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Test: Zeig mir deinen Desktop

14.03.2001
Mit seiner "Screencam" hat Lotus die Gattung der Bildschirmaufzeichnungs-Software geprägt. Mittlerweile haben andere Hersteller das Prinzip aufgegriffen und bieten Programme an, die auch Echtzeitübertragungen der Windows-Oberfläche über das Internet ermöglichen.

Von CW-Redakteur Wolfgang Miedl

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Mit seiner "Screencam" hat Lotus die Gattung der Bildschirmaufzeichnungs-Software maßgeblich geprägt. Doch mittlerweile haben andere Hersteller das Prinzip aufgegriffen und bieten Programme an, die neben dem Aufzeichnen eines Bildschirmvideos auch Echtzeitübertragungen der Windows-Oberfläche über das Internet ermöglichen.

Screencams bieten sich vor allem für Schulungszwecke an. Aber auch Softwareentwickler oder Supportspezialisten können mit solchen Tools Programme oder Arbeitsvorgänge öffentlich demonstrieren. Das Prinzip ist recht einfach: Anders als bei Screenshot-Programmen, die einzelne Schnappschüsse vom Bildschirm machen und diese in digitalen Bildformaten abspeichern, filmen Screencams alle Vorgänge auf dem Bildschirm.

Die erste Generation dieser Programme war noch sehr einfach gestrickt. Die Lotus Screencam beispielsweise kann nur im Lotus-eigenen SCM-Format oder einem AVI-Format aufnehmen. SCM-Dateien benötigen die Lotus-Software zum Abspielen, AVI-Dateien können hingegen mit jeder Abspielsoftware wie beispielsweise mit dem Windows Media Player vorgeführt werden. AVI hat allerdings den Nachteil, dass hier nur mit Hilfe spezieller, effizienter Kompressions-Codecs die Datenraten auf ein akzeptables Maß reduziert werden können.

Lotus Screencam hat ausgedient

Lotus hat sich mit seiner nachlässigen Produktpolitik nicht gerade mit Ruhm bekleckert, wobei der Hersteller auch in anderen Bereichen für seine zurückhaltende Produktpflege bekannt ist. Obwohl die Screencam nach wie vor offiziell angeboten wird - entweder einzeln oder mit der "Smartsuite" - gibt es lediglich zwei veraltetete Versionen für Windows 95 und NT, die außerdem untereinander nur eingeschränkt kompatibel sind. Immerhin soll die 95er Version nach Herstellerangaben unter Windows 98 und dessen Nachfolger mit gewissen Einschränkungen laufen, die NT-Variante aber nicht unter Windows 2000. Im CW-Test versagte Screencam auf beiden Systemen, das Programm brachte Windows 98 mit einem Bluescreen zum Absturz. Auch im Web kursieren unzählige Erfahrungsberichte, die vor den Fehlern und Unzulänglichkeiten warnen.

Als Weiterentwicklung hat Lotus bereits 1997 mit "Streamcam" eine Streaming-Video-Lösung auf Basis des SCM-Formats herausgebracht. Damit ist es möglich, Bildschirmvideos über das Web zu verteilen. Allerdings hat es Lotus nicht geschafft, mit seiner proprietären Servertechnik auf Basis von "Avian" dem Konzept zum Durchbruch zu verhelfen. Mitschuld dürfte daran der Zwang zur Installation eines Browser-Plugins auf Client-Seite haben.

"Flash 32" von Logipole

Nachdem Lotus das Produktsegment vernachlässigt hat, sind vor allem im Shareware-Bereich einige interessante Entwicklungen aufgetaucht. "Flash 32" ist einer der Vertreter dieser Gattung. Das Programm kann sowohl Screenshots als auch Animationen erstellen. Als Ausgabeformate bietet es das FLC/FLI-Format, animiertes GIF, MPEG (PAL, NTSC, Secam, MAC) sowie AVI mit einigen auf dem jeweiligen System installierten Codecs. Mit Ausnahme von MPEG kann der Anwender die Frameraten individuell einstellen und AVI optional auch mit einer WAV-Audiodatei kombinieren. Für einfache, schnelle Aufzeichnungen ist das Programm bestens geeignet, zudem bietet es eine Fülle von Optionen wie MS-DOS-Capturing unter Windows, etliche konfigurierbare Hotkeys oder Formatdefinitionen. Praktisch ist auch die Möglichkeit, Bilder von Webcams durch die Eingabe der URL automatisch einzufangen. Allerdings ist die Benutzerführung etwas kryptisch, was gerade Einsteiger davon abhalten dürfte, sich das 45 Mark teure Tool näher anzusehen.

