Migration in die Breitband-Welt muß Investitionen schützen

Telecom '91: Im Mittelpunkt standen die visionären Techniken

25.10.1991

GENF - Die größte und bedeutendste Telekommunikationsmesse der Welt, die Telecom '91, war im großen und ganzen eine Veranstaltung der Visionen. Von der alteingesessenen Switching- und PBX-Technik sowie Interconnecting-Produkten einmal abgesehen, präsentierten sich die meisten Aussteller mit Technologien, die für den Anwender noch Zukunftsmusik sind.

Im Gegensatz zur Telecom '87 gab es bei der diesjährigen Messe in Genf - sie findet nur alle vier Jahre statt - kein absolut zentrales Thema, zumindest in Hinsicht auf bestehende Produkte. Während vor vier Jahren digitale Nebenstellenanlagen wie zum Beispiel die Hicom-Serie von Siemens oder ISDN eindeutig dominierten, standen diesmal mit der Breitband-Kommunikation, Multimedia-Anwendungen, Fiber to the Home, intelligenten Netzen sowie Mobilkommunikation gleich mehrere Bereiche im Mittelpunkt, deren praktische Realisierung noch mehr oder weniger auf sich warten lassen wird.

Nachdem die digitale Vermittlungs- und Nebenstellentechnik mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden ist, haben alle Großen der Branche in Forschung und Entwicklung längst einen Gang höher geschaltet und in Genf ihre Präsenz in den Breitband-Technologien der Zukunft demonstriert. Standards wie SDH (Synchrone Digital Hierarchie), Sonet (Synchronous Optical Network), ATM (Asynchrone Transfer Modus) oder DQDB (Distributed Queue Dual Bus) werden die Kommunikation des nächsten Jahrtausends prägen und sind deshalb, das war in Genf sichtbar, in die Strategien der Hersteller eingeflossen.

Die Konzerne Siemens und Alcatel/SEL haben zum Beispiel Konzepte vorgestellt, die Kunden den schrittweisen Übergang von der bestehenden Schmalbandtechnik in die Breitband-Kommunikation ermöglichen sollen.

Hans Baur, Mitglied des Zentralvorstands der Siemens AG, präsentierte auf der Pressekonferenz mit Vision ONE (Optimierte Netz Evolution) ein Migrationsmodell, das dem Anwender mittelfristig in vier Phasen den Weg in die schnellere Kommunikation öffnen soll.

Baur stellte fest: "Da künftige Kommunikationsdienste nicht schlagartig entstehen werden und sich das Investment der vorhandenen Infrastruktur für den Kunden erst amortisieren muß, kommt für den Weg zum Zielnetz der Zukunft keine Revolution, sondern nur eine Evolution in Frage."

Netze von heute, so der Top-Manager, müßten deshalb so erweiterbar sein, daß die Wünsche der Anwender jederzeit situationsgerecht befriedigt werden können.

In einem ersten Schritt hält Baur zunächst die Ergänzung der vorhandenen Netze durch MANs, SDH- und Sonet-Übertragungssysteme, -Multiplexer und -Crossconectoren, Fiber in the Loop und Anwendungen für intelligente Netze sowie TK-Management für wichtig.

In einer zweiten Phase sollen dann ATM-Crossconnectoren und -Multiplexer für Breitband-Festverbindungen angeboten werden, gefolgt von ATM-Vermittlungen für Breitband-Wähl- und Festverbindungen. In einem vierten Schritt schließlich will Siemens dann Schmalbandanschlüsse auch im ATM-Netz realisieren.

In die gleiche Richtung zielt der französische Konzern Alcatel mit der neuen Serie Alcatel 1000 für Vermittlungs- und Übertragungssysteme. In Genf führte das Unternehmen unter anderem ein Breitbandmodul vor, mit dem Kunden die alteingesessenen Systeme E10 und System 12 sowohl in Schmalband- als auch Breitbandtechnik nutzen können und dadurch bestehende Investitionen geschützt werden.

