Technologiekompetenz und Partnerschaften sollen zu schwarzen Zahlen fuehren "Die kommenden sechs Monate entscheiden Schicksal von DEC"

23.09.1994

CANNES (jm) - Kein Blitzlichtgewitter leuchtet seine Schritte auf dem Boulevard de la Croisette aus. Unerkannt geht er ueber die palmengesaeumte Meile der Eitelkeit in Cannes, vorbei am Carlton, der Nobelabsteige der Filmstars. Das Manuskript seiner naechsten Ansprache in Haenden, ist ihm klar: Wenn er morgen ins Rampenlicht tritt, wenn er spricht, wird ihm niemand zu Fuessen liegen.

Vielleicht fragt sich Robert Palmer beim Spaziergang ueber die sonnenbeschienene Strandpromenade, was er mehr ist: Liquidator oder Hoffnungstraeger? Beim Feilen an seiner naechsten Botschaft - diesmal vor Europas DECUS-Mitgliedern und den Medienvertretern - weiss er nur eins ganz sicher: Bald wird er nicht mehr Herr sein ueber 85000 Menschen, Mitarbeiter des einst zweitgroessten US-DV- Unternehmens. Denn 20000 muessen noch gehen, 45000 wurde schon der Laufpass gegeben.

Mit seinem Personalabbau beweist Palmer Terminatorqualitaeten, die notwendig sind, allerdings spaet kommen - manche meinen, zu spaet. Wenn der CEO Ende Juni 1995 Rechenschaft ueber ein weiteres Finanzjahr ablegen muss, kann er als Aktivposten eine von 130000 Mitgliedern auf die Haelfte zusammengeschrumpfte DEC-Belegschaft anfuehren. Das klingt aus der Feder eines nicht Betroffenen mitleidlos, aber es scheint die Rettung fuer die verbliebenen Beschaeftigten.

Als Palmer vor die beunruhigten DEC-Anwender tritt, steht sein Konzept: Er weiss, dass das Bild eines zaudernden, ratlosen Haeuptlings toedlich fuer das Image seiner havarierenden Firma waere.

Er spielt seinen Part gut: hart in der Sache, kaempferisch gegen die Konkurrenz: "Was HP mit Intel macht, ist Unsinn, das kann nicht funktionieren." Immer wieder repetiert er auf der Tonleiter: "Die technologische Speerspitze, das sind wir." Alpha ist top, danach kommt lange, lange nichts.

Palmer macht Witze, hat die Situation im Griff, weicht keiner Frage aus - als Mathematiker und Physiker weiss er sich nie auf Treibsand, wenn die technologische Diskussion an Schaerfe zulegt. Fast uebertreibt er die Koketterie, als er ein Telefongespraech rekapituliert: Da hat ihm, Palmer, Chef von DEC, ein US- amerikanischer Privatanleger erklaert, warum er es fuer Wert befindet, 50 Millionen Dollar in DEC-Aktien zu investieren. Ein Turn-around-Kandidat sei DEC, laesst Palmer sich gerne belehren - als glaubte er es nicht selbst.

Palmer wuerzt seine Rede mit Fakten: Von den 2,16 Milliarden Dollar, die DEC im Geschaeftsjahr 1994 (2. Juli 1994) als Verlust abbuchen musste, sind "nur" 519 Millionen tatsaechlich verloren. Den Loewenanteil lagert das Unternehmen fuer Rueckstellungen zur Absicherung der Sozialplaene, fuer den abgefederten Rausschmiss von Mitarbeitern aus. Die Restrukturierungskosten, die auf das Ergebnis des letzten Fiskaljahrs druecken, belaufen sich auf 1,2 Milliarden Dollar. "Fuer die Unternehmensumordnung", versucht Palmer die Zuhoerer zu beruhigen, "haben wir genug Bares."

Palmer betont, dass sich die Verkaufszahlen fuer Alpha zunehmend erfreulicher ausnaehmen. Erstmals uebertraf das Alpha- das VAX- Geschaeft. Wichtiger waere allerdings, die Alpha-Rechner wuerden die von Brancheninsidern kolportierten Verluste aus dem ruecklaeufigen VAX-Geschaeft kompensieren.

Der DEC-Chef muss einen Eiertanz auffuehren, wenn er die Bedeutung der installierten VAX-Basis unterstreicht. Die werde auch in Zukunft gepflegt und fortentwickelt, wie die gerade erst praesentierte VAX-Rechnerlinie mit Leistungssteigerungen von 50 Prozent beweise.

