Open-Source-Gemeinde sieht Rot

Umstrittener W3C-Vorschlag zu Patenttechnik in Web-Standards

19.10.2001
MÜNCHEN (CW) - Das W3C sorgt für einen Sturm der Entrüstung. Nachdem das Gremium Softwareherstellern ihre Rechte an patentrechtlich geschützten Techniken in Internet-Standards öffentlich zugestand, hagelte es wütende Proteste.

Stein des Anstoßes ist ein vom W3C veröffentlichtes Dokument mit dem Titel "Patent Policy Framework", in dem es heißt, dass Firmen, die der Organisation eigene Patente zu Web-Spezifikationen zur Verfügung stellen, alle Rechte an ihren Entwicklungen behalten. Sie seien legitimiert, Lizenzgebühren für die Nutzung des betreffenden Standards zu fordern. Damit weicht das Gremium von seinem bisherigen Prozedere ab, da bis dato alle vom W3C ausgearbeiteten Standards kostenfrei zur Verfügung gestellt wurden.

Der Vorschlag, erarbeitet durch die Patent Policy Working Group, hat nach Ansicht von Experten erheblichen Einfluss auf die Implementierung von W3C-Standards in Open-Source-Software. Nach den Regeln der "General Public License" (GPL) muss Software, die GPL-Code enthält, selbst Open-Source-Software sein. Dies ist jedoch unvereinbar mit Standards, die patentierte Technik enthalten.

Das W3C setzt sich aus einer Vielzahl von Herstellern der IT-Branche zusammen, die ihr Wissen und ihre Technologie einbringen, um beispielsweise Internet-Spezifikationen wie etwa das Simple Object Access Protocol (Soap) zu schaffen. Die beteiligten W3C-Mitgliedsunternehmen erhalten dabei keine Entschädigung für ihre Arbeit und das eingebrachte Wissen. Dabei soll es nicht bleiben: Die Patent Policy Working Group wurde ins Leben gerufen, um sich mit patentrechtlichen Aspekten zu beschäftigen.

Im Zuge der Weiterentwicklung des WWW komme die Branche nicht umhin, auf geschützte Techniken zurückzugreifen, argumentiert die Working Group, in der unter anderem Firmen wie Microsoft, Apple, IBM, Sun und Hewlett-Packard (HP) vertreten sind. Zu dem umstrittenen Dokument dieser Gruppe heisst es, das W3C wolle auch weiterhin Spezifikationen verabschieden, die kostenfrei von jedermann verwendet werden können. Bei Standards, wo dies ohne Einbeziehung patentierter Verfahren nicht möglich sei, solle ein angemessenes, diskriminierungsfreies Lizenzmodell (reasonable, non-discriminatory, kurz "Rand") zum Tragen kommen, das auch Lizenzgebühren für Patentinhaber vorsieht.

Neben den Kritikern aus der Open-Source-Gemeinde befürchten andere Opponenten eine Monopolisierung bei der Nutzung von Standards durch Patentinhaber, zu denen vor allem große Hersteller zählen. "Diskriminierungsfrei ist das Rand-Modell per Definition nicht, da es die Freie-Software-Community ausgrenzt", bemerkt Richard Stallman, Chef der Free Software Foundation. "Mit seinem Vorschlag agiert das W3C wie eine Business-Development-Abteilung für ein Unternehmen, dass Lizenzgebühren erhebt." Auch Eben Maglen, Rechtsberater der Free Software Foundation macht seinem Unmut über den W3C-Entwurf Luft. Dadurch würden bald einige Anbieter proprietärer Produkte im Web das Sagen haben.

In die Schusslinie gerieten dabei auch Mitglieder der Patentarbeitsgruppe des W3C, die gleichzeitig in der Open-Source-Gemeinde mitmischen, wie zum Beispiel Hewlett-Packard. Deren oberster Linux-Apostel Bruce Perens schrieb im Nachrichtenservice "Linux Today", die Position seines Unternehmens in Bezug auf das Rand-Lizenzmodell sei falsch interpretiert worden. HP vertrete die Ansicht, dass mit Lizenzgebühren belastete Standards keine Chance hätten. Dieser Ansicht seien auch die Arbeitsgruppenmitglieder Sun und sogar Microsoft. "Es ist die Aufgabe des W3C, Versuche zu unterbinden, dem Web seiner Offenheit zu berauben", schreibt Perens dem Standardisierungsgremium ins Stammbuch.

In die gleiche Kerbe schlägt Tim OReilly, Chef des gleichnamigen, auf Open-Souce-Literatur spezalisierten Verlags: "Softwarepatente unterwandern alles, für dass das Web und das W3C bisher stand." Auch Alan Cox, technischer Leiter des Linux-Kernel-Teams und rechte Hand des Linux-Vaters Linus Torvalds wettert gegen die neuen Attitüden des Konsortiums. Er bezeichnet es als eine Schande, wie das Gremium sich seiner Daseinsberechtigung beraubt. Für schlicht kontraproduktiv hält Lars Eilebrecht vom Core-Team des Open-Source-Webservers Apache die Vorschläge zur Patentpolitik des W3C. "Falls die Standardisierungsvereinigung das Vorhaben umsetzt, brauchen wir möglicherweise eine neue Organisation, die diese Aufgaben wahrnimmt."

Angesichts der auf den W3C-Vorschlag folgenden großen Anzahl an kritischen Postings entschloss sich das Gremium, die Frist für Stellungnahmen bis zum 11. Oktober auszuweiten.

Zwischenzeitlich verteidigte sich das W3C mit dem Hinweis darauf, dass auch die IETF nach einem ähnlichen Schema arbeiten.