Tele-Programmierung steht noch auf schwachen Füßen

25.10.1985

Der zu Hause arbeitende Programmierer ist im Gegensatz zu den USA in der Bundesrepublik nur selten zu finden. Eine große Rolle spielt dabei die deutsche Mentalität. So betont Frau. Dr. Helga Herrmann vom Institut der deutschen Wirtschaft: "Die Amerikaner sind eben experimentierfreudiger und risikobereiter gegenüber technischen Neuerungen." Werner B. Korte vom Empirica Institut in Bonn hält Teleheimarbeit für Programmierer durchaus für eine sinnvolle Sache. Schließlich würden die DV-Profis sowieso des öfteren Arbeiten mit nach Hause nehmen, um sie dort ungestört erledigen zu können. Ob sich allerdings Tele-Programmierung in bundesdeutschen Wohnzimmern zukünftig durchsetzen wird oder nicht, läßt sich heute noch nichtvoraussagen.

Angelika Bahl-Benker

Industriegewerkschaft Metall, Frankfurt/Main

Lange Jahre schien Heimarbeit ein Relikt vergangener Jahrzehnte: Die Zahl der Heimarbeiter - zu etwa 90 Prozent waren es Frauen - ging zurück, das alte Problem ihrer schlechten Entlohnung und ihrer schlechten sozialen Sicherung schien sich von selbst zu erledigen. Inzwischen jedoch hat diese Problematik mit der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechniken neue Aktualität erlangt. Zwar gibt es bisher noch relativ wenige Beispiele für eine Auslagerung von Arbeiten in elektronischer oder Teleheimarbeit. Aber die Verbilligung der Geräte und der Ausbau der Übertragungsnetze dürften die Schwelle verringern.

Nun entscheidet sich zweifelsfrei die Arbeit einer Daten- und Texterfasserin von der eines Programmierers. So lange ein Teleprogrammierer jung und auf dem Höhepunkt seiner Qualifikation und Leistungsfähigkeit ist, mag er sich für einige Zeit seine Arbeits- und Lebensbedingungen angenehm gestalten können. Dies gilt vor allem so lange auch Programmierqualifikationen auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Was aber, wenn sich diese Bedingungen ändern! Dann kann sich die soziale Situation des Teleprogrammierers schnell derjenigen nähern, die bei einer Datenerfasserin eintritt.

Auf der gesellschaftlichen Ebene kumulieren sich diese sozialen Risiken: Eine breite Auslagerung von Arbeit aus den Betrieben würde die Position der Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt schwächen und zu einer Aushöhlung des Arbeits- und Sozialrechts führen: Kollektive Regelungen - Sozialversicherung, Arbeitsrecht, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen etc. können abgelöst werden durch Einzelverträge. Gerade zynisch muten deshalb die Aussagen von politisch Verantwortlichen an, die sozialen Folgen sollten eben die Tarifparteien lösen. Wenn durch Telekommunikation politische Kräfteverhältnisse verschoben werden - und die Teleheimarbeit ist ein deutliches Bespiel dafür, wie die Interessendurchsetzungschancen der Arbeitnehmer paralysiert werden können - dann funktionieren bisherige Instrumente zur sozialen Steuerung nicht mehr. Damit sind aber auch Grundlagen des sozialen und demokratischen Rechtsstaates zur Disposition gestellt.

Aus all diesen Gründen widerspricht elektronische Heimarbeit gewerkschaftlichen Zielvorstellungen für eine humane und soziale Gestaltung von Arbeit und Technik. Es sind weder soziale und materielle Sicherheit, noch qualifizierte und kooperative Arbeit, noch akzeptable Arbeitsbedingungen gewährleistet. Deshalb lehnen die Gewerkschaften Teleheimarbeit und andere Formen der Dezentralisierung, bei denen vergleichbare Probleme bestehen ab. Grundsätzlich allerdings mögen Formen der Dezentralisierung von Arbeit denkbar sein, die auch aus Arbeitnehmersicht positiv zu bewerten wären. Solche sozialen und humanen Formen würden aber voraussetzen, daß neue Modelle der Arbeitsorganisation nicht einseitig durch die Rationalisierungsinteressen der Unternehmer bestimmt werden, sondern Ergebnisse eines gesellschaftspolitischen Dialogs und eines Konsens der Beteiligten und Betroffenen wäre.

