Mobile Kommunikation/In Deutschland wird das Kommunikationsverfahren kaum genutzt

Telearbeit erfordert Eingriffe in die Organisationsformen

03.01.1997

Die moderne Telearbeit hat sich längst ihrer Stigmatisierung als Ausbeutungsmodell entledigt. Die Behauptung, der Computer sei der Jobkiller Nummer eins, ist inzwischen einer sachbezogenen Diskussion gewichen. Erkannt haben dies vor allem die Gewerkschaften. "Telearbeit kann ein Zeichen von selbstbestimmter Tätigkeit sein, doch wir müssen dabei auch über kooperative Führungsstrukturen sprechen", fordert Ursula Altmeyer, Vorstandsmitglied der Deutschen Postgewerkschaft (DPG), alle Betroffenen auf.

Das Potential für moderne Telekooperation ist gewaltig. Experten gehen bei entsprechend großzügiger Definition von 3,5 Millionen Telearbeitsplätzen in Deutschland aus. Allein bei IBM soll im Jahr 2010 jeder dritte Arbeitsplatz dazuzählen. Daß vor allem in Deutschland ein riesiger Nachholbedarf besteht, belegt die Hochrechnung des Bundeswirtschaftsministeriums, die von etwa 150000 bestehenden Telearbeitsplätzen ausgeht. Einer jüngsten Umfrage des industrienahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln zufolge schätzen rund 40 Prozent der Führungskräfte die Telearbeit positiv ein.

In den USA und Großbritannien haben sich die Spielarten der Telekooperation früher entwickelt: Jenseits des Atlantiks sind rund 6,5 Millionen und auf der britischen Insel etwa 600000 Arbeitsplätze dazuzurechnen. Überraschenderweise wächst die Zahl der US-Telearbeiter im öffentlichen Sektor schneller als im privaten Bereich, wie der Unternehmensberater Gil Gordon unlängst auf einem Münchener Kongreß berichtete.

Laut allgemeiner Auffassung beinhaltet die Telekooperation die drei Kategorien vernetzte Arbeit (Telearbeit), vernetzte Führung (Tele-Management) und vernetzte Leistung (Teleservice). Ralf Reichwald, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der TU München, hat die Einsatzfelder der Telekooperation in vier Klassen aufgeschlüsselt: On-site-Telearbeit, Telearbeit in Telezentren, Home-based Telearbeit und mobile Telearbeit. Während On-site-Telearbeit beispielsweise in der Bauindustrie Verwendung findet und dort die Geschäftsprozesse an den Ort der erbrachten Leistung, etwa an große Baustellen, verlagert werden, bieten Telezentren insbesondere in strukturschwachen Regionen zahlreiche Möglichkeiten zu ressourcenschonender Kooperation über leistungsfähige Netze. Arbeitnehmer und Selbständige teilen sich modernste Informations- und Kommunikationstechnologie unter einem Dach.

Mobile Telearbeit sowie Home-based Telearbeit schließlich stellen den überwiegenden Teil moderner Telekooperationsprojekte dar. Dabei handelt es sich etwa um die Programmiererin und Mutter, die ihre Aufgaben zu Hause erledigt. Sie erspart sich die täglichen Fahrtwege, kann sich ihre Arbeit freier einteilen und erhält so mehr Zeit für die Familie. Andere Beispiele sind auch solche Arbeitsplätze, die hohe Mobilität erfordern, zum Beispiel Tätigkeiten in Vertrieb und Projekt-Management. In diesen Fällen wird auch von alternierender Telearbeit gesprochen. Arbeitsplätze sind sowohl im Unternehmen als auch zu Hause bei den Angestellten eingerichtet. Während durchschnittlich drei Tage in der Woche daheim oder unterwegs gearbeitet wird, kommt man an zwei Tagen ins Büro, um die Post zu erledigen und sich mit den Kollegen über den Stand der Arbeiten auszutauschen.

