Test: IP-Telefonie mit Tücken

16.12.2004
Ciao Telekom - mit der IP-Telefonie kommt die TK-Freiheit nun auch für den Privatanwender. Die COMPUTERWOCHE prüfte die Alltagstauglichkeit der neuen Technik.

Endlich steht es auf dem Schreibtisch, das IP-Telefon "Budgetone 101" des US-amerikanischen Herstellers Grandstream, das die endgültige Befreiung aus dem Telekom-Joch und den Aufbruch in ein neues Zeitalter verspricht. Ungeduldig stöpseln die Finger das etwas unflexible Fast-Ethernet-Kabel in die Anschlussbuchsen von Telefon und Router. Jetzt noch schnell das Netzteil angeschlossen und der klassischen TK-Welt ade gesagt. Voilà - es passiert erst einmal gar nichts.

Installation

Das Telefon mit blauem Display und rot hinterleuchteten Tasten blinkt nur vor sich hin. Hätte man vielleicht doch vorab die Bedienungsanleitung lesen sollen? Aber nein, wir wollen ja nur telefonieren, und das sollte seit 30 Jahren eine Plug-and-Play-Anwendung sein. Doch nun tut sich etwas, die Display-Anzeige wechselt und zeigt das aktuelle Datum und die Uhrzeit an. Zaghaft greift die Hand zum Hörer: Wie gewohnt ertönt nachdem Abheben das Freizeichen aus der Hörmuschel. Nun kennt die Neugierde keine Grenzen mehr. Der Hörer wird aufgelegt und per Handy die Telefonnummer des Internet-Telefons angewählt. Im Gegensatz zu den Diensten des Internet-Telefonieanbieters Skype soll nämlich das SIP-Telefon, das uns vom deutschen IP-Telefonie-Anbieter Sipgate zur Verfügung gestellt wurde, über eine normale Telefonnummer auch aus den Fest- und Mobilfunknetzen erreichbar sein.

Der erste Anruf

Die Sekunden nach dem Eintippen der Rufnummer werden zur Ewigkeit: Also doch alles nur Hype um eine Technologie, die das Laborstadium noch nicht verlassen hat? Das schrille Klingeln des für den amerikanischen Geschmack entworfenen Telefons reißt den Tester aus seinen defätistischen Gedanken. Dass dieser Anrufversuch ohne weiteres funktioniert, ist keine Selbstverständlichkeit. Im Testaufbau befand sich das IP-Telefon nämlich hinter einem Netgear-Firewall-Router "FVS 318" mit Stateful-Packet-Inspection-Funktionalität (SPI), der mit einem DSL-Anschluss des Münchner City-Carriers Mnet verbunden ist. Aufgrund der vorgeschalteten Firewall hätte das IP-Telefon eigentlich von außen gar nicht erreichbar sein dürfen.

Nach diesen ersten erfolgreichen Gehversuchen wartet eine größere Herausforderung auf das IP-Telefon: Das erste Telefonat via Internet zu einem Telekom-Anschluss in Hamburg. Das Ergebnis überrascht fast nicht mehr: Die Verbindung klappt ohne Probleme. Die Freude weicht wieder einer gewissen Skepsis, als der Gesprächspartner die geringe Sprachqualität reklamiert. Ein Phänomen, das sich bei weiteren Telefonaten wiederholt. Während der Anrufer mit dem IP-Telefon seine Partner ohne Probleme versteht, klagen diese öfters über Aussetzer.

Konfiguration

Das lässt sich allerdings vermeiden, wenn der IP-Telefonierer sich vorher die Zeit nimmt, einen Blick in die Kurzanleitung sowie die Bedienungsanleitung zu werfen, um das Prinzip des Telefons zu verstehen. Dieses Studium offenbart schnell, dass unter dem klassischen Telefongehäuse reinste Netztechnik aus der IT-Welt steckt. Die rudimentären Netzparameter lassen sich zwar am Telefon direkt einstellen, doch die Tiefen der Systemkonfiguration eröffnet erst der Zugriff per Browser.