Werner B. Korte und Dr. Wolfgang J. Steinle Empirica, Bonn

Durch die Entwicklungen auf den Gebieten der Büroautomation und Telekommunikation in den letzten Jahren sind die technischen Voraussetzungen für die dezentrale Erbringung und Nutzung von Leistungen geschaffen worden. Bestimmte Arbeiten lassen sich organisatorisch und räumlich getrennt vom Ort ihrer Verwendung erbringen, privat oder geschäftlich genutzte Dienstleistungen können zu beliebiger Zeit ortsunabhängig in Anspruch genommen werden.

Insbesondere in den USA (zum Beispiel Lift Inc., Blue Cross/Blue Shields, Heights Information Inc. Tymshare Cupertino, Interactive Systems) aber auch im europäischen Ausland (zum Beispiel F International Ltd., ICL, Direction Generale des Impôts) und der Bundesrepublik Deutschland (Programmservice GmbH, Integrata) existieren Projekte, in denen Programmierer ihre Tätigkeit, zumindest aber einen Teil davon, dezentral verrichten.

Im Unterschied zu anderen Berufsgruppen können Programmierer aufgrund der derzeit guten Arbeitsmarktbedingungen ihre Rahmenbedingungen bei der Erwerbstätigkeit so gestalten, daß sie arbeitnehmerfreundlich sind und ihren Vorstellungen entsprechen. Da es sich bei den Programmierern des weiteren ohnehin um eine Berufsgruppe handelt, die schon einmal Teile ihres Arbeitsvolumens "mit nach Hause nehmen", um dort in einer störungsfreieren Atmosphäre bestimmte Arbeiten zu erledigen, konnte man vermuten, daß sich Teleheimarbeit von Programmierern stärker als bei anderen Berufsgruppen in Zukunft ausbreiten wird. Theoretisch liegen in diesem Bereich umfangreiche Potentiale.

Der prototypische Heimcomputernutzer ist männlich, eher jung, und ist in Berufen tätig, die überdurchschnittlich viel Computerarbeit beinhalten. Zum Beispiel besitzt fast jeder fünfte Programmierer einen Heimcomputer, während im Durchschnitt nur jeder zwanzigste Bundesbürger über ein solches Gerät verfügt. Entscheidend ist jedoch nicht die Nutzungshäufigkeit sondern die Nutzungsart. Die Zeit, in der Heimcomputer lediglich für einige Spiele und sonstige Vergnügen genutzt wurden, liegt längst hinter uns. Heute spielt der Heimcomputer schon eine entscheidende Rolle im Rahmen arbeitsbezogener Tätigkeiten. Unsere Untersuchungen haben ergeben, daß schon annähernd 10 Prozent der Programmierer, die einen Heimcomputer besitzen, diesen primär geschäftlich nutzen. Des weiteren zeigt sich diese Berufsgruppe dezentralen Arbeitsformen gegenüber weitaus aufgeschlossener und interessierter als im Durchschnitt.

Neben einer zunehmend dezentralen arbeitsbezogenen Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechniken in bestimmten Berufen werden auch private Dienstleistungen verstärkt ortsunabhängig in Anspruch genommen werden. In vielen Bereichen kann ein solches Nutzerverhalten schon heute beobachtet werden (Stichwort: Home-Banking), und es ist davon auszugehen, daß es in Zukunft - auch in anderen Bereichen - zunehmen wird. Wie sind nun die Aussichten und Chancen einer zunehmenden Diffusion von Teleheimarbeit und höherqualifizierten Personengruppen, insbesondere Programmierern, zu beurteilen? Räumlich und organisatorisch dezentrale Formen der Erwerbstätigkeit sind im allgemeinen verstärkt auf Höherqualifizierte und damit auch Programmierern zugeschnitten. Wie weiter oben schon ausgeführt wurde, basiert diese Einschätzung auf folgenden Faktoren:

- Bei den Programmierern handelt es sich um eine Berufsgruppe die stärker als andere schon heute zumindest teilweise dezentral arbeitet. Aufgrund der derzeit für sie guten Marktbedingungen lassen sich für diesen Personenkreis im Falle von Teleheimarbeit attraktiven Rahmenbindungen erbringen.

- Die zu beobachtenden qualitativen Nutzungsverschiebungen bei der Heimcomputernutzung, die heute schon relativ stark ausgeprägte arbeitsbezogene Nutzung dieser Geräte durch Programmierer und die deutlich höhere Aufgeschlossenheit gegenüber dezentralen Arbeitsformen unter Programmierern deuten auf ein größeres Humankapital für Telearbeit hin als unter anderen Berufsgruppen.

- Der verstärkte Einzug neuer Medien in der Privathaushalte fördert eine stärkere Vermischung von Privat- und Arbeitssphäre mit der Folge daß privat oder geschäftlich genutzte Dienstleistungen zu beliebiger Zeit ortsunabhängig in Anspruch genommen werden können.

