Konsequenzen für Anforderungsprofile und Karrieren, Teil 1:

Über das organisatorische Interface zu neuen DV-Jobs

29.05.1987

Neue Berufe und Tätigkeiten entstehen unter dem Einfluß der Informations- und Kommunikationstechniken im DV-Bereich. Welche grundsätzlichen Ausbautendenzen im Stellenspektrum zeichnen sich ab oder sind zu erwarten? Welche konkreten beruflichen Chancen ergeben sich daraus? In einem zweiteiligen Beitrag geht Dr. Michael Wollnik vom Organisationsseminar der Universität Köln diesen Fragen nach. Besondere Bedeutung gibt der Wissenschaftler dabei dem Gedanken, daß sich ohne stellenorganisatorische Reaktionen im DV-Bereich auch keine neuen Anforderungsprofile und Berufsbilder festigen werden. Dies unterstreicht seiner Meinung nach die Wichtigkeit eines organisatorischen Informationsmanagements.

Die Arbeit in den Datenverarbeitungsabteilungen fortgeschrittener Anwenderunternehmen und auch bei den datenverarbeitungsorientierten Beratern befindet sich gegenwärtig unter dem Druck starker Veränderungstendenzen. Diese arbeitsinhaltlichen Veränderungstendenzen sind durch informations- und kommunikationstechnologische Neuerungen ausgelöst worden, die seit Beginn der 80er Jahre zur Anwendung drängen. Man kann durchaus von einem technologischen Umbruch sprechen. Er hat zwei grundlegende neue Optionen hervorgebracht:

- das Inventar der individuellen, dezentralisierten Datenverarbeitung, verkörpert in Mikrocomputern, benutzereigenen langfristigen Speichermedien (Festplatten, Disketten, Kassetten), einfach zu bedienender, menü- und mausorientierter Standardsoftware und Programmiersprachen der sogenannten "Vierten Generation" (Forth Generation Languages, FGLs)

- die zur "Kommunikationstechnologie" gemauserte Datenübertragungs- und Fernmeldetechnik, repräsentiert in Form lokaler Netze, die verschiedene Kommunikationsformen unterstützen, sowie in den Anschlußmöglichkeiten an überlokale, von der Deutschen Bundespost betriebene Kommunikationsdienste (Teletex, Telefax, Telebox, Btx).

Diese neuen Optionen treten als zusätzliche Alternativen neben die in den meisten Mittel- und Großunternehmungen vorhandene "traditionelle" Datenverarbeitungstechnologie der Großrechenanlage und der anwenderspezifisch ausgearbeiteten Anwendungssoftware. Die skizzierten neuen Techniken werden allgemein als Ergänzung, nicht jedoch als Ersatz dieser traditionellen und zentralistisch orientierten Informationstechnologien betrachtet.

Großrechner, das Inventar der individuellen Datenverarbeitung und die Kommunikationstechnologie haben bei allen substantiellen Unterschieden aus Anwendersicht einen wichtigen gemeinsamen Grundzug: Sie stellen Potentiale dar, deren Nutzung nicht konkret festgelegt ist, die somit also "nutzungsunspezifisch" - oder anwendungsoffen - sind. Für solche nutzungsunspezifischen Potentiale, die erst noch in bestimmte Anwendungen umzusetzen sind, erscheint die Bezeichnung "Infrastruktur" treffend. Die Großrechenanlage gilt heute als "klassische" Infrastruktur der Informationsverarbeitung. Das Telefon und die hinter ihm stehenden Übertragungs- und Vermittlungseinrichtungen bilden die klassische Infrastruktur technikgestützter Kommunikation. Es ist nun entscheidend, zu erkennen, daß die datentechnische Entwicklung den Spielraum informations- und kommunikationstechnologischer Infrastrukturen in den letzten Jahren beträchtlich erweitert hat; kritisch ließe sich anfügen: bis an die Grenze der Orientierungslosigkeit. Dies hat die Unternehmungen vor die Notwendigkeit geführt, sich im Hinblick auf die Informationsverarbeitung Grundsatzentscheidungen von strategischer Bedeutung zu stellen. Diese Grundsatzentscheidungen sind mit denen vergleichbar, die seinerzeit - etwa in den 60er Jahren - zum Einsatz der Großrechner und zum Aufbau innerbetrieblicher DV-Abteilungen zu treffen waren. Auf diese neue Herausforderung zu strategischen Entscheidungen im Bereich der Informationsverarbeitung wird unter dem schillernden Etikett "Informationsmanagement" nach Antworten gesucht.