Matchware "Screencorder"

Mit einem geringeren Funktionsumfang wartet der "Screencorder" von Matchware (Preis: 39 Dollar) auf. Dafür präsentiert das Programm ein aufgeräumtes, übersichtliches Interface und kann vom Start weg intuitiv bedient werden. Selbst Anfängern dürfte auf Anhieb mit wenigen Mausklicks eine Bildschirmaufzeichnung gelingen. Als Aufzeichnungsformat wird einzig AVI angeboten, wobei ein Film nachträglich in animiertes GIF konvertiert werden kann. Das Tool konzentriert sich auf das Wesentliche, dennoch ermöglicht es das Konfigurieren einiger wichtiger Parameter wie Frame-Rate, Keyframe und Größe des gewünschten Bildschirmausschnitts. Auch die Audioausgabe kann in verschiedenen Sample-Raten mitgeschnitten werden. Screencorder bietet die Einfachheit von Veteranen wie Lotus Screencam und erweitert sie um zeitgemäße Features.

"Camtasia" von Techsmith streamt übers Netz

Von ganz anderem Kaliber ist die "Camtasia-2.0"-Suite von Techsmith, die mit einem Preis von 149 Dollar auch preislich in professionellere Bereiche vorstößt. Das Paket besteht aus zwei Modulen, dem "Recorder" und dem "Producer". Der Recorder ermöglicht die Aufzeichnung von Bildschirminhalten, geht aber im Funktionsumfang weit über das von den Konkurrenten Gebotene hinaus. Der gravierendste Unterschied zu den kleineren Tools ist die Option, eine Aufzeichnung live über Netze wie Internet oder Intranet zu übertragen.

Der Hersteller hat dazu eine Software-Schnittstelle implementiert, die den Recorder im System als virtuelle Videokamera erscheinen lässt. Durch diesen Trick ist es möglich, die Live-Ausgabe des Tools in verschiedenen Programmen wie Streaming Media Encodern, Videokonferenz-Anwendungen, Videoeditoren oder Webcam-Anwendungen als Input zu nutzen.

Soll die Ausgabe in einer Datei gespeichert werden, stehen dem Recorder verschiedene AVI-Formate zur Verfügung. Dabei stellt der Recorder dem Anwender die gesamte Palette der auf dem System installierten Codecs bereit, beispielsweise Intel Indeo oder Microsoft Video. Jeder Kompressions-Codec kann individuell in Sachen Frame-Rate oder Kompressionsstärke konfiguriert werden, wobei auch unkomprimiertes AVI möglich ist. Techsmith hat außerdem mit TSCC auch einen eigenen Screen-Capture-Codec entwickelt, der speziell auf Desktop-Video hin optimiert ist und die Darstellung nicht verfälschen soll.

Einziger Nachteil dieses Codecs ist, dass jeder Client für derartige Videos TSCC installiert haben muss. Hierzu bietet der Hersteller wahlweise einen selbst abspielenden EXE-Packer inklusive Codec, einen externen Codec-Installer oder ein Active X Control. Letzteres installiert in Verbindung mit dem Internet Explorer automatisch den Codec am Client, sobald ein Surfer ein Video über den Browser anfordert. Anwenderfreundlicher dürfte es allerdings sein, statt der proprietären TSCC-Lösung Videos über die Streaming-Standards von Real Networks oder das Windows-Media-Format zu übertragen. Audioaufnahmen können übrigens wahlweise von der Soundkarte oder einem Aufnahmegerät wie etwa einem Mikrofon beigesteuert werden.