So lassen sich per Web-Browser im Telefon die Account-Daten für den DSL-Zugang eingeben oder andere Parameter etwa für STUN, RTP, SIP sowie die verwendeten Codecs. Gerade Neulinge in Sachen Internet-Telefonie werden es hier zu schätzen wissen, dass Sipgate das Telefon bereits vorkonfiguriert ausliefert, denn die zahlreichen Einstellungsmöglichkeiten erscheinen anfangs wie böhmische Dörfer. Dennoch sollte sich der Benutzer mit diesen Parametern auseinander setzen, um eventuelle Probleme wie Übertragungsstörungen selbst lösen zu können. Die Wahl des verwendeten Sprachcodecs hat beispielsweise direkten Einfluss darauf, welche Bandbreite das Telefon benötigt.

Das STUN-Protokoll (Simple Traversal of UDP over NAT) dient dazu, das Telefon auch bei Internet-Anbindungen mit Network Address Translation (NAT) benutzen zu können. Dieses Verfahren wird gerade im Home Office oder in kleineren Zweigstellen häufig verwendet, um hinter einem Router unter Verwendung nur einer öffentlichen IP-Adresse mehrere Geräte mit privaten IP-Adressen zu betreiben. Bei dem als Client-Server-Protokoll konzipierten STUN sendet nun der Client, also das IP-Telefon, eine Anfrage an einen STUN-Server. Dieser teilt daraufhin dem Client mit, welche öffentliche IP-Adresse der Router hat und welcher Port für eingehende Pakete geöffnet wurde, sowie die Art des verwendeten NAT-Mechanismus. Der Trick dabei ist: Erfolgt die STUN-Anfrage des Clients im Sekundenintervall, hält die Firewall die entsprechenden Ports offen und das IP-Telefon ist, wie eingangs beschrieben, selbst hinter einer SPI-Firewall (Stateful Packet Inspection) von außen erreichbar. Das Real Time Transport Protocol (RTP) ist dann für das eigentlich Streaming des Audio-Datenstroms (in diesem Fall das Telefongespräch) zuständig. Das dritte wichtige Protokoll im Zusammenhang mit der Internet-Telefonie ist das Session Initiation Protocol (SIP). Über dieses kommuniziert das Telefon einerseits mit dem SIP-Server, der als eine Art gehostete TK-Anlage Funktionalitäten wie Voice-Mail etc. bereitstellt, andererseits aber auch das Gateway ins normale Telefonnetz ist. Gleichzeitig fungiert SIP als Träger für das Session Description Protocol, in dem etwa die Informationen über die verwendeten Sprachcodecs, IP-Adressen, Ports etc. übertragen werden.

Problemfall NAT

Um erfolgreich via Internet telefonieren zu können, müssen alle drei Protokolle problemlos ineinander greifen. Dabei kann es gerade in Sachen STUN Schwierigkeiten geben, wenn dieses nicht mit dem implementierten NAT-Verfahren des Routers harmoniert. Als Problemfall gilt insbesondere das symmetrische NAT, das auch als bidirektionales NAT bezeichnet wird. Abhilfe schafft hier ein direktes Portforwarding am Router zur privaten IP-Adresse des Telefons. Diese Methode empfiehlt sich auch, wenn hinter einem NAT-Router mehrere IP-Telefone betrieben werden. In der Theorie beherrscht das Grandstream-Telefon zwar auch eine dynamische Port-Zuweisung für RTP, STUN und SIP, doch in der Praxis hat sich eine feste Vergabe bewährt. Etwa indem ausgehend von den ursprünglich verwendeten Ports für SIP:5060 und RTP:5004 für jedes weitere Telefon der Wert um einen Zähler erhöht wird und diese sowohl im Router als auch im IP-Telefon eingestellt werden.

Optimierung

In unserer Testinstallation hob das aktivierte Portforwarding am Netgear-Router die Störungen nicht auf. Eine Verbesserung war erst hörbar, als das Telefon am Router mit seiner IP-Adresse als DMZ (Demilitarized Zone) definiert wurde. Hierunter ist, vereinfacht ausgedrückt, ein Adressbereich zu verstehen, der von allen Firewall-Einstellungen ausgenommen und damit in letzter Konsequenz offen zum Internet ist. Einerseits hat dies den Vorteil, dass störende Verzögerungen bei der Sprachkommunikation, die eventuell daher rühren, dass die Firewall erst die Pakete analysiert, nicht auftreten, anderseits ist das IP-Telefon nun potenziellen Angriffen offen ausgesetzt. Führt die Konfiguration als DMZ nicht zum Erfolg, müssen bei manchen Routern noch einzeln die Paketfilter abgeschaltet werden. Eine grundsätzliche Faustregel, welcher Weg zum Ziel führt, gibt es leider nicht. Hier hilft nur probieren.