In einer von Fehleinschätzungen und übertriebenen Ansprüchen bereinigten Fassung markiert "Informationsmanagement" eine erweiterte Konzeption der computergestützten Verarbeitung und Übertragung von Informationen. Sie verhält sich zum herkömmlichen Datenverarbeitungsverständnis etwa so wie das jetzt greifbare Spektrum der DV-Infrastrukturen zur traditionellen Großrechenanlage. "Informationsmanagement" signalisiert eine für die Gesamtunternehmung abgestimmte Bereitstellung, Anwendung und Verwaltung der verfügbaren infrastrukturellen Einrichtungen zur Informationsverarbeitung und Kommunikation und über diese Handhabung der "Information Ressources" auch eine Einflußnahme auf die qualitativ-inhaltlichen Aspekte der Informationsversorgung. 1)

In der Konzeption des Informationsmanagements sind zum jetzigen Zeitpunkt drei Stoßrichtungen als vorrangig auszumachen: 2)

- die strategische Planung der betrieblichen informationsbezogenen Infrastrukturen ("Technologiearchitekturen") und der konkreten Informationssysteme ("Anwendungsportfolios")

- die organisatorischen Reaktionen; sie betreffen Umstrukturierungen im DV-Bereich, insbesondere bei der Systementwicklung, in den Benutzerbereichen und an der Grenze zwischen DV-Bereich und Benutzerbereichen, also in den Interaktionen DV-Bereich/ Benutzerbereiche (Fachabteilungen)

- die kontrollmethodischen Verbesserungen im Hinblick auf die wirtschaftliche Gestaltung und Nutzung der Informations- und Kommunikationstechniken.

Für die mit dem Informationsmanagement verbundenen berufs- und karriererelevanten Verschiebungen sind in erster Linie die organisatorischen Reaktionen bedeutsam. Sich neuen Anforderungen tatsächlich zu stellen und sie systematisch aufzugreifen, bedarf jeweils organisatorischer Willensbekundungen. Stellen, in die man einsteigen und die man auf seinem Karriereweg durchlaufen kann, müssen zunächst organisatorisch geschaffen werden. Anforderungsprofile können sich erst herauskristallisieren, wenn grundsätzliche Aufgabendefinitionen stellenmäßig verankert sind.

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Die Unternehmungen stehen heute wieder vor technologiepolitischen Grundsatzentscheidungen wie in den 60er Jahren

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Eine gezielte, die Professionalisierung fördernde Rekrutierung läßt sich nur vor dem Hintergrund eines differenzierten Stellenspektrums durchführen. Hinsichtlich dieses organisatorischen Aspektes lassen die Verhältnisse in vielen Anwenderunternehmen noch oft einen Rückstand erkennen. Die vorliegenden Eindrücke bestätigen, daß die DV-Bereiche vielfach nicht in der Lage sind, den aus den neuen Technologien erwachsenden funktionalen Anforderungen nach abgestimmter Bereitstellung, Anwendungsentwicklung und Systembetrieb durch Neuordnung ihres Stellenspektrums und ihrer hierarchischen Gliederung aus eigener Kraft gerecht zu werden. Die Fixierung auf die traditionelle Infrastruktur "Großrechenanlage" ist nur allmählich in eine erweiterte Konzeption zu überführen.

Diese Überlegung zusammengefaßt heißt: Die neuen informations- und kommunikationstechnologischen Optionen werden als Angebot von außen an die Unternehmungen herangetragen. Die darin liegenden Potentiale für einen Betrieb nutzbar zu machen, bringt technologisch induzierte Anforderungen für den DV-Bereich mit sich, auf die die meisten DV-Bereiche wegen der vorherrschenden Orientierung auf Anwendung und Betrieb von Großrechenanlagen nicht gut gerüstet sind. Den neuen Anforderungen kann man nur dann sinnvoll begegnen, wenn darauf zunächst - wie das auch seinerzeit beim ersten Einsatz von Großrechenanlagen der Fall war - datenverarbeitungsorganisatorisch reagiert wird. Erst mit klaren Aufgabendefinitionen werden Anforderungsprofile ableitbar, können sich Berufsbilder herausschälen, sind bestimmte Karrieren planbar. Vernachlässigt man die organisatorische Umrüstung des DV-Bereiches auf die neuen Anforderungen, dann ist weder eine adäquate Wahrnehmung der technologieinduzierten Anforderungen noch eine echte Spezialisierung oder eine realistische Rekrutierung möglich. Typische Folgeerscheinungen einer mangelnden organisatorischen Abstützung des Informationsmanagements sind: personelle Ausstaffierung "moderner" DV-Einheiten (wie Benutzerservicezentren oder Gruppen für Bürokommunikation), die faktisch im Schatten der etablierten

Systementwicklungsabteilungen stehen und keine rechte Wirkung entfalten; Anwerbung von Spezialisten (etwa für Expertensysteme oder Netze), für die konkrete Projekte ausbleiben und die ihr Spezialwissen somit nicht voll einbringen können; Machtkämpfe zwischen "Traditionalisten" und "Modernisten" im DV-Bereich; Kompetenzgerangel zwischen den für verschiedene Technologien zuständigen Entscheidungsträgern; Strukturverwerfungen und Imageverlust im Verhältnis zu den Fachabteilungen.