Gleichzeitig baut er, wohl um eine zukuenftige Strategie zu rechtfertigen, vorsichtshalber vor, und es hoert sich wie eine Beschwoerung der DECUS-Basis an: "Die VAX-Verkaeufe werden zurueckgehen, langsam zwar, aber sicher." Zu gerne, liest der Beobachter zwischen den Zeilen, wuerde Palmer den proprietaeren VAX- Klotz los sein.

Zu den Aktiva zaehlt sicher auch die PC Business Unit von Bernhard Auer, Vice-President and General Manager, vormals Chef des Europa- PC-Geschaefts bei DEC. In Europa legte Digital beim Marktanteil um fast zwei Prozent von 1,3 auf 3,1 Prozent zu. Damit belegt man - gemessen an den Stueckzahlen - Rang neun unter den PC-Anbietern. Nach Umsatzaspekten rueckt DEC gar auf den sechsten Platz vor.

Wichtiger noch: Die hundertprozentig selbstaendige PC-Division produziert schwarze Zahlen - ein Orden, den sich IBM oder etwa SNI auch gerne ans Revers heften wuerden. "Unsere PCs", kolportiert Palmer einen zutreffenden Eindruck in der Branche, "wurden doch vor zwei Jahren in der Industrie als Witz angesehen."

Eher auf Unverstaendnis stoesst bei Marktanalysten, dass DEC im Zuge der Restrukturierung andere profitable Geschaeftsbereiche verscherbelt hat: Angesprochen ist die Storage Division, die fuer 400 Millionen Dollar zur Quantum Corp. wechselte. Doch auch hier scheint Palmers Antwort zwingend: Die Digital Equipment Corp. werde sich nur noch auf solche Marktsegmente konzentrieren, in denen sie durch ihr Know-how gegenueber der Konkurrenz bereits in Vorlage getreten sei.

Das habe fuer die Festplatten- und Bandspeicher oder die sogenannten Solid-state-Disks und Duennfilmspeichermedien ebensowenig gegolten wie fuer das Geschaeft mit Datenbanken. Deshalb auch der Verkauf von rdb an Oracle, der ganz im Zeichen der neuen Firmenstrategie steht, nur noch fuer solche Produktsegmente Energien zu mobilisieren, die hohe Stueckzahlen versprechen.

Auch Teile von Cohesion stehen zum Verkauf

Darum konzentriert sich DEC bei der Hardware auf das Alpha-, VAX- und PC-Geschaeft, in puncto Software auf die Netzwerkproblematik und das Middleware-Thema. Zukuenftig gehoert die Aufmerksamkeit der DEC-Ingenieure ausschliesslich Komponenten wie "Pathworks" zur Systemintegration, "Linkworks" fuer die Applikationseinbindung und "Accessworks", mit dem die Datenintegration zwischen verschiedenen relationalen Datenbankkonzepten sichergestellt werden soll.

Das Engagement bei vertikalen Software-Applikationen gibt DEC hingegen auf und veraeussert entsprechende Produkte an Partner. Sogar Teile der Entwicklungsumgebung "Cohesion" stehen zum Verkauf, verriet ein DEC-Mitarbeiter. Zumindest fuer die auf den Luftfahrtbereich ausgerichteten Module sei man im Gespraech mit einem Systemintegrator: "Das koennte fuer jemanden wie EDS interessant sein."

Palmer wirbt um Verstaendnis, als er die Umstellung auf eine indirekte Vertriebsstrategie erklaert. Lediglich 1000 Grosskunden weltweit stuenden fuer 80 Prozent des DEC-Umsatzes. Nur fuer diese lohne sich der hohe finanzielle Aufwand der Direktbetreuung durch die Accounts Business Unit (ABU). 8000 Kunden, die jaehrlich nur bis zu 100000 Dollar in DECs Kassen fliessen lassen, werden in Zukunft hingegen von Partnern wie VARs, Systemintegratoren oder Resellern betreut.

Palmer weiss, und sagt es am Ende eines langen Tages auch, "die kommenden sechs Monate entscheiden das Schicksal von DEC". Die letzte Frage, wie er das duestere Image seiner Firma aufzuhellen gedenke, pariert er trocken und wie aus der Pistole geschossen: "Keine Verluste mehr machen." Offen ist nur, ob hier ein Liquidator oder Hoffnungstraeger spricht.