Staat setzt neue Richtlinie nicht rechtzeitig um

Trotz des EG-Softwareschutzes bleibt das Sanktionsdefizit erhalten

12.03.1993

Ein fuer die Bundesrepublik Deutschland wesentliches Merkmal dieser Richtlinie ist, dass die von der Rechtsprechung bisher sehr hoch angesetzten Schutzanforderungen gesenkt wurden und der Urheberrechtsschutz nunmehr alle Computerprogramme mit individuellem Charakter erfassen soll. In der COMPUTERWOCHE wurde hierueber ausfuehrlich mehrfach berichtet, ebenso ueber die rechtlichen Auswirkungen fuer alle Benutzer nicht lizenzierter Programmkopien. Verschiedene Anbieter kuendigten sogar zwischenzeitlich bereits massive, flaechendeckende Aktionen gegen Raubkopierer an.

Seit Jahresbeginn ist aber sehr wenig ueber die Auswirkungen des neuen, verstaerkten Urheberrechtsschutzes fuer Computerprogramme zu hoeren. Dies hat Gruende:

Die EG-Richtlinie haette bis zum 31. Dezember 1992 durch ein Aenderungsgesetz in bundesdeutsches Urheberrecht umgesetzt werden muessen (siehe Artikel 10, Absatz 1 der Richtlinie).

Tatsaechlich ist ein solches Aenderungsgesetz bisher noch nicht in Kraft getreten, sondern in Vorbereitung (zum Entwurf siehe Schulte, Computer und Recht 1992, S. 588 und 648) Damit ergeben sich nicht unerhebliche Probleme einerseits der Durchsetzung der neuen urheberrechtlichen Ansprueche und andererseits einer moeglichen Staatshaftung aus unterlassener Richtlinienumsetzung.

Nach wie vor gilt naemlich das bisherige Urheberrecht, auf dem die strenge Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aufbaut. Bis zur Gesetzesaenderung koennen deshalb Rechtsverletzungen, also insbesondere das Erstellen und Vertreiben von Raubkopien, weiter nur unter den engen und unsicheren bisherigen Voraussetzungen verfolgt werden.

Dem Anbieter kann ein Schaden entstehen

Schadensersatzklagen wie auch Strafverfolgungen duerfen noch nicht mit den neuen Bestimmungen aus der EG-Richtlinie begruendet werden.

Hiergegen spricht auch nicht, dass die EG-Richtlinie mangels Umsetzung bis zum Jahresende nunmehr unmittelbare Rechtswirkung in der Bundesrepublik erlangt. Damit werden zwar neue Rechtspositionen geschaffen und die Richtlinie folglich ab dem 1. Januar 1993 zum Teil des bundesdeutschen Urheberrechts.

Jedoch ergibt sich hier eine entscheidende Einschraenkung:

Nicht rechtzeitig umgesetzte EG-Richtlinien koennen zwar als nationales Recht wirken, duerfen aber nach der Rechtsprechung des Europaeischen Gerichtshofes zu keiner rechtlichen Beeintraechtigung des EG-Buergers im jeweiligen Mitgliedsstaat fuehren, der die Richtlinie noch nicht umgesetzt hat. Der einzelne Mitgliedsstaat kann naemlich nicht seinem Buerger eine Verletzung von Verpflichtungen aus der - von ihm selbst nicht ordnungsgemaess umgesetzten - Richtlinie entgegenhalten.

Dies bedeutet konkret: Computerprogramme sind zwar auch in der Bundesrepublik Deutschland ab dem 1. Januar 1993 besser geschuetzt als bisher. Aus dieser Schutzerweiterung duerfen aber noch keine praktischen Konsequenzen gegen Programmanwender gezogen werden, die fuer diese von Nachteil waeren, wie etwa Schadensersatz- oder Strafverfahren.

Dies fuehrt natuerlich zu einem Sanktionsdefizit: Waere das bundesdeutsche Aenderungsgesetz rechtzeitig erlassen worden, koennten Anbieter bestehende Urheberrechte wesentlich weitreichender durchsetzen als nunmehr tatsaechlich der Fall. Hieraus kann Anbietern ein nicht unbetraechtlicher Schaden entstehen, der sich bei den Schaedigern nicht realisieren laesst.

In derartigen Faellen haftet nach der Rechtsprechung des Europaeischen Gerichtshofes jedoch der Staat, der die rechtzeitige Richtlinienumsetzung versaeumt hat (siehe Rechtssache C-6-90 und C- 9-90 des Europaeischen Gerichtshof vom 19. November 1991 - Francovich und Bonifaci, Italienische Republik, EWS 91, S. 391). Der Staat muss hier geschaedigten Anbietern diejenigen Schaeden ersetzen, die sie sonst auf der Grundlage des Aenderungsgesetzes unmittelbar vom Schaediger ersetzt verlangen koennten, wenn alle sonstigen Voraussetzungen erfuellt sind (siehe bereits den Hinweis bei Koch, Computer-Vertragsrecht 1992, Teil 3,S.7f).

Die EG-Richtlinie zum Urheberrechtsschutz von Computerprogrammen erfuellt hierbei die notwendigen Voraussetzungen, die der Europaeische Gerichtshof fuer einen derartigen Schadensersatzanspruch formuliert, naemlich

- die Verleihung von Rechten an einzelne (naemlich Urheberrechte an Programmautoren),

- die Bestimmbarkeit des Inhaltes dieser Rechte auf der Grundlage der Richtlinie (als Rechte auf Zustimmung zu Nutzungshandlungen) und

- den Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoss gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung (die Richtlinie bis Jahresende 1992 umzusetzen und dem den Geschaedigten entstandenen Schaden.

Damit kann der Staat, pointiert formuliert, fuer diejenigen Raubkopierfaelle in Regress genommen werden, in denen zwar nicht nach bisherigem Recht, aber nach der neuen EG-Richtlinie Abwehr- und Schadensersatzansprueche der Anbieter bestuenden - und das ist wohl die Mehrzahl derartiger Faelle.

Die gleiche Problematik stellt sich uebrigens auch in Oesterreich, das ueber Artikel 6 des EWR-Abkommens und Protokoll 35 hierzu am Vorrang des Gemeinschaftsrechts teilhat.

*Dr. Frank Koch ist Rechtsanwalt in Muenchen