Soviel zumindest muß über die aktuelle Umbruchsituation in den DV-Bereichen bekannt sein, um künftige berufsrelevante Veränderungen abschätzen zu können. Ohne auf den DV-Bereich selbst bezogene Reaktionen im Rahmen einer erweiterten DV-Konzeption, die die neuen Infrastrukturen einbezieht, werden die betrieblichen DV-Bereiche auch in

Zukunft keine zusätzlichen beruflichen in Chancen zu bieten haben. Es bleibt dann bei den traditionellen, jedoch teilweise sehr breiten und insofern diffusen Berufsbildern des Systemanalytikers/DV-Organisators, Anwendungsprogrammierers/Organisationsprogrammierers, Systemprogrammierers, Datenadministrators, Operators, Arbeitsvorbereiters, Auftragsabwicklers (Dispatchers) und Datenerfassers. 3) Wie nun dieses traditionelle, um die Infrastruktur "Großrechenanlage" - und die ebenfalls zentralistische Infrastruktur "Datenbank", die ab Anfang der 70er Jahre hinzukam - herum entstandene Stellenspektrum unter dem Einfluß der neuen Infrastrukturen sinnvoll zu erweitern ist, wird erst deutlich, wenn man sich die wichtigsten Merkmale dieser Technologien vergegenwärtigt.

Die Hauptcharakteristika der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien bestehen darin, daß sie - im Kontrast zu den früheren Infrastrukturen - in ihrer Anwendung Dezentralisierung und Integration fördern. Da diese beiden Begriffe in sehr vielen und unterschiedlichen Bedeutungen verwendet werden, bedarf es einer genaueren Klärung, was hier damit gemeint ist. 4) "Dezentralisierung" ist als Übernahme von - bisher zentral wahrgenommenen - DV-Funktionen aus zentralen DV-Stellen in die Fachabteilungen zu verstehen. Dies beginnt mit der Aufstellung von DV-Geräten in den Fachabteilungen (Mikrocomputer), die den Systembetrieb dezentralisieren (= informationstechnologische oder gerätetechnische Dezentralisierung). Es kann sich fortsetzen in einer verstärkten Anwendungsentwicklung durch den Endbenutzer (= systementwicklungsbezogene Dezentralisierung). Schließlich ist im Rahmen einer Systemmanagement-Dezentralisierung auch eine weitgehende anwendungsstrategische Zuständigkeitsverlagerung für die Datenverarbeitung in die Fachabteilungen denkbar. 5) Individuelle Datenverarbeitung und Computernetze fördern diese Dezentralisierung, weil sie zwangsläufig eine mehr oder weniger ausgeprägte informationstechnologische Dezentralisierung mit sich bringen. Dieser erste Dezentralisierungsschritt zieht leicht weitere nach sich, was teilweise durchaus beabsichtigt sein kann. Die neuen Technologien verstärken daneben den Einsatz von Geräten und Programmen für die zusammenfassende und einheitliche Behandlung verschiedener Datenarten (wie Zahlen, Texte, mündliche Äußerungen, statische oder bewegte bildhaften Darstellungen (= geräte- oder anwendungstechnische Integration) sowie der Verbindung der Endstationen untereinander und mit einer Großrechenanlage (= übertragungstechnische Integration). 6)

Auf diese Dezentralisierungs- und Integrationstendenzen in den neuen Techniken hat das organisatorische Informationsmanagement konkret zu antworten. Dabei kommen mehrere Aktionsfelder in Betracht, von denen an dieser Stelle jedoch nur die Organisation des DV-Bereiches selbst berücksichtigt werden soll (und zum Beispiel nicht die Verfahrens- und Arbeitsorganisation in den Fachbereichen).

Die beiden generellen Ausbautendenzen im DV-Bereich lauten: Einrichtung von Vermittlungsstellen zu den Fachabteilungen und Verbindung von fachspezifischen und softwaretechnischen Qualifikationen.

