Textverarbeitung wozu?

25.11.1977

Franz Köpke; Bei der GMD (Institut RZ) zuständig für Planung, Organisation und Clearing

Textautomaten verdrängen Schreibmaschinen, gibt es dafür überhaupt sachliche Gründe? Oder: Was ist Text, was ein Dokument? Verwirren neue technische Hilfsmittel die Begriffe? Sind Rechnungen Texte, müssen Lieferscheine mit EDV erzeugt werden; warum hat die EDV-Anlage einen Drucker? Wann sollte man Bürofernschreiben, wann telekopieren, warm Time-sharing-Terminals benutzen? Hilft zum Beispiel ein Vergleich, etwa mit Antriebstechnik, weiter?

Grundlage aller Antriebe sind zwar nur wenige physikalische Gesetzmäßigkeiten. Dennoch gibt es sehr stark anwendungsorientierte Grundtypen: Schiffsmotoren, Modellflugzeugmotoren oder Pendelantriebe für Kuckucksuhren. Diese Antriebe wieder werden durch eine Vielzahl von Übersetzungsgetrieben an Fahrzeuge, Förderbänder angepaßt. Die Historie hat gezeigt, daß auch in diesem Bereich die Phase der Zentralisierung (ist gleich Transmissionsriemen, also relativ simple Mittel, machen die Zentrale für den Arbeitsplatz nutzbar) durch höherwertige Endgeräte vollständig überwunden wurde: Es wurde dezentralisiert, durch Integration in die Arbeitsgeräte.

Es darf daher nicht verwundern, wenn die Arbeitsgeräte die im Moment die Schreibmaschine automatisieren wollen, weniger von der Anwendung sondern mehr von der Technik geprägt sind. So eine Umschichtung des örtlichen Angebots von EDV-Leistung ist ein Prozeß, der nicht ohne den Anwender zu machen ist. Eine konsequente Fortentwicklung der Schreibmaschine führt über höhere Einzelschrittauflösung, Proportionalschrift zu wort- beziehungsweise absatzweisem Arbeiten und Korrigieren, zu einem umfangreicheren Funktionsangebot: Die Funktionen werden dem Problem, dem Schriftgut angepaßt. Formel schreiben, Punkt plotten werden zwangsläufig bei Zunahme der Schrifttypvielfalt zu allgemeiner Grafikfähigkeit führen.

Andere Leistungen ziehen nach: Etwa die Verbindung der Geräte untereinander, Zugriff zu Dateien. Schrittmacherprobleme sind zu lösen. Dabei darf der Werkzeugcharakter der Geräte nicht verlorengehen, sie müssen bedienbar bleiben.

Da der Anwender aber nicht die technischen Möglichkeiten kennen kann, wird der Anpassungsprozeß nur in mehreren Iterationsschleifen zu allgemein akzeptierten Lösungen führen. Der wirtschaftliche Nutzen bleibt auf der Strecke, wenn ständige Umschulungsmaßnahmen nötig sind. Wir brauchen allgemein akzeptierte Normen auch und gerade für die Bedienung. Sonst ist der technische Fortschritt nicht Segen, sondern Fluch. "Das Gute ist der Feind des Besseren."

Dieser Prozeß ließe sich nur abkürzen, wenn es gelingt, vom Anwender anpaßbare Geräte anzubieten. Also weg von Programmiersprachen, von endlosen Funktionstasten, also noch intelligentere Geräte. Das heißt auch eigene neue Entwicklung die Phase des Kopierens von Groß-EDV-Vorbildern muß aufhören: Man muß dem Volk aufs Maul schauen und nicht auf die tippenden Finger. Nur so sieht man Umlaute, verschiedene Schrifttypen, erläuternde Gesten bzw. Bilder, keine verschrobenen Textbausteine, allenfalls "geflügelte Worte".

Das, was Textautomaten derzeit leisten, hat viel mit Rationalisierung, Einsparung von Arbeitskräften zu tun und wenig mit Qualitätsverbesserung, inhaltlicher Strukturierung und "bürgernaher Verwaltung".

Ein Indiz hierfür ist das Unterschriftenproblem. Je weniger Unterschrift, desto weniger Inhalt. Obwohl Texte die Grundlage reflektierenden Handelns sind, unterstützt der Textautomat davon wenig. Er ist mehr Druckwerkzeug, dabei kein schönes. Composerfähigkeit wird im allgemeinen nicht erreicht.

Insgesamt eigentlich eine einzigartige Chance für MDT-Hersteller, mit ein bißchen Ergonomie und ein bißchen Technik die bisherigen Erfahrungen neu mit Erfolg auf den Markt zu bringen, zu vernünftigen Preisen.

Denn Texte sind Rechnungen, Aktennotizen, Arbeitsanweisungen, Mängelrügen, Mahnungen, Bewerbungsschreiben, Angebote, Preislisten, Adressen, Bücher mit Quer- und Längsbezügen, mit objektbezogenen Inhalten, die dem Schreiber bekannt sein müssen, wenn das Schreiben (das Dokument, das Papier) nicht inhaltslos sein soll.

Das Auseinanderdividieren von Inhalt und Form sollte im Gegenteil gestoppt werden. Massensendungen bleiben auch in persönlicher Aufmachung solche, der persönliche Brief kann eventuell nur mit der Hand geschrieben werden. Wir brauchen keinen Textkult.

Die angebotenen Textgeräte sind aber für viele erste Berührungspunkte zur EDV - zu Datenstruktur und zu einer neuen Begriffswelt, die weit über den Taschenrechnerbereich hinausgeht.

Kurse, Statusdenken, Arbeitsplatzveränderungen verändern die Wertvorstellungen und damit die Ziele der Menschen. Es wurde ein Signal gesucht, es gibt neue Möglichkeiten: Wer sie kennt, kann bewußt steuern, bewußt seine Umwelt gestalten.

DV-gestützte Büro- und Verwaltungssysteme können weder isoliert gesehen werden von gewerkschaftlichen, verwaltungstechnischen, wirtschaftlichen, menschlichen Gegebenheiten und Forderungen noch von Techniken zur Behandlung von Texten. Textbe- und -verarbeitung kann nicht isoliert gesehen werden von Mensch und Gesellschaft.

Die Planungsgruppe der GMD für DV-gestützte Büro- und Verwaltungssysteme benutzt Texte als reine-Hilfsmittel, reine Träger von Information. Konsequenterweise sind die von der Planungsgruppe konzipierten Maschinen durch die den Arbeitsplatz bedingten Anforderungen geprägt und bestimmen dann die Art und Weise, wie mit Texten umgegangen wird. Selbst bei geplanten Textverarbeitungsinfrastrukturen für ganze Organisationen - sogenannten Dokumentationsstraßen - wird Text inhaltlich begriffen und von der Planungsgruppe auch so unterstützt. Der Textautomat bleibt reines Visualisierungsmittel, bleibt "Schreibmaschine" .