Neben dem gesamten Bildschirminhalt erlaubt der Camcorder bei der Aufnahme auch die Auswahl eines Fensters oder eines individuellen Bildschirmausschnitts. Weitere nützliche Zusatz-Features sind optische und akustische Effekte, die bei Vorführungen die Aufmerksamkeit steuern. So können beispielsweise die Maus mit einem Spot hervorgehoben oder einzelne Fenster automatisch per Klick mit einem farbigen Rahmen markiert werden. Mausklicks stellt das Tool auf Wunsch optisch und akustisch dar. Die Möglichkeit, einen Zeitstempel, Kommentare sowie ein Wasserzeichen einzufügen, runden die Gestaltungsmöglichkeiten ab.

Etwas gewöhnungsbedürftig sind diese Zusatzfunktionen dennoch, da sie während der Aufnahme nicht sichtbar sind und erst im fertigen Film betrachtet werden können. Deshalb empfiehlt es sich auch, fertige Filme vor dem Publizieren mit dem zweiten Tool, dem Producer, nachzubearbeiten. Der Producer ist ein einfacher Videoeditor, der neben Schnittfunktionen und Überblendeffekten unter anderem das Einfügen nachträglicher Audiokommentare ermöglicht. Der Producer dient auch dazu, Aufnahmen in die gewünschten Streaming-Formate für Web-Übertragungen zu konvertieren. Hierbei bietet das Tool Realmedia-, ASF- sowie Windows-Media-Unterstützung an. Damit erhält der Anwender eine überdurchschnittliche Anwendung, die alle Ansprüche an Desktop-Video befriedigt.

Microsoft integriert Streaming Server

Auch Microsoft hat sich des Themas bereits vor fünf Jahren angenommen. Mit dem "Camcorder" haben die Redmonder ein einfaches Programm für Bildschirmaufzeichnungen herausgebracht und bis "Office 97" als kostenloses Add-on verteilt. Wie beim Lotus-Produkt fehlen dem Anwender auch hier grundlegende Konfigurationsoptionen wie etwa die Einstellung der Frame-Rate. Nachdem das Programm bereits seit einiger Zeit von der Bildfläche verschwunden ist, hat der Softwarekonzern nun seit ein paar Monaten wieder ein Tool im Programm, das auch Desktop-Video ermöglicht.

Der "Windows Media Encoder", der eine umfassende Lösung für die Erstellung und Bearbeitung von Windows-Media-Inhalten darstellt, erlaubt quasi nebenbei auch das Aufnehmen von Desktop-Videos. Dank dem Wizard gelingt auch mit dem Microsoft-Encoder eine Bildschirmaufnahme mit wenigen Mausklicks. Dennoch kann das Programm nicht verleugnen, dass es primär als Encoding-Tool für Streaming-Video dient. So dürften Anwender die zusätzlichen Effekte von Camtasia vermissen, die bei Schulungs- oder Supportvideos die Vermittlung von Inhalten unterstützen.

Stark ist die Microsoft-Software hingegen dann, wenn es um die einfache Übertragung von Bildschirminhalten auf beliebig viele Clients über Internet- oder Intranet geht. Anders als Camtasia fungiert Microsofts Encoder gleichzeitig als Server. Nach der Auswahl aus einer Liste von vordefinierten Kompressionsprofilen, vom Modem bis hin zu Breitband-NTSC, kann eine Aufnahme sofort gestartet und als Stream über HTTP verteilt werden. Ein starkes Argument für den Windows Media Encoder ist in jedem Fall der Preis: Microsoft bietet das Tool zum kostenlosen Download an. Diese Großzügigkeit dürfte - wie so oft - politische Motive haben. Schließlich will Microsoft im Streaming-Media-Bereich Boden gegen Real Networks gutmachen.

Für den Anwender ist der neue Wettbewerb im Screencam-Segment in jedem Fall ein Gewinn. Die jetzigen Tools sind der mittlerweile in die Jahre gekommenen Pioniergeneration in jeder Hinsicht überlegen. Ob für einfache Produktdemos, für Schulungen oder Desktop-Übertragungen über ein Netzwerk - für jeden Zweck ist eine ausgereifte Anwendung verfügbar.