Die erforderliche Neustrukturierung der DV-Bereiche unter dem Einfluß dezentralisierungs- und integrationsfördernder Infrastrukturen wird hier nur soweit dargestellt, als sich daraus Konsequenzen für neue DV-Berufe beziehungsweise Spezialistenarbeitsplätze im DV-Bereich und mithin neue berufliche Chancen ergeben. Wenn man sich den organisatorischen Ansprüchen des Informationsmanagements nicht entzieht, sind vor allem zwei allgemeine Ausbautendenzen in den DV-Bereichen bemerkenswert. Beide implizieren - in Einklang mit den genannten Hauptmerkmalen - eine Bewegung zum Benutzer, eine beträchtlich erweiterte "Benutzerorientierung". Die Ausbaustrategie unterstützt nicht mehr eine Gruppierung von Stellen um die hardware- und softwaretechnische Ausrüstung, sondern forciert Stellen an der Schnittfläche zwischen DV-Bereich und Fachabteilungen. Gefragt ist das "organisatorische Interface". Damit wird auf neuem Niveau eine Entwicklung fortgesetzt, die zwar im Prinzip schon mit Ende der 60er Jahre ansatzweise deutlich wurde - etwa im Berufsbild des Datenverarbeitungskaufmanns und natürlich auch im Stellenprofil des Systemanalytikers 7) -, jedoch technikbedingt nicht konsequent verfolgt werden konnte.

Die Ausgestaltung des "organisatorischen Interface" verläuft zum einen über die Einrichtung von Vermittlungsstellen zwischen DV-Bereich und Fachabteilung, zum anderen über die stärkere Verbindung von fachspezifischen und softwaretechnologischen Qualifikationen. Für beide Bestrebungen gibt es Vorläufer, zum Beispiel die gemischte Projektgruppe oder die Personalrotation zwischen DV-Bereich und Fachabteilung sowie die Überantwortung von Systemanalyse- und Programmiertätigkeiten an die technischen Bereiche (Produktionssteuerung, Konstruktion). Die jüngsten Veränderungstendenzen der DV-Bereiche lassen sich teilweise als Versuch lesen, diese frühen, mehr oder minder "gewachsenen" Beispiele organisatorisch zu institutionalisieren.

Daß das Bildungssystem diesen Richtungswandel schon erkannt hat und darauf zu reagieren beginnt, zeigen beispielhaft die Rechtsvorschriften für die Prüfung zum Fachkaufmann für DV-Organisation und Datenkommunikation der IHK Köln. Diese Ausbildung soll dazu qualifizieren, "bei der Planung und Entwicklung, Einführung und Betreuung von Anwendungssystemen als Mittler zwischen Fachabteilung und Daten-/ Informationsverarbeitung tätig zu sein". 8) Auch in der Verordnung zum Abschluß "Geprüfter Wirtschaftsinformatiker" sind "Verbindungsaufgaben zwischen DV-Bereich und Anwendern" als wesentlicher Arbeitsinhalt ausdrücklich aufgeführt. 9) Die wachsende Bedeutung des Faches "Wirtschaftsinformatik" oder "Betriebsinformatik" an Hochschulen und Fachhochschulen in den letzten Jahren sowie der einschlägigen Lehrpläne unterstreichen ebenfalls die Hinwendung zu einer verstärkten Verzahnung von DV-Tätigkeit und Fachaufgaben. 10) Zunehmend einfacher handhabbare Benutzeroberflächen könnten zukünftig sogar eine großflächige Umkehrung der Übernahme von Informationsverarbeitungsprozessen durch spezielle DV-Stellen einleiten.

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Im DV-Bereich kommt es zu mehr Benutzerorientierung. Ein "organisatorisches Interface" ist notwendig.

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Soweit auf die neuen Infrastrukturen organisatorisch reagiert wird, erhält die Arbeit der DV-Abteilung eine neue Prägung: Sie wandelt sich von einer Dienstleistung durch Übernahme von Aufgaben zu einer Dienstleistung durch Hilfestellung bei der selbständigen Aufgabenbewältigung der Fachabteilung, kurz: von Auftragserledigung zur Beratung. Diese Veränderung kann weder schnell noch selbstverständlich vor sich gehen. Das eingefahrene Selbstverständnis der DV-Spezialisten steht ihr ebenso entgegen wie die übliche Erwartungshaltung der Benutzer. Die Weiterverwendung zentral betriebener Informationstechnologien stützt die herkömmlichen Einstellungen und Umgangsformen. Die neue Perspektive muß in Ergänzung dazu und teilweise in Auseinandersetzung damit ihren Aufschwung nehmen. Dies wird vielfach über einen mikropolitisch steinigen Weg führen.

*Dieser Beitrag entstand anläßlich eines Referates, das der Verfasser auf dem Karriere-Zentrum der Computerwoche am 5. März 1987 im Rahmen der CeBIT 1987 gehalten hat.