Technischer Redakteur: Ein Berufsbild verändert sich

12.09.2012
Bettina Zastrow kennt 130 Softwareprodukte. Diese Erfahrung hilft der Autorin, Software parallel zum Entwicklungsprozess zu dokumentieren. Ein CW-Gespräch, wie steigender Zeitdruck und neue Formate die Arbeit der Technischen Redakteure verändern.

Sie bilden die Brücke zwischen Hersteller und Anwender. Laut dem Fachverband Gesellschaft für technische Kommunikation - Tekom gibt es hierzulande 83.000 Technische Redakteure, davon 15.000 in der IT. Sie arbeiten freiberuflich, für Dienstleistungsfirmen oder als Angestellte von Softwareunternehmen.

Technische Redakteure in der IT erstellen Handbücher und Online-Hilfen, Trainings- und Vertriebsunterlagen und andere Dokumentationen. Je nach Erfahrung übernehmen sie zudem Verantwortung für Planung, Projekt-Management und Qualitätssicherung im Dokumentationsprozess. Ihre zentrale Aufgabe ist es, Software für Anwender verständlich zu machen, aber auch für jene technischen Mitarbeiter im Unternehmen, die für Implementierung, Schulung und Hotline, Betrieb und Wartung zuständig sind. Als offizielle Berufsbezeichnung hat sich der Begriff "Technischer Redakteur" etabliert, in der Praxis wird auch vom "Technical Writer", übersetzt "Technischer Autor", gesprochen.

Die Informatikerin Bettina Zastrow arbeitet seit über 20 Jahren als Technische Autorin. Sie erstellt Benutzer- und Adminis-trationshandbücher für Online und Print und berät Kunden, wie sie Informationen entwickeln und technische Dokumentationen verbessern können.

CW: Heute ist kaum mehr jemand bereit, sich in ein dickes Handbuch zu vertiefen, Software soll selbsterklärend sein. Verliert die technische Dokumentation an Bedeutung?

ZASTROW: Für Konsumentenprodukte mag das gelten. Aber die Dokumentation für die IT-Spezialisten im Hintergrund - Installationsanleitung, Benutzerhandbuch, Betriebshandbuch -hat an Umfang und Komplexität eher zugenommen, denn häufig gibt es viele Schnittstellen oder unterschiedliche kundenspezifische Ausprägungen der Software. Zudem erwarten Auftraggeber oft, dass das beauftragte Softwarehaus neben schriftlichen Dokumentationen auch kontextsensitive Online-Hilfen bereitstellt.

CW: Kann man diese verschiedenen Dokumente noch aus demselben Datenbestand speisen?

ZASTROW: Die Gemeinsamkeiten sollten mindestens 80 Prozent und die Varianten höchstens 20 Prozent der Dokumentation ausmachen, dann klappt es. Oft sind die Unterschiede, wie eine Business-Software in den konkreten Unternehmen aussieht, aber größer. Denken Sie an eine Hosting-Lösung für Mobilfunkunternehmen oder eine Bankensoftware. Prozesse wie die Zugriffslegitimation können hier sehr unterschiedlich gestaltet sein. Gleiches gilt für die mediale Aufbereitung von Inhalten: Schriftliche Dokumentationen sind ablaufbezogen und orientieren sich an Geschäftsvorfällen, kontextsensitive Online-Hilfen beziehen sich auf ein abgeschlossenes Thema. Es lohnt sich, zunächst ein Konzept für die Aufteilung der Dokumentationen auf verschiedene Medien zu erstellen, um auf diese Weise Mehrfacharbeit zu vermeiden.

CW: Welche anderen Trends beobachten Sie in der technischen Dokumentation?

ZASTROW: Die Zeitspanne zwischen dem Projektstart und dem Zeitpunkt, zu dem ein Produkt auf den Markt kommt, wird immer kleiner. Gerade in Konsumgüter-märkten, auf denen sich mehrere Hersteller einer Branche einen Wettlauf um eine Produktinnovation liefern, ist der Zeitdruck immens.

CW: Wie wirkt sich der Zeitdruck auf die technische Dokumentation aus?

ZASTROW: Man arbeitet immer häufiger parallel zur Entwicklung der Software schon an der Dokumentation. Man muss die Fähigkeit haben, sich anhand von Spezifikationen, Screendesigns, Wireframes und anderer Unterlagen das künftige Produkt, sein Aussehen und seine Funktionsweise vorzustellen. Da sind ein hohes Abstraktionsvermögen und eine gute Vorstellungskraft gefragt.