In der Testinstallation waren die Störungen trotz DMZ-Einstellung nicht vollständig zu beseitigen. Ein Phänomen, an dem jedoch weder IP-Telefon noch Firewall-Router schuld waren, denn hier rächt sich schlicht der asynchrone Charakter der heute üblichen DSL-Anschlüsse. Während die Download-Geschwindigkeit mittlerweile mit einem Mbit/s und höher üppig dimensioniert ist, bilden die im Upload-Bereich oft anzutreffenden 128 Kbit/s ein Nadelöhr. Denn von dieser Bandbreite benötigt die IP-Telefonie, je nach verwendetem Sprachcodec, bereits rund 80 Kbit/s. Wer also am gleichen DSL-Anschluss noch einen Server betreibt oder sich intensivem Filesharing widmet, sollte sich nicht wundern, wenn es mit der Sprachqualität beim IP-Telefonieren hapert.

Um diese Klippe zu umschiffen, hat der Benutzer letztlich zwei Optionen: Entweder er beendet während eines IP-Telefonats Anwendungen, die den Upload über Gebühr beanspruchen, oder er bestellt, wie es etliche Carrier beziehungsweise Provider anbieten, gegen Aufpreis eine höhere Upload-Geschwindigkeit. Hier stellt sich allerdings schnell die Frage, ob sich die IP-Telefonie in der Praxis dann noch rechnet. Zwar telefonieren die IP-Telefonie-Nutzer etwa bei Sipgate mit Teilnehmern anderer SIP-Anbieter kostenlos, doch für Gespräche in das normale Festnetz bezahlen sie 1,79 Cent pro Minute. Die günstigsten Call-by-Call-Anbieter offerieren im klassischen Telefonnetz durchaus vergleichbare Konditionen.

Für den Einsatz der IP-Telefonie in Klein- und Heimbüros sprechen letztlich weniger monetäre Aspekte als vielmehr eine größere Unabhängigkeit. So eröffnet etwa die IP-Telefonie den Kunden etlicher City-Carrier nun die Möglichkeit, über unterschiedliche Provider zu telefonieren, denn die lokalen Telefongesellschaften bieten ihren Kunden in der Regel kein Call-by-Call. Darüber hinaus fasziniert die Idee, sich per IP-Telefon etwa im Urlaub oder am Zweitwohnsitz nur mit dem Internet verbinden zu müssen, um dann weltweit unter der heimischen Rufnummer erreichbar zu sein. Ein Gedanke, den mancher Teleworker schätzen dürfte.

Überzeugender Komfort

Für wen auch dieses Argument nicht sticht, den überzeugt eventuell die Bedienbarkeit der IP-Telefonie. Statt sich wie bei der klassischen ISDN-TK-Anlage mit kryptischen Befehlskombinationen aus Raute, Stern und Ziffernfolgen herumzuärgern, konnten im Test Anrufbeant-worter und andere Funktionen bequem per Web-Browser konfiguriert werden - und zwar von jedem Internet-Anschluss aus. Und einen ersten Eindruck, wohin die viel beschworene Konvergenz aus IT- und TK-Welt führen kann, vermittelte die Anrufbeantworter-Funktion von Sipgate. Entgangene Anrufe, die der Anrufbeantworter aufgezeichnet hat, lassen sich als Voice-Datei an jeden E-Mail-Account weiterleiten.

Letztlich überzeugten im Test denn auch weniger die Kostenvorteile oder die Sprachqualität in Sachen IP-Telefonie, sondern diese neuen Komfortmerkmale. Zumal ja nicht immer ein extra IP-Hardware-Telefon erforderlich ist, um in die Internet-Telefonie einzusteigen, sondern auch ein Softphone auf Notebook oder PDA genügt.