehälter in immer neue Höhen treibt, fehlen in der Telekommunikation vielfach noch die Erlöse, um es diesen beiden Branchen gleichzutun und das händeringend gesuchte Personal mit hohen Gehaltssummen zu locken.

Auch wenn der Vergleich mit anderen Wirtschaftszweigen noch negativ ausfällt, wuchs doch laut der IfKom-Analyse, bei der über 750 Fach- und Führungskräfte befragt wurden, das Gehaltsniveau in der TK-Branche von 1998 auf 1999 überdurchschnittlich. “Während andere Bereiche um zwei bis zweieinhalb Prozent gestiegen sind, haben die Gehälter in unserer Studie deutlich stärker zugelegt”, erläutert Jerusalem. Weiter zeigte die Untersuchung, dass in der TK-Branche Führungskräfte mit einem kaufmännischen Hochschulabschluss in den höheren Hierarchieebenen um einige Tausend Mark besser bezahlt werden als Führungskräfte mit einem technischen Diplom. Diese Relation kehrt sich erst bei niedrigeren Führungsebenen und bei Fachkräften deutlich um: Hier erhalten Ingenieure mit 119 000 beziehungsweise 110 000 Mark deutlich mehr als Kaufleute (107 000 beziehungsweise 95 000 Mark). Nach den Gehaltstrends für das kommende Jahr gefragt, gibt sich Jerusalem verhalten optimistisch: “Der Mangel an geeigneten Mitarbeitern wird die TK-Branche weiter beschäftigen, aber es ist fraglich, ob sich das auch in den Gehältern niederschlägt.” An den “Jobmotor UMTS” mag der ifKom-Geschäftsführer jedenfalls kurzfristig nicht so recht glauben. Man müsse womöglich mit deutlichen Substitutionseffekten rechnen. “Wer früher das C-Netz entwickelt hat, hat danach am D-Netz gearbeitet und wird jetzt bei UMTS eingesetzt”, so der Verbandsvertreter. Da werde sich längerfristig auf dem Arbeitsmarkt möglicherweise gar nicht viel tun.

Da sich an den enormen Ausgaben für Lizenzgebühren und den Aufbau der Infrastruktur für die dritte Mobilfunkgeneration nichts ändern lässt, versuchen die Carrier die Gesamtkosten zu reduzieren, indem sie die Betriebsaufwendungen senken. Doch das ist nicht so einfach. Denn um sich nicht von einem Anbieter abhängig zu machen, beauftragen die TK-Gesellschaften in der Regel mehrere Lieferanten. So hat D2 Vodafone beispielsweise bei Siemens und Ericsson jeweils in Höhe von einer Milliarde Mark UMTS-Equipment bestellt. “Auch in unserem bisherigen GSM-Netz wird bereits Technik von diesen beiden Herstellern eingesetzt”, berichtet Ulrich Schroer, Mitarbeiter im Technischen Betrieb bei D2 Vodafone in Düsseldorf. Dabei tritt jedoch ein Problem auf: Jeder Hersteller liefert zu seiner Hardware ein eigenes Überwachungssystem mit. Weil es für das Netzwerk-Management bisher kein übergreifendes Softwareprodukt gibt, müssen die Betreiber dieses Manko mit einem hohen Personaleinsatz in ihren Kontrollzentren und aufwändigen Integrationsanwendungen ausgleichen. Mit dem Aufbau der neuen High-Speed-Mobilfunknetze wird sich diese Problematik noch weiter verschärfen. Schroer: “Der Aufbau unseres UMTS-Netzes beginnt in den Ballungsgebieten, und das GSM-Netz wird in den nächsten Jahren auch weiter funken. Deshalb werden wir über viele Jahre eine parallele Infrastruktur betreiben.”