CW: Sie geben an, dass Sie zirka 130 Softwareprodukte kennen. Hilft das in diesen Situationen?

ZASTROW: Ja, absolut. Wenn man sich eine Softwareanwendung vorstellen muss, bevor sie konkret existiert, ist Erfahrung das A und O. Ich liebe diese Herausforderungen. Auch, weil es sich um innovative Produkte handelt. Es ist ein gutes Gefühl, dazu beizutragen, dass das Produkt meines Kunden den Wettlauf auf dem Markt gewinnt.

CW: Zeitkritische Entwicklungsprojekte werden zunehmend mit agilen Methoden abgewickelt. Die Software wird sukzessive aufgebaut, wobei die Zwischenstände einsatzfähig sein sollen. Kommen auch Sie dann schon früh zum Einsatz?

ZASTROW: Hier gibt es eine sehr erfreuliche Entwicklung. Aufgrund meiner IT-Kenntnisse kann ich in der Regel einschätzen, wie eine Software aus Sicht der Anwender funktionieren sollte. Diese Erfahrung kann ich in agile Projekte, in denen die Dokumentation parallel zur Software entsteht, einbringen. Ich trage dann durch die Konzeption von Use Cases und Requirements dazu bei, dass die Software nutzerfreundlich wird. Das wirkt sich auch positiv auf die Dokumentation aus.

CW: Zu welchem Zeitpunkt werden Sie in klassischen Softwareentwicklungsprojekten eingebunden?

ZASTROW: Um Kosten zu sparen, beziehen die Firmen die technischen Autoren oft erst wenige Monate vor Fertigstellung des Produkts ein. Sinnvoll wäre es aber, den technischen Autor schon in der Konzeptionsphase einzubinden.

CW: Warum wäre es besser, sich früher einzuklinken?

ZASTROW: Wird ein technischer Autor zu Beginn einbezogen, kann er eine Außenperspektive und seine Erfahrung einbringen. Ich habe auch beobachtet, dass die Änderungen an der Software gegen Ende des Projektverlaufs nur gering sind, so dass sich 85 bis 90 Prozent der Dokumentation in den frühen Phasen der Umsetzung erstellen lassen. Zudem herrscht bei fast allen Projekten ein immenser Zeitdruck, der seinen Höhepunkt erreicht, wenn der Auslieferungstermin naht. Wenn die Produkte fertig sind, müssen sie getestet und abgenommen werden. In der Zeit haben die Entwickler keine Kapazitäten für irgendetwas anderes frei. Sobald es etwas ruhiger wird, stehen die für die Dokumentation wichtigen Wissensträger oft nicht mehr zur Verfügung, weil sie endlich Zeit für Urlaub haben oder schon in einem neuen Projekt arbeiten. Dann wird es für mich als technische Autorin schwierig bis unmöglich, benötigte Informationen zu recherchieren.

CW: Viele Produkte werden heute in verteilten globalen Teams entwickelt. Wie sieht da die Zusammenarbeit aus?

ZASTROW: In solchen Projekten habe ich nur mit dem Systemarchitekten und einem Teil des Entwicklerteams persönlichen Kontakt. Die übrige Kommunikation mit den Entwicklern läuft über Telefon, Desktop-Sharing und Videokonferenzen - in globalen Teams natürlich auf Englisch.

CW: Hat Cloud Computing Ihre Arbeit verändert?

ZASTROW: Nein, das Thema spielt für meine Kunden noch keine Rolle. Den Trend zu mehr Offenheit, Vernetzung und Auslagerung von Daten gibt es hier nicht. Im Gegenteil: Die Entwicklung von Software für große Kunden aus der Industrie, dem öffentlichen oder gar dem militärischen Sektor unterliegt hoher Geheimhaltung. Die Rechenzentren liegen in einem überwachten Sicherheitsbereich und sind durch Zutrittskontrollen geschützt, die Daten durch Firewalls. Meine Rolle ist es, genau darauf zu achten, wem welche Informationen zugänglich gemacht werden. (am)

Elisabeth Wagner ist freie Journalistin in München.

Chancen für Seiteneinsteiger

Mittlerweile bieten auch einige Universitäten ein Studium zum Technischen Redakteur an, doch die Quote der Quereinsteiger liegt laut Gregor Schäfer vom Tekom-Verband bei rund 70 Prozent. Für sie bietet der Verband eine Zertifizierung als formalen Nachweis ihrer Qualifikation. An der Hochschule Karlsruhe gibt es ein viermonatiges berufsbegleitendes Kontaktstudium "