Standortbestimmung E-Commerce

Trocknet der Online-Kanal aus?

21.09.2001
FRANKFURT/M. (ajf) - Es gibt ihn noch, den elektronischen Handel mit Konsumenten. Allerdings fallen die Prognosen inzwischen deutlich realistischer aus. Spätestens mit dem nächsten Weihnachtsgeschäft steht der E-Commerce an einem Scheideweg.

Noch vor einem Jahr war E-Commerce die Wachstumsbranche schlechthin, gegenwärtig scheint der elektronische Handel kaum noch einen Beteiligten vom Hocker zu reißen. "The honeymoon is over", lautet das ernüchternde Fazit von Moritz von Hauenschild, E-Commerce-Experte bei der Boston Consulting Group (BCG). Der Nutzen des Internet ist un-bestritten, das Online-Geschäft wächst, aber längst nicht mehr so stark wie noch vor einem Jahr.

Ähnlich drastisch äußert sich auch Frank Wagner, Vertriebsdirektor bei der Online-Division "Emind@Emnid" von TNS Emnid, zur Lage der Branche: "Aus den Überfliegern der New Economy sind inzwischen Kanalarbeiter geworden." Kanalarbeiter deshalb, weil sich herauskristallisiert hat, dass das Internet ohne den Hype lediglich ein weiterer Vertriebskanal für Unternehmen ist.

Allerdings ist dieser Kanal nicht unbedeutend, auch wenn er gegenwärtig nur einen kleinen Prozentsatz der Umsätze befördert. Das Schlagwort hinter dem aktuellen E-Trend lautet "Multi-Channel-Strategie", was bedeutet, dass die potenziellen Kunden über alle Kommunikationswege angesprochen werden. "Letztlich muss ein Kundenbedürfnis auch Online befriedigt werden", so Carsten Prußog, Vorstand des Web-Marktplatzes Allago.de.

"Multikanal ist gegenwärtig der Königsweg", beurteilt Michael Spohrer, Geschäftsführer der GfK Medienforschung, die Situation des elektronischen Handels. Er könne jedenfalls keinen grundsätzlichen Pessimismus beim E-Commerce feststellen. Auch für Emnid-Mann Wagner "gibt es immer noch E-Commerce-Segmente, die sich lohnen." Allerdings sind bei der Positionierung einige Regeln zu beachten, denn "Fehler werden nicht mehr verziehen", so BCG-Berater von Hauenschild.

Daher müsse die Entscheidung für eine Multi-Channel-Strategie abhängig vom Produktportfolio getroffen werden. Beispielsweise sei der Online-Vertrieb von Büchern sinnvoll, bei komplexen Produkten wie etwa Fernsehgeräten lohne sich eher eine Site mit Informationen, denn das Gerät würde in der Regel im Laden gekauft. Zudem schreite die Marktbereinigung fort, pro Produktsegment machen nach Einschätzung von Hauenschilds lediglich zwei bis drei E-Commerce-Anbieter das Rennen. Dabei werde es zunehmend schwerer, einen etablierten Marktführer vom Sockel zu stoßen.

Lediglich Holger Maaß, Chef der Hamburger Marktforscher Fittkau & Maaß, teilte den grundlegenden Optimismus der Kollegen nicht. Seiner Meinung nach sinkt das Online-Einkaufsinteresse gegenwärtig ab. Neue Web-Nutzer würden das Internet eher als Medium und weniger als Vertriebskanal begreifen. Sein Fazit: "Es gibt inzwischen viele case studies für den Misserfolg."

Beim nächsten Weihnachtsgeschäft wird sich folglich die Spreu vom Weizen trennen, da sind sich die Marktforscher einig. Der da-rauf folgende Shakeout werde dieses Jahr ähnlich schlimm ausfallen wie im vergangenen Januar und Februar, so die wenig euphorische Prognose. Ob Optimismus oder Pessimismus, "wir Deutsche neigen eben zur Hysterie", meint GfK-Geschäftsführer Spohrer.