Überhaupt nahm ATM in den Präsentationen der Aussteller einen breiten Raum ein. Der Standard gilt als ideale Basis für das Breitband-ISDN, das das herkömmliche ISDN einmal ablösen soll. Apropos ISDN: Auf der Telecom '87 noch das zentrale Thema, hat sich die Euphorie in Sachen ISDN-Entwicklung bei vielen Herstellern deutlich gelegt. Dennoch scheint sich die Endgeräte-Situation jetzt zu lockern. Anbieter wie Detewe und andere haben entsprechende Produkte in Genf vorgeführt.

ISDN: Viele Pläne, aber wenig Produkte

Auf der diesjährigen Schau wurde das Thema ISDN aber nur durch die Diskussion um ATM aufgewärmt. Für diesen Standard wie auch für SDH, Sonet und DQDB gilt, daß die Hersteller sich zwar intensiv damit befassen, Produkte bis auf wenige Ausnahmen aber noch nicht auf dem Markt sind. Bei den Messe-Exponaten handelte es sich meist um Prototypen oder Beta-Versionen.

Augenfällig war in diesem Zusammenhang, daß die Japaner auch in diesem Bereich heftig mitmischen. So stellte zum Beispiel NEC eigenen Angaben zufolge mit einer Schaltkapazität von zehn Gigabit pro Sekunde das derzeit weltweit leistungsfähigste ATM-Schaltelement vor -ein Produkt das auch NTT mit passenden Endgeräten präsentierte. Geräte für Breitband-ISDN, SDH und ATM führte in Genf Toshiba als weiteres Unternehmen aus dem Land der aufgehenden Sonne vor.

Engagement auf diesem Sektor zeigen aber auch die Switch-Hersteller Ericsson, AT&T und GPT. AT&T sowie GPT brachten im Zuge der Telecom '91 SDH-Produkte auf den Markt, wobei die Siemens AG, die an GPT beteiligt ist, in diesem Zusammenhang auf eines der wenigen bereits realisierten Projekte, nämlich eine 2,5 Gbit/s-Lichtwellenleitung in SDH-Technik für die schweizerische Post zwischen Genf und Lausanne hinwies.

Der schwedische Hersteller Ericsson präsentierte den Besuchern in Genf ein Breitband-Vermittlungssystem für digitale Wählverbindungen bis zu 2 Mbit/, mit dem große Unternehmen Mietleitungen für Sprach-, Daten- und Videokommunikation nutzen können. Ähnlich geartet ist die Breitband-Nebenstellenanlage für den Anschluß an das öffentliche Breitbandnetz sowie unterschiedliche Endgeräte für Bild- und Multimediakommunikation von der Telenorma Bosch Telecom.

Stichwort Multimedia: Natürlich sind Breitbandkommunikation und Multimedia-Anwendungen eng miteinander verbunden. Auf der Messe dominierten in dieser Hinsicht vor allem Videoconferencing-Applikationen, die angesichts des Golfkrieges sowohl bei Anbietern wie auch Kunden an Interesse gewonnen haben. Multimedia-Anwendungen werden darüber hinaus mit der wachsenden Glasfaserverkabelung - sprich: Fiber to the Loop und Fiber to the Home - an Relevanz für den Einsatz nicht nur bei Großkunden, sondern auch privat erlangen.

Der Realität beziehungsweise Nutzung durch den Anwender dürfte von all den eingangs angesprochenen Punkten aber der Mobilfunk sein. Nach der Verabschiedung der für das paneuropäische Mobilfunknetz relevanten GSM-Standards haben zahlreiche Produzenten Endgeräte vorgestellt oder für das nächste Jahr angekündigt. Das ist insbesondere aus deutscher Sicht von Bedeutung, weil hierzulande das D1- und D2-Netz in ersten Ausbaustufen fertiggestellt sind, es bislang aber an Endgeräten fehlte. Trotz der angebotenen Telefone wird sich die Situation vorerst jedoch nicht entspannen weil das entsprechende von der Telekom in Auftrag gegebene Prüfverfahren für das Netz und die Endgeräte noch nicht fertig entwickelt und daher keine Zulassung möglich ist.