Ein interessantes Beispiel für die Mobile Telearbeit ist das Projekt "Computerunterstützung der Parlamentsarbeit" (Cuparla) der Stadt Stuttgart. In Zusammenarbeit mit der Universität Hohenheim und der Datenzentrale Baden-Württemberg geht das von der DeTeBerkom geförderte Projekt der Frage nach, wie sich die Arbeit des Parlaments effektiver gestalten läßt.

Cuparla beschäftigt sich damit, wie die vielfältigen Beziehungsebenen von Kommunikation und Kooperation nach innen und außen durch entsprechend ausgerüstete Hard- und Softwaresysteme unterstützt werden können. Noch immer wissen die wenigsten, daß die gewählten Gemeinderatsmitglieder ehrenamtlich tätig sind. Durchschnittlich verbringen sie 17,4 Stunden pro Woche mit der parlamentarischen Arbeit, obwohl sie einem anderen Beruf nachgehen und zeitlich stark eingeschränkt sind. Zu Hause oder unterwegs sollen die Volksvertreter nun Dokumente bearbeiten oder Nachrichten empfangen und versenden können.

Macht DV die Parlamente effektiver oder leerer?

Cuparla startet in einem überschaubaren Rahmen: Seit dem Sommer werden im ersten Projektabschnitt Mitglieder jeweils eines Ausschusses des Stuttgarter Gemeinderats und des Kreistags in Sigmaringen mit Notebooks ausgestattet. Wenn man mit den ersten Erfahrungen zufrieden ist, soll sich Cuparla auf das Gesamtparlament erstrecken.

Elektronische Post für den Austausch von Nachrichten und Dokumenten sowie Diskussionsdatenbanken zur Erprobung virtueller Ausschußsitzungen sollen die Parlamentarier mit der neuen Organisation ihrer (Tele-)Arbeit vertraut machen. Dabei greifen die Volksvertreter auf mehrere NT-Server zu, deren Daten über 30 B-Kanäle in ISDN abgerufen werden können. Einzelne Videokonferenzsysteme runden die technische Ausstattung ab. Die mobile Nutzung von Datenbanken basiert auf Lotus Notes, zur Unterstützung virtueller Sitzungen kommt eine Spezialsoftware der Groupvision Softwaresysteme GmbH, Stuttgart, zum Einsatz.

Manager bevorzugen direkte Kommunikation

In zahlreichen anderen Projekten in Deutschland versucht man herauszufinden, welche Potentiale sich durch die mobile Telearbeit erschließen lassen. Tele-Management, so Ralf Reichwald von der TU München, sei bis dato ein völlig vernachlässigtes Feld. Erst vor wenigen Wochen hat er eine internationale Untersuchung abgeschlossen, in der er Führungskräfte der IT-Industrie - zum Beispiel von Apple und Siemens - zwei Tage beim Umgang mit neuen Technologien beobachtet hatte. Überraschendes Ergebnis: Trotz Fax, Telefon, Voice- und E-Mail, trotz Groupware, Internet und Video-Conferencing ist der Anteil der Face-to-face-Kommunikation seit 20 Jahren unverändert hoch geblieben.

Der Vergleich zwischen USA und Deutschland weist diesbezüglich kaum Unterschiede auf. Die persönliche Kommunikation, so eines der Ergebnisse der Studie, ist eine Konstante im Kommunikationsverhalten in den Unternehmen und spielt in der Arbeit des Top-Managements nach wie vor die wichtigste Rolle. Unter solchen Vorzeichen wird es die Telekooperation in der Wirtschaft auch weiterhin schwer haben, Fuß zu fassen.

ANGEKLICKT

In Deutschland haben bislang nur wenige Unternehmen das Potential der Telearbeit erkannt. Einen Akzeptanzschub könnte die Technik durch ein Projekt erfahren, in dessen Rahmen die Volksvertreter des Stuttgarter Parlaments auf eine Infrastruktur für die mobile Arbeit zurückgreifen können. Erste Erfahrungen aus anderen Projekten zeigen, daß die Einführung derartiger Strukturen Eingriffe in gewohnte Arbeitsabläufe erfordern.

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.