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Transmeta lässt die Crusoes vom Stapel

20.01.2000
Volle Konzentration auf den mobilen Bereich

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Nach viereinhalb Jahren Geheimniskrämerei hat gestern die wohl schweigsamste Firma des Silicon Valley endlich ihr Geheimnis gelüftet: Transmeta (ganz nebenbei auch Arbeitgeber des Linux-Urhebers Linus Torvalds) produziert eine Familie neuartiger Prozessoren, die voll auf den Markt für mobile Endgeräte - von PDAs (Personal Digital Assistants) und Webpads bis hin zu Notebooks - abzielen.

Dabei handelt es sich aus Sicht von CEO (Chief Executive Officer) David Ditzel um die wichtigste Hardware-Innovation der vergangenen zehn bis 15 Jahre. "Wir schaffen eine völlig neue Computing-Kategorie", so der ehemalige Sun-Manager, der Transmeta 1995 gegründet hatte. Seither hat die Company mehr als 100 Millionen Dollar Venture Capital für ihr ambitioniertes Vorhaben eingefahren. Zu den Geldgebern gehören neben den prominenten Multimilliardären Paul "Cable Guy" Allen und George Soros die Deutsche Bank und weitere Investment-Gesellschaften (Walden Group, Institutional Venture Partners, Integrated Capital Partners).

Eine Revolution im Prozessordesign

Die "Crusoe"-Prozessoren unterscheiden sich stark vom herkömmlichen Prozessordesign. Sie enthalten nur einen vergleichsweise einfachen Hardwarekern, eine sogenannte VLIW-Engine (Very Long Instruction Word) mit 128 Bit. Auf dieser läuft, quasi als Prozessor-Betriebssystem, eine sogenannte "Code-Morphing"-Software. Diese bildet bekannte CPU-Typen nach, beispielsweise den x86-Befehlssatz der populären Intel-Chips.

Mit diesem "Trick" vermeidet Transmeta Rechtsstreitigkeiten mit Intel. Dessen Patentanwälte schauen nämlich in die Röhre, weil sich die Rechte des Chipriesen auf Hardware und nicht auf Software beziehen, wie sie Transmeta einsetzt. Linley Gwennap von der Linley Group geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass "in diesem Fall der Ansatz ein so grundlegend anderer ist, dass Intels Anwälte schwerlich irgendeinen Punkt finden dürften, auf den man ihre Patentschriften anwenden könnte."

Größter Vorteil der Crusoes gegenüber dem Rest der Siliziumwelt ist ihre prinzipbedingt deutlich niedrigere Leistungsaufnahme von rund einem Watt (zum Vergleich: Intels "Celeron" genehmigt sich zwischen vier und zehn Watt), die sich in geringerer Abwärme und - beim mobilen Einsatz - längeren Akkulaufzeiten manifestiert. Dazu trägt noch zusätzlich die "Longrun"-Technik bei. Dabei handelt es sich um ein intelligentes Power-Management, das die Taktrate und Spannung des Prozessors ständig (bis zu 100 mal pro Sekunden) an den Workload der jeweiligen Anwendung anpasst.

Die Hardware: Crusoe 3210 und 5400

Zum offiziellen Start hat Transmeta zwei ganz unterschiedlich positionierte Prozessoren vorgestellt. Der "Crusoe 3210" ist ab sofort erhältlich (gefertigt wird er übrigens von IBM in einem 0,22-Mikrometer-Prozess mit Kupfer-Leiterbahnen). Er verfügt über 100 KB Cachespeicher und ist mit Taktraten von 333 und 400 Megahertz zu haben und zielt mit Preisen von 65 respektive 89 Dollar auf Web-Pads und andere Kleinrechner im Preissegment zwischen 500 und 1000 Dollar unter einer von Linus Torvalds entwickelten mobilen Kernel-Version des Open-Source-Betriebssystem Linux.

Mit dem größeren Bruder "Crusoe 5400", von dem derzeit erste Testmuster vorliegen, will Transmeta dann ab Sommer dieses Jahres in den Revieren von Intel und AMD wildern. Der ebenfalls von IBM produzierte Chip (0,18-Mikrometer-Prozeß) ist für (ultra-)portable Rechner mit den üblichen Microsoft-Betriebssystemen ausgelegt und soll mit 400 KB Cache und Taktraten zwischen 500 und 700 Megahertz debütieren. Die Preise dürften sich zwischen knapp 120 und rund 330 Dollar bewegen.

Was leisten die Crusoes wirklich?

Unklar ist allerdings, ob die Transmeta-Chips im Alltagsbetrieb wirklich das leisten können, was der Hersteller so hochtrabend verspricht. Statt die Prozessoren üblichen Leistungstests zu unterziehen, präsentierte die Company nämlich erst einmal ihren ganz eigenen Benchmark - bei dem die eigenen Produkte natürlich hervorragend abschneiden. Peter Glasowsky vom "Microprocessor Report" reagierte entsprechend skeptisch: "Ich bin nicht gerade beeindruckt", erklärte der Chip-Analyst. "Tests wie der ZD-Winstone geben ein gutes Bild von der Alltagstauglichkeit einer CPU - dabei hätte man bleiben sollen. Transmeta muss sich sowieso an den gleichen Maßstäben messen lassen wie der Rest der Industrie." Doug Laird, Transmetas Vice-President für Produktentwicklung, räumte denn auch ein, dass der augenblicklich schnellste Crusoe 5400 mit 677 Megahertz nur knapp den 500 Megahertz schnellen Mobile Pentium III von Intel hinter sich lasse.

Und wer will die Crusoes verbauen?

Ebenfalls zu denken gibt die Tatsache, dass Transmeta zum gestrigen Launch nicht einen einzigen OEM-Kunden für seine neuen Prozessoren vorweisen konnte. Allerdings betonten Sprecher der Company, dass zahlreiche Hersteller aus den USA und Asien die Chips derzeit unter die Lupe nähmen. Man rechnet im Sommer mit ersten Crusoe-Notebooks, und Web-Pads mit dem 3210er sollen hoffentlich noch früher auf den Markt kommen.

Allerdings braucht es schon ein bisschen mehr als nur "coole Technik", um den etablierten Branchenriesen und vor allem Intel an den Karren zu fahren. Zu viele Firmen, die heute größtenteils nicht einmal mehr existieren, haben dies vergeblich versucht. Das Fazit von Peter Glasowsky fällt entsprechend vorsichtig aus: "Transmeta kann Intel am ehesten im Bereich der dünnen und leichten Notebooks bedrohen, aber selbst in diesem Segment dürfte ihr Marktanteil den von Intel in den kommenden Jahren wohl schwerlich hinter sich lassen. Ein neuer CPU-Anbieter braucht einfach verdammt lange, um sich den Respekt der OEMs zu verdienen. Man denke nur an Centaurs Winchip, der trotz deutlich geringerem Stromverbrauch Intels Notebooks-Geschäft nie ernsthaft gefährden konnte - ganz zu schweigen von Desktops, Servern oder anderen Marktsegmenten."