Umsatzeinbuße bedeutet schweren Start für den neuen Stuttgarter Boß Henkel:Die IBM kann das Branchentempo nicht halten

20.03.1987

MÜNCHEN - Big Blue in der Defensive: Die bisher stets aufwärtsstrebende Umsatzkurve der IBM Deutschland GmbH hat einen scharfen Knick nach unten bekommen. Konzernchef Hans - Olaf Henkel sieht sich bereits im ersten Jahr seiner Regentschaft in "Fort Vaihingen" mit einer schweren Herausforderung konfrontiert: Bei scharfem Gegenwind muß er versuchen, das Steuer herumzureißen.

Um mehr als den Betrag, den Mini - Marktführer Digital Equipment in Deutschland einnahm, ist im Jahr 1986 der Umsatz der deutschen IBM zurückgegangen: um 1,2 Milliarden auf 12 Milliarden Mark, also um neun Prozent. Das Inlandsgeschäft sackte gar um 12,7 Prozent auf 7,2 Milliarden Mark ab. Und auch im Export kann Big Blues deutsche Tochter keine Erfolgsmeldung vorweisen; hier kam sie allerdings mit einem Minus von 3,2 Prozent noch am glimpflichsten davon. Wie sich die Talfahrt der Einnahmen auf den Jahresüberschuß ausgewirkt hat, ist noch nicht heraus: Die Stunde der Wahrheit schlägt erst am 14. April, wenn die Bilanz veröffentlicht wird.

Hans - Olaf Henkel, seit ein paar Monaten nicht nur de facto, sondern auch qua Amt wichtigster Mann in der Stuttgarter Geschäftsleitung, hat das Ruder in einem Jahr übernommen, in dem der scharfe Wind sämtliche Schwachstellen des DV - Multis bloßlegte. Selbstkritisch erklärte er der Wirtschaftspresse, Big Blue habe es im vorigen Jahr an ausreichender Präsenz in den "Wachstumsbereichen" der Branche gemangelt. Die positiven Effekte der Absatzsteigerungen bei Großrechnern und Mikros seien durch die unerläßlichen Preissenkungen wieder aufgefressen worden; im zweiten Halbjahr habe es bei der Hardware einen ziemlichen Absturz gegeben, zitiert die Agentur Reuter den IBM - Boß.

Der offiziellen Lesart zufolge ist der blaue Riese nicht zuletzt wegen der Währungskursverschiebungen um ein Zehntel geschrumpft. So stimmte Henkel in Stuttgart in den Branchen - Chor ein, der dem Dollarkurs ein Gutteil der Schuld am Umsatzrückgang zuweist.

Doch nach Angaben der IBM - Pressestelle stammt die in Europa verkaufte Ware bis auf wenige Ausnahmen aus europäischer Produktion: Mainframes aus Montpellier, PCs aus Greenock, Speicher aus Mainz, Chips aus Böblingen etc. Die Verbindung zum Dollarkurs stellt der Unternehmenssprecher über die Preispolitik her. So solle Gleiches weltweit zu "vergleichbaren Preisen" offeriert werden, damit die Anwender und Broker nicht ihre Hardware bei ausländischen IBM - Gesellschaften kaufen. Folge: Big Blue muß hierzulande Preisnachlässe geben, hinter denen keine Kursgewinne stehen.

Aber indirekt mußte Henkel auch zugeben, daß der Konkurrenzdruck seinem Haus arg zu schaffen macht. Weltweite Überkapazitäten einiger amerikanischer und japanischer Hersteller hätten das ihre getan, das Preisniveau zu drücken. Der PC - Sektor, in dem dieses Problem am drängendsten ist, spielt indes für die deutsche IBM nur eine marginale Rolle.

So setzte die GmbH nach einer groben Schätzung des Diebold - Analysten Thomas Centner 1986 mit nicht einmal 70 000 Stück der kleinen Rechner eine knappe halbe Milliarde Mark um. Demnach hätte IBM bei einem um ein Drittel gesenkten Hardwarepreis gerade 20 Prozent des gesamten Umsatzrückgangs, nämlich eine viertel Milliarde, dem PC -Engagement zuzuschreiben. Berücksichtigt man, daß ein Mengenwachstum stattgefunden hat, liegt der Einfluß des PC - Geschäfts eher niedriger. Offenbar konnte bei den Mainframes, die laut Henkel um 23 Prozent billiger geworden sind, das Plus bei den Installationen den Preisrutsch nicht wettmachen.

Die IBM - Werke sind nicht mehr ausgelastet

Das Problem der Überkapazitäten trifft übrigens nicht nur die Mitbewerber von Big Blue. Auch die IBM - Werke sind nicht mehr ausgelastet. Der Stuttgarter Boß verspricht zwar, die "Politik der Vollbeschäftigung" solle weiterverfolgt werden, doch so ganz sicher wie einst, als es hieß, man müsse schon silberne Löffel stehlen, um entlassen zu werden, fühlt sich das Personal nicht mehr. Sparen will die IBM GmbH in den "indirekten Bereichen", das heißt, in den Fertigungsbetrieben sollen weniger Mitarbeiter beschäftigt werden, die nichts mit der eigentlichen Fließbandarbeit zu tun haben.

