Spezialisierte US-Hersteller müssen mit verstärktem Konkurrenzkampf rechnen:

Traditionelle-Anbieter erobern die Kl-Domäne

29.08.1986

BOSTON/MÜNCHEN (kul) - Aufsteigende Tendenz verzeichnet der Markt für Künstliche Intelligenz in den Vereinigten Staaten. Zunehmend zeigen auch die Anbieter universeller Systeme Interesse daran, ihr Equipment an die Anforderungen der KI anzupassen und sich einen Anteil am Marktkuchen zu sichern. Die spezialisierten Hersteller müssen ihre Position neu überdenken.

In den letzten Jahren war die Entwicklung des amerikanischen KI-Marktes von einem extremen Aufwärtstrend geprägt: Betrug das Geschäftsvolumen einer Studie des US-Marktforschungsinstituts DM Data zufolge 1981 lediglich vier Millionen Dollar, so waren 1985 bereits 75 Millionen Dollar zu verzeichnen. Bis zum Ende dieser Dekade rechnen die Analysten mit Verkäufen im Gesamtwert von mehr als 800 Milliarden Dollar.

Symbolics für Praxis zu teuer

Immer bessere Marktchancen rechnen sich vor allem die traditionellen Hersteller wie Digital Equipment, Apollo Computer, Sun Microsystems und nicht zuletzt IBM aus. Diese Unternehmen brachten bisher ihre Systeme weitaus preiswerter auf den Markt als spezialisierte Anbieter, beispielsweise Symbolics. Dennoch wird dieser in Cambridge/Massachusetts angesiedelte KI-Vorreiter 1986 voraussichtlich Erlöse von mehr als 100 Millionen Dollar erzielen.

Branchenkenner fragen sich jedoch, woher nun weitere Wachstumsraten kommen sollen. So geht DM-Data-Mitarbeiter Harvey Newquist davon aus, daß Symbolics-Rechner künftig nur noch zur Entwicklung von KI-Software eingesetzt würden. Für die Praxis seien sie schlichtweg zu teuer.

Diese Prognose ist den auf KI spezialisierten Herstellern kein Novum. So kündigte jetzt Symbolics zum erstenmal während seines fünfjährigen Bestehens einen Einführungspreis von unter 50 000 Dollar an. Für Modelle der laufenden Produktreihe nahm das Unternehmen die Preise um bis zu 31 Prozent zurück. Im Vergleich mit den KI-Richtpreisen lägen die Anschaffungskosten für Symbolics-Produkte folglich momentan gleichauf oder sogar niedriger, sagte Symbolics-Präsident Russel Noftsker einer Meldung der Presseagentur Reuter zufolge.

Nach Einschätzung des Aktienexperten Curt Monash um US-Brokerhaus Paine Webber geben diese Preisrücknahmen Symbolics eine wesentlich bessere Wettbewerbsposition gegenüber den traditionellen Hardwareherstellern. Denn nach wie vor schrecken die hohen Anschaffungkosten zwischen 50 000 und 200 000 Dollar für eine Lisp-Maschine viele Interessenten ab.

Hinzu kommt, daß inzwischen diverse konventionelle Systeme von der MicroVAX II - im "traditionellen Lager" gilt Digital Equipment als einer der Vorreiter der Künstlichen Intelligenz - über die Workstations von Sun bis hin zum RT PC von IBM prinzipiell für den Einsatz von KI-Software geeignet sind. Diese Rechner gehen nicht nur von der Anschaffung her weniger ins Geld, sondern können auch noch andere Aufgaben erledigen, die nicht im Bereich der Künstlichen Intelligenz angesiedelt sind.

Doch selbst wenn die traditionellen Anbieter auf Kosten der Spezialisten ihre Marktanteile vergrößern, wird es nach Ansicht von Newquist für diese Herstellergruppe nicht das "Aus" bedeuten. Neue Arbeitsfelder zeichneten sich schon jetzt ab, der Entwicklungsbereich dehne sich immer weiter aus und damit steige auch die Nachfrage nach spezialisierteren Rechnern.

Symbolics-Marektingleiter Heiko Flaspöhler sieht deshalb den Konkurrenzdruck von seiten der traditionellen Hersteller langfristig nicht als echte Gefahr: "Das auf Universalrechner abgestimmte KI-Angebot ist noch ziemlich schwach auf der Brust. Vieles, was heute als reales Produkt angeboten wird, ist eigentlich noch Zukunftsmusik." Seiner Ansicht nach ist das rege Interesse der etablierten DV-Unternehmen vor allem auf die Marktsättigung des Hardware-Bereichs zurückzuführen, die das Erschließen neuer Geschäftsfelder notwendig macht.

Das Jahresbudget der MCC beläuft sich laut EDP Report Deutschland des Marktforschungsinstituts International Data Corporation (IDC) auf 60 bis 75 Millionen Dollar; beschäftigt sind rund 170 Mitarbeiter. Ähnlich wie beim japanischen Computerprojekt der fünften Generation stehen auch bei der MCC die Bereiche KI-Forschung und Parallelarchitektur an erster Stelle der Prioritätenliste.

Unabhängig von dieser privatwirtschaftlichen Initiative forciert das US-Verteidigungsministerium die "Strategic Computer Initiative" (SCI), in deren Rahmen ebenfalls eine neue Computergeneration entwickelt werden soll. Letztes Jahr stellte das Ministerium nach Angaben der IDC dafür rund 95 Millionen Dollar zur Verfügung, für 1986 sind vorläufig 120 Millionen Dollar angesetzt.

Gemeinsame Grundlagenforschung

Das KI-Engagement der konventionellen Anbieter wird auch in der Idee der Microelectronics and Computer Technology Corporation (MCC) deutlich. Innerhalb dieser Initiative des Control-Data-Gründers William Norris betreiben 18 amerikanische High-Tech-Unternehmen gemeinsam Grundlagenforschung zur Entwicklung einer neuen Computergeneration.

Mitglieder sind unter anderem Advanced Micro Devices (AMD), Boeing, Control Data, Digital Equipment, Eastman Kodak, Gould, Harris, Honeywell, Martin Marietta, Mostech, Motorola, National Semiconductor, NCR, RCA, Rockwell und Sperry. Jedes Mitglied hält einen Anteil im Wert von einer Million Dollar an MCC und stellt eine Person für den Vorstand.