Pro Monat – so die Statistik – gibt es schon heute in den großen deutschen Mobilfunknetzen an die 3000 Änderungen. Denn die rapide wachsenden Teilnehmerzahlen, zusätzliche Services und neue Abrechnungsmodelle erfordern ständige Neukonfigurationen auf den verschiedenen Netzebenen. “Mit der Hand und einfachen Hilfsmitteln ist das auf Dauer nicht mehr zu schaffen”, sagt Volker Stingl, Leiter des Geschäftsbereichs Telco der Bull GmbH in Langen. Deshalb starteten Netzbetreiber und Ausrüster das Projekt “Mobile Common Configuration Management”, das einen gemeinsamen Standard und einheitliche Schnittstellen schaffen will. “Da dieser Standard jedoch nur erfolgreich sein kann, wenn ihn möglichst viele Netzbetreiber nutzen, unterstützen auch wir ihn”, ergänzt Michael Berberich, Projektleiter bei T-Mobil in Bonn. Neben den beiden deutschen Carriern D2 Vodafone und T-Mobil sind der Netzbetreiber Orange aus Großbritannien, die Systemintegratoren Bull, PSI und Compaq Computers, die Softwarehersteller Cramer Systems, Evidian und Ilog sowie die Techniklieferanten Ericsson, Motorola, Nokia, Siemens, Alcatel und Lucent an dem Projekt beteiligt. “Wir programmieren darin allerdings keine Anwendungen oder Werkzeuge, sondern einigen uns auf einheitliche Spezifikationen, legen die Standards fest und kombinieren am Markt vorhandene Komponenten zu funktionsfähigen Gesamtlösungen” betont Stingl von der Bull GmbH, dessen Unternehmen in dem Gemeinschaftsprojekt die Entwicklung leitet.

Vor dem Hintergrund des rapiden Wachstums im TK-Umfeld suche Bull Telco ständig qualifizierte Hochschulabsolventen und Young Professionals mit Kenntnissen in den Bereichen offene Systeme (wie Unix), Web-Technologie (wie Java) und insbesondere in den Bereichen IP-Billing, Customer-Relationship- und Netzwerk-Management. Die Mobiltelefonie sei allerdings nur eines von vielen Geschäftsfeldern des Systemintegrators im Zukunftsmarkt Telekommunikation. “Für den weiteren Ausbau unserer Geschäftsaktivitäten suchen wir regelmäßig Hochschulabsolventen der Fachrichtungen Informatik, Mathematik, Natur-, Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften”, sagt Stingl. Doch von allein kommen diese High Potentials in der Regel nicht. Deshalb unterstützt beispielsweise der Mobilfunkhersteller Ericsson den Aufbau neuer Lehrstühle im Bereich Mobilkommunikation an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen/Nürnberg und der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH). Sie sollen, die bereits im kommenden Wintersemester 2001/2002 mit ihrer Arbeit beginnen sollen. Themen werden beispielsweise Softwareentwicklung für Telekommunikationsnetze, Signalisiersysteme und Mehrwertdienste, die Konvergenz von Mobil- und Festnetzen, Mobilitätsverwaltung in paketvermittelten Netzen, Interoperabilität von Funkzugangsnetzen sowie die Sicherheit mobiler Netze sein. Auch ausländische Studenten können im Rahmen eines Master-Programms englischsprachige Vorlesungen in “Communication Engineering” besuchen.

Da aber wegen der rasanten technologischen Entwicklung an den meisten Hochschulen bisher noch keine entsprechenden Studiengänge etabliert werden konnten, führen viele Unternehmen die Hochschulabsolventen häufig intern durch Weiterbildungsprogramme an die neuen Techniken heran. “Etliche Mitarbeiter sind bei uns sogar ganz ohne Telekommunikationswissen gestartet”, erinnert sich Rudi Schmidt von der Debitel AG. Das Stuttgarter Unternehmen rekrutiert Bewerber direkt von der Universität. Im “Young Professionals”-Programm des Carriers können die Absolventen gleich in dem Ressort anfangen, das sie interessiert. Nach eineinhalb Jahren können sie eines der Tochterunternehmen im europäischen Ausland kennen lernen. Doch auch wenn technisches Fachwissen nicht unbedingt erforderlich ist, sind die Anforderungen an die Bewerber hoch. “Wir erwarten die Fähigkeit zu vernetztem Denken und konzeptionellem Arbeiten, schnelles Umsetzungsvermögen und die Bereitschaft, sich aktiv in neue Themen einzubringen”, bringt Schmidt die Voraussetzungen auf den Punkt.