Der Prozeß der Umgestaltung der Erwerbsarbeit bei Programmierern wird jedoch nicht sprunghaft verlaufen. Wegen der Vielzahl von beeinflussenden und teilweise noch nicht analysierten Rahmenbedingungen kann vorerst allerings keine exaktere Einschätzung vorgenommen werden.

Dr. Helga Herrmann Institut der deutschen Wirtschaft, 5000 Köln

Die modernen Informations- und Kommunikationstechniken schaffen die Voraussetzungen, die organisatorischen Zwänge von Ort- und Zeitbindung für bestimmte Erwerbsarbeiten wieder aufzulösen, die Arbeit zu den Menschen zu bringen - statt wie bisher umgekehrt. Das Stichwort heißt Telearbeit.

Die vielfältigsten Erfahrungen liegen aus den USA vor. Anwender sind Branchen mit einem hohen Anteil an informationsverarbeitenden Prozessen (Datenerfassung, Texterfassung) oder solche, bei denen Information selbst das erzeugte Endprodukt ist (Presseprodukte, Programme). Besonders viele Beispiele für Telearbeit in der Privatwohnung gibt es auf dem Gebiet der Softwareentwicklung und Programmierung.

Mit Blick auf die Entwicklung in den Vereinigten Staaten und unter Berücksichtigung eines Zeitverzugs von fünf bis zehn Jahren wird für die Bundesrepublik von manchem bereits für die 90er Jahre eine massenweise Auslagerung von Büroarbeitsplätzen aus den Unternehmenszentralen erwartet oder auch befürchtet. Doch soll an dieser Stelle keine Analyse des quantitativen Verbreitungspotentials versucht werden, vielmehr sollen hier die Determinanten des Verbreitungsprozesses im Blickfeld stehen. Denn Telearbeit als neue Arbeitsorganisation entsteht ja nicht aus einem technischen Sachzwang heraus, sondern als das Ergebnis menschlicher Entscheidungen. Und die für diese Entscheidung geltende Parameter liegen in der Bundesrepublik anders als in den USA. Der Verbreitungsgrad der Telearbeit bei uns wird entscheidend beeinflußt werden von

- der Verkabelungstechnik der Bundespost. Gegenwärtig reicht das Telefonnetz für einen schnellen und umfangreichen Datenfluß nicht aus

- der Rentabilität, die wegen der noch relativ hohen Kosten für die technische Infrastruktur auch in absehbarer Zukunft nur für Tätigkeiten mit einem hohen Marktwert erreicht werden kann;

- dem gesellschaftspolitischen Umfeld, in dem den Gewerkschaften eine Schlüsselfunktion zukommt. Die bislang überwiegende Abwehrhaltung hat bei vielen an Telearbeit Interessierten Verunsicherung und Zurückhaltung ausgelöst.

Schließlich spielen für die soziale Akzeptanz von Telearbeit auch Fragen der Mentalität eine Rolle: Amerikaner scheinen im Vergleich zu den Deutschen experimentiertreudiger, risikobereiter und offener gegenüber technischen Neuerungen zu sein. Und last but not least hat auch die geographische Situation der USA mit ihren großen Entfernungen und massigen Pendlerströmen die Entwicklung begünstigt.

Einen hohen Verbreitungsgrad könnte Telearbeit auf dem Gebiet der Softwareentwicklung und Programmierung erreichen, weil zum einen die Nachfrage nach Software groß ist und mit zunehmender Computerisierung weiter steigen wird und zum anderen diese Tätigkeit ein hohes Maß an Konzentration und Selbständigkeit, aber nur geringe persönliche Kommunikation, und keine permanente Präsenz in der Unternehmenszentrale erfordert; sie eignen sich vom arbeitsorganisatorischen Aufwand her besonders für Dezentralisierung. Außerdem könnte die dezentrale Programmierarbeit über ihren hohen Marktwert sehr schnell wirtschaftlich werden.

Es kann davon ausgegangen werden, daß die Auslagerung dieser Tätigkeiten sowohl im Interesse der Firmen wie auch der Mitarbeiter liegt und folglich die Initiative hierzu von beiden Seiten ausgehen kann. In der Telearbeit liegt die Chance, wieder zu Arbeitsorganisationen zurückzufinden, die Arbeit und Freizeit nicht mehr in zeitlich und räumlich verschiedene Handlungsbereiche trennen. Daher sollte diese Chance nicht aus Ängstlichkeìt vergeben werden.