Kanadier streben Konvergenz von Sprache und Daten an

TK-Riese Nortel schluckt Networking-Profi Bay

19.06.1998

Die Networking-Szene macht durch eine weitere spektakuläre Übernahme Schlagzeilen. Für rund 9,1 Milliarden Dollar, die in Form eines Aktientausches fließen sollen, wird sich Nortel die US-Company Bay Networks einverleiben. 60 Prozent des Wertes einer Nortel-Aktie werden die Bay-Aktionäre für jedes ihrer Wertpapiere erhalten, das entspricht einer Summe von 38,21 Dollar. Die Fusion soll, so John Roth, President und CEO von Nortel, im Herbst 1998 abgewickelt sein.

Für Marktbeobachter ist diese Akquisition nicht nur wegen der bislang höchsten Kaufsumme zur Übernahme eines Data-Network-Spezialisten wegweisend. Analysten sehen darin den Beginn einer Fusionswelle, die mittelfristig zur Verschmelzung von Datennetz- und TK-Herstellern führen wird.

Wie schwierig sich das Networking-Geschäft in jüngster Vergangenheit entwickelte, mußten mit Ausnahme von Primus Cisco Systems alle Anbieter dieser Branche erfahren. Nicht nur Bay, sondern auch 3Com und Cabletron wiesen rückläufige Ergebnisse aus. Ursache für das Minus ist nicht nur der mühsame Integrationsprozeß von gekauften Firmen, zum Beispiel bei U.S. Robotics durch 3Com, sondern auch die aufkommende Konvergenz von Daten- und Sprachnetzen. Klassische Hersteller von TK-Equipment wie Nortel streben verstärkt in das Marktsegment der Datennetz-Spezialisten.

Der Verkauf von Bay Networks, das 1994 aus dem Merger von Synoptics und Wellfleet entstand, war nach Ansicht von Experten überfällig. Der Company war es nicht gelungen, nach der Fusion die angestrebte dominierende Marktstellung zu erlangen. Bay Networks hätte auf Dauer keine Chance gehabt, aus eigener Kraft am Markt zu überleben.

Das Unternehmen, Anbieter von Enterprise-Network-Komponenten wie Switches und Routern sowie Provider von Shared-Media-, Remote- und Internet-Access-Lösungen, IP-Services und Management-Applikationen, soll als eigenständiger Geschäftsbereich von Nortel operieren. Aufgabe der Unit wird sein, ihr IP-Know-how und -Produkte in das Angebot von Nortel einzubringen. Die Kanadier wollen damit durchgängige, integrierte Sprach- und Datensysteme für Carrier sowie die Bereiche Breitband-, Wireless- und Enterprise Networks anbieten.

Durch die Integration von Bay soll nach Meinung von Roth ein Unternehmen heranwachsen, das einen Jahresumsatz von 17,7 Milliarden Dollar erwirtschaften wird. Weltweit beschäftigt Nortel dann rund 80000 Mitarbeiter, Entlassungen sind Roth zufolge nicht geplant, da beide Unternehmen kaum überlappende Aktivitäten aufweisen. Nortels Division Enterprise Data Networks wird in den Geschäftsbereich Bay Networks eingegliedert. Roth bleibt President und CEO von Nortel, der bisherige Bay-Chef David House erhält einen Sitz im Nortel-Aufsichtsrat.

Durch den Kauf von Bay Networks könnte sich Nortel zu einem der führenden Player im integrierten Networking-Business entwickeln. Voraussetzung ist allerdings, daß die Integration reibungslos über die Bühne geht und zügig Gesamtlösungen angeboten werden. Immerhin positionieren sich in diesem Marktsegment auch Lucent Technologies und Gigant Cisco Systems.