Ueberdimensionierte DV und kleine Budgets

05.11.1993

Die installierte Hard- und Software in den neuen Bundeslaendern ist westlicher Praegung und Robotron-Rechner sind Schnee von gestern. Die Probleme - seien es nun Mitarbeiterabbau in den IT-Abteilungen oder sinkende DV-Budgets - beschaeftigen nicht nur ostdeutsche DV- Verantwortliche, sondern auch ihre westdeutschen Kollegen. Gleichwohl sind diese Schwierigkeiten im Osten der Republik aber von anderer Qualitaet und lasten schwer auf den DV-Abteilungen. Sie beruhen auf dem Prinzip Ursache und Wirkung und machen einen kurzen Rueckblick in die Vergangenheit unumgaenglich.

Nach dem Mauerfall ruesteten die Kombinate in kuerzester Zeit auf das zu DDR-Zeiten heissbegehrte West-Equipment um. Das waren haeufig guenstig angebotene proprietaere Mainframe-Plattformen mit SAP- Installationen, die aus der damaligen Sicht wohl auch angemessen waren. Man denke nur einmal daran, wie viele Mitarbeiter in den Kombinaten beschaeftigt waren und wie tief die Fertigung der autarkie-orientierten Kombinate beziehungs-weise VEBs gegliedert war. Ausserdem war Eile geboten, denn die ehemaligen Kombinate waren bereits Ende 1990 bilanzierungspflichtig. Im Zuge dieser Umstrukturierung wurden in vielen Unternehmen Inselloesungen installiert, mit denen sich die DV- Manager noch heute auseinandersetzen muessen.

Die Situation aenderte sich allerdings drastisch, als die Kombinate und VEBs privatisiert und in kleinere Einheiten zerschlagen wurden. Die Datenvolumina reduzierte sich dementsprechend, und die DV-Loesung war haeufig fuer das verbleibende Rumpfunternehmen ueberdimensioniert und damit auch zu kostenintensiv. Damit waere im uebrigen das Argument, die ostdeutschen DV-Abteilungen haetten nicht mit Altlasten zu kaempfen, zumindest teilweise widerlegt.

Die ausgegliederten Unternehmensbereiche konnten auf die neue Situation aufsetzen: Wenn sie aufgekauft waren, wurden sie groesstenteils an die Muttergesellschaft angeschlossen. Aber auch hier verschlechterte sich die Situation dramatisch - denn der erwartete Aufschwung Ost setzte nicht ein. Die Euphorie und die Aufschwungstimmung, die in dem ein oder anderen Fall auch vor den Tueren der IT-Abteilungen nicht halt machte, war spaetestens nach zwei Jahren wie weggeblasen. Die Ostgeschaefte, fuer die die neuen Laender Dreh- und Angelpunkt sein sollten, blieben weitestgehend aus. Schlimmer noch, die bereits bestehenden Geschaefte brachen den ostdeutschen Unternehmen weg - ganz zu schweigen von den Problemen, in festgefuegte Maerkte im mittlerweile rezessionsgeplagten Westen hineinzukommen.

Die Situation, auf einen Nenner gebracht, stellt sich also so dar: Auf der einen Seite eine haeufig ueberdimensionierte IT-Loesung mit einem hohen Anteil an laufenden Kosten, auf der anderen Seite die bis an die Schmerz-grenze gehende Reduktion der Mitarbeiter und IV-Budgets. Erst 1994 wird der Mitarbeiterabbau gestoppt - so die Einschaetzung der befragten Ost-Unterneh-men. Die DV-Budgets werden fruehestens ab 1995 wieder steigen - aber voraussichtlich nicht das Niveau von 1992 erreichen.

Aber nicht nur der Kostendruck ist das Motiv fuer den Umbruch in der Informations-verarbeitung, sondern auch die Erwartungshaltung des Unternehmens-Managements gegen-ueber der internen DV. Die ostdeutschen Firmen haben den strategischen Wert der IT erkannt und messen der Informationsverarbeitung in der Wertschoepfungskette einen hohen Stellenwert bei. Insbesondere die IT-gestuetzte Verkuerzung der Auftragsdurchlaufzeiten und der Zeit zwischen Kunden-nachfrage und Angebotslegung sind vorrangige Anforderungen, die das Management an die DV stellt, um die Wettbewerbsfaehigkeit der ostdeutschen Unterneh-men zu verbessern. Jammern hilft nicht - der noch so kleine Spielraum muss vor diesem Hintergrund gewitzt genutzt werden.

Mittelfristige Konzepte liegen groesstenteils in den Unterneh-men vor. Die Aenderung der Systemarchitekturen wird an vor-derster Front stehen. Weitere Schwerpunkte, die sich in diesen Strategien widerspiegeln, sind die Integration von Inseln, insbesondere in der Materialwirtschaft und im Verkauf, und die Einfuehrung von PPS- und CAD- Systemen. Aber auch die Vernetzung innerhalb des Unternehmens oder mit anderen - seien es nun LANs oder WANs - findet man in der Planung beruecksichtigt.

Planung ist das eine - Durchfuehrung das andere: So wollen beispielsweise 20 Prozent der Berliner und Brandenburger Unternehmen die Probleme in naechster Zeit konkret angehen und die Defizte beheben.

Auf dem 1. IT-Anwender-forum Berlin/Brandenburg in Berlin (ausgerichtet von der Marktforschungsgesellschaft Koehler- Frost & Partner, Berlin, sowie dem Ingenieurtechnischen Verband - ehemals Kammer der Technik -, Berlin) stellten IT-Manager ihre ueberzeugenden Loesungen vor: Es gibt durchaus Moeglichkeiten, durch die Migration beispielsweise von proprie-taeren Grossrechner- Plattformen zu offenen Systemen nicht nur die laufenden Kosten einschneidend zu senken, sondern den Kampf der Unternehmen im Wettbewerb tatkraeftig zu unterstuetzen. Sie nutzen dabei alle Moeglichkeiten, um aus ihren Budgets das noetige Geld fuer Innovationen freizuschaufeln. Einige waehlen Outsourcing der gesamten oder eines Teiles der DV, um laufende Kosten nicht selten bis zu 20 Prozent zu reduzieren.

Die Umstellungskosten, die bei Umstrukturierung oder Veraenderung der Systemarchitektur auftreten, sind bekanntermassen erst einmal hoch und koennen schlimmstenfalls bereits ein K.-o.-Kriterium sein. Um den noch verbleibenden Spielraum ausschoepfen zu koennen, muessen die vorhandenen DV- Kosten auf Herz und Nieren ueberprueft werden, um vielleicht versteckte Mittel freispielen zu koennen. Kosten- Nutzen-Analysen sind allerdings haeufig ein Schwachpunkt. In der Regel wird auch nicht mit freigespielten Mitteln eine Umstrukturierung moeglich sein. Sie koennen jedoch als Startkapital fuer erforderliche Investitionen dienen. Und eine Kosten-Nutzen- Analyse hilft zumindest, Alternativloesungen zu bewerten. Es muessen also zusaetzlich auch Finanzierungskonzepte fuer Alternativen erstellt werden, bevor die Unterneh-men an die Umsetzung gehen. Hier werden auch die IT-Anbieter kurzfristig staerker als zuvor gefordert sein, denn: Komplettangebote mit Finanzierungsmoeglichkeiten sind gefragt.

Wenn die ostdeutschen Unternehmen das Tal 1993/94 durchschritten haben, werden sie voraussichtlich ueber modernste IT-Loesungen verfuegen. Das kann dazu fuehren, dass sie sogar die Vorreiterrolle in der deutschen Wirtschaft uebernehmen.