Telekommunikation - ohne Tritt in die Ferne

07.09.1984

Ministerialrat Wilfried Legat, Forschungsbeauftragter im Bundesministerium für Verkehr, Bonn

Telekommunikation ist auch in der Verkehrspolitik zu einem Thema geworden, wenngleich auch eher ein Thema zum Nachdenken als ein Stichwort für programmatische Erklärungen. Der Verkehrspolitiker tut sich im Augenblick noch etwas schwer, wenn er heute schon sagen wollte, welche Probleme mittel- und langfristig konkret auf ihn zukommen.

Immerhin: das bisherige Nachdenken hat den Nebel schon etwas lichten können. Die triviale Unterscheidung zwischen Güter- und Personenverkehr bewährt sich durchaus auch hier, um beim Thema "Telekommunikation und Verkehr" zunächst einmal zwei grundsätzlich anders gelagerte Problemfelder voneinander zu unterscheiden: auf der einen Seite die gewerbliche Nutzung der Telekommunikation in der Ablauf- und Dispositionsorganisation von Gütertransporten und auf der anderen Seite die Nutzung der Telekommunikation im Bereich der privaten Haushalte.

Was den Güterverkehr anbetrifft, lassen sich die Dinge schon verhältnismäßig klar übersehen und der Verkehrspolitiker hat es nicht sonderlich schwer, Position zu beziehen. Telekommunikation und die Vielfalt der modernen Kommunikationstechnologien bieten manche Möglichkeiten, den Güterverkehr im Sinne eines integrierten Logistik-Konzeptes rationeller, volkswirtschaftlich effizienter, ressourcenschonender und umweltfreundlicher zu organisieren.

Der Güterverkehr - so wie er heute als Regelfall immer noch abläuft - bietet erhebliche Rationalisierungspotentiale. Um sie auszuschöpfen, müßte die Arbeitsteilung zwischen Produktions- und Distributionsfunktionen in der Gesamtwirtschaft zum Vorteil der Verkehrswirtschaft verändert und gleichzeitig die Speditions- und Verkehrsunternehmen zu einer größeren Kooperation untereinander bewegt werden.

Der Verkehrspolitiker kann freilich nichts anordnen. Er kann nur wünschen und auf die Innovationsbereitschaft der privaten Wirtschaft vertrauen. Die Hoffnung weicht inzwischen mehr und mehr einer soliden Zuversicht. Die Telekommunikation entfaltete in der Transportwirtschaft eine nicht mehr aufzuhaltende Eigendynamik. Sie hat eine neue Informationsinfrastruktur entstehen lassen, die es ermöglicht, Gütertransporte schneller, billiger und besser zu organisieren. Und was heute noch nicht erreicht ist, wird sich ganz sicher morgen und übermorgen erreichen lassen. Die Bundesregierung unterstützt diese Entwicklung: Das Bundesministerium für Verkehr im Rahmen seiner verkehrlichen Ordnungspolitik, das Bundesministerium für Forschung und Technologie im Rahmen einer konkreten finanziellen Förderung von zukunftsweisenden Pilotprojekten.

Das andere Gebiet, der Personenverkehr - oder anders ausgedrückt: die private Nutzung der Telekommunikation - ist dagegen noch ein Feld widersprüchlicher Spekulationen. Realistischerweise sollte man davon ausgehen, daß sich die häusliche Nutzung der Telekommunikation mindestens langfristig durchsetzen und selbstverständlich werden wird, wie heute schon das Telefon oder das Fernsehen. Und man sollte auch davon ausgehen, daß dies sich auch auf die Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätsnotwendigkeiten der Menschen auswirken wird. Aber in welcher Richtung? Mit der Tendenz einer zunehmenden Personenverkehrsnachfrage oder doch eher umgekehrt?

Manches spricht für das eine, manches für das andere. Und es hat gelegentlich den Eindruck, als ob es soviel unterschiedliche Zukunftseinschätzungen wie Wissenschaftler gibt, die sich darüber Gedanken machen.

Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Vorstellbar wäre es allemal, daß die tägliche Fahrt zur Arbeitsstätte für viele Arbeitnehmer überflüssig werden könnte, weil sich manche Büroarbeiten dank Btx genausogut zu Hause verrichten ließen. Reden wir heute vom "park-and-ride-system", so reden wir vielleicht in Zukunft von einem "park-and-work-system", weil sich eine Entwicklung durchsetzen könnte, bei der die Heimarbeitsplätze zu Peripherie-Büros am Rande von Ballungsgebieten zusammengefaßt werden.

Für den Einkaufsverkehr mit Auto und Tragetüten könnte man sich dank Btx alternative Formen für die Auswahl und Bestellung von gängigen Sortimentswaren vom Wohnzimmer aus vorstellen. Genauso denkbar wäre es, daß die Anwendung der Telekommunikation im Bereich von Unterricht und Ausbildung manchen Schulweg überflüssig machen könnte. Telekommunikation in Form von Bildschirmkonferenzen könnte sich schließlich auch in der gleichen Richtung auf Intensität und Umfang des Geschäftsreiseverkehrs auswirken.

Aber Vorsicht vor allzuschnellen Schlußfolgerungen! Wer immer meint, daß die Telekommunikation im privaten Bereich nur einseitig Mobilitätsaktivitäten ersetzen wird und ihr keine verkehrsfördernden Effekte zutraut, der sollte über die Tatsache nachdenklich werden, daß die rasche Verbreitung des Telefons den Briefverkehr nicht zum Erliegen brachte, sondern vielleicht sogar dazu beitrug und beiträgt, daß Jahr für Jahr mehr Briefe geschrieben werden.

Es gehört zu dem Geschäft der Verkehrsplaner, sich über die Zukunft in 15 oder 20 Jahren Gedanken zu machen. So lange braucht es nämlich, bis eine erdachte Autobahntrasse oder eine Eisenbahn-Neubaustrecke von der ersten Planung bis zur Fertigstellung Gestalt annimmt. Prognosen und Szenarien sind probate Instrumentarien, um die Zukunft einschätzbar zu machen. Solche Modellrechnungen berücksichtigen langfristige Wirtschaftsprozesse, Bevölkerungsentwicklungen, individuelle und kollektive Mobilitätsbedürfnisse, Veränderungen der Freizeitgewohnheiten, die Entwicklung des Freizeitbudgets, die Dauer von Auslandsaufenthalten und vieles andere mehr. Man wird bei solchen errechneten Zukunftsbildern eben auch versuchen müssen, die Auswirkung der Telekommunikation mit einzubeziehen.

Ein Anfang dazu ist bereits gemacht. Das Bundesverkehrsministerium hat erst kürzlich einem bekannten Schweizer Zukunftsforschungsinstitut den Auftrag erteilt, neuere Untersuchungen zum Thema "Telekommunikation und Verkehr" anzustellen. Im Verkehrsministerium rechnet freilich niemand damit, daß hierbei Ergebnisse herauskommen könnten, die geeignet wären, die bisherigen Annahmen für den Verkehr von morgen völlig auf den Kopf zu stellen.