Big Blue hält sich auch mit Investitionen zurück. Im vorigen Jahr steckte der Konzern mit "über einer Milliarde Mark" nicht so viel in "Sachaufwendungen" wie 1985, als der Geschäftsbericht hierfür einen Betrag von 1, 1 Milliarden Mark auswies. Und dabei sind die Investitionen seit Jahren rückläufig. 1981 hatten sie noch bei 1,4 Milliarden Mark gelegen.

Um zu investieren, bedarf es freilich konkreter Pläne, wohin sich das Unternehmen entwickeln soll. Marktkenner wie Hans J. Grobe, Sprecher der Diebold - Geschäftsleitung, vermögen zwar auch aus dem Stegreif nichts zu erkennen, was eindeutig Besserung verheißen würde, aber IBM sei "immer noch für eine Überraschung gut". Auf dem Tisch sind bislang nur Hans - Olaf Henkels Wachstumsrezepte, denen unschwer anzusehen ist, daß die Armonker Bosse dem Manager die Hand geführt haben. Mit den Abteilungsrechnern der Serie 9370, mit Bankenterminals, mit Anwendungssoftware oder digitalen Nebenstellenanlagen, die vermutlich aus dem Rolm - Stall kommen werden, soll das Steuer herumgerissen werden.

Diebold - Mann Grobe jedenfalls sieht den Einbruch bei den Jumbos. "IBM muß versuchen, im Mainframe - Sektor wieder stärker Fuß zu fassen. " Mit Telekommunikationsprodukten sei das Problem, wie auch Grobes Kollege Fritz Reinhard Müller meint, nicht aus der Welt zu schaffen: "Nixdorf ist seit Jahren mit digitalen Nebenstellenanlagen zugange, hat aber keiner Vertrieb dafür. Und IBM hat ihn genausowenig. Die Konkurrenz wie Telenorma, SEL und Siemens dagegen beherrscht dieses Geschäft seit Jahrzehnten."

Mit der Weichware tut sich der Hardware - Gigant ebenfalls schwer. Im Gegensatz zur Praxis der siebziger Jahre "geht man heute nicht mehr zur IBM wegen Rechnungswesen, Lagerwirtschaft, Fertigungssteuerung". Allenfalls könne Big Blue durch die Übernahme eines Anwendungssoftwarehauses Umsatz dazukaufen. Und im Betriebssystemmarkt sei kein wesentliches Zusatzgeschäft zu machen, urteilen die befragten Experten einhellig.

Die ersten 9370 - Computer, Haupthoffnungsträger der IBM, werden erst gegen Ende dieses Jahres ausgeliefert, so daß auch aus dieser Richtung zumindest im laufenden Geschäftsjahr keine positiven Impulse kommen werden - im Gegenteil: Big Blue mache sich selbst Konkurrenz befindet Müller. Anwender der 4341 überlegten sich jetzt, ob es statt einer fälligen 4381 nicht auch ein größeres Modell der 9370 sein könne. Das hieße: weniger Umsatz in der Stuttgarter Kasse.

Nur bei den Banken, die Henkel besonders ins Visier genommen hat, geben Insider IBM relativ gute Chancen, zuzulegen. Hier sei ein Markt für Abteilungsrechner zu erwarten. Im Front - Office - Bereich rechnen die Experten indes lediglich mit einer Fortsetzung des alten Wettstreits zwischen IBM und Nixdorf, die mit je 40 Prozent Marktanteil einander ebenbürtige Rivalen seien. Wenn Big Blue hier einen Reibach machen könne, dann "nicht aufgrund der Produktqualität, sondern wegen der konservativen Haltung des Bankgewerbes".

Handfeste Konkurrenz für die 3090 - Baureihe

Der Knackpunkt aber scheint in der Tat bei der Baureihe 3090 zu liegen. Müller: "Hier hatten die Anwender ihre Erwartungen höher angesiedelt. Sie dachten, die Rechner wären leistungsfähiger." Der Second - hand - Markt für 308X - Systeme habe sich daher zur handfesten Konkurrenz für die neuen Sierras entwickelt. "Außerdem wird oft der Punkt unterschätzt, daß Anwenderunternehmen wegen konjunktureller Unsicherheiten ihre DV -Investitionen hinausschieben." Zu guter Letzt leide Big Blues deutsches Mainframe -Geschäft unter Konkurrenz aus Drittländern - so seien 1986 wahrscheinlich gut zwei Dutzend 3090 - Anlagen vom billigeren britischen Markt importiert worden.

Für das laufende Geschäftsjahr sehen die Branchenauguren bei stabilem oder leicht steigendem Dollar eher eine Stagnation denn einen weiteren Umsatzverfall kommen. Um aber das ramponierte Image aufzupolieren und den Status quo zu halten, setzt Henkel jetzt auf eine demonstrative Hinwendung zum Kunden. Die Präsenz beim Anwender soll ausgebaut, das Wort "Service" großgeschrieben werden. 700 neue Kundenberater schickt der Boß 1987 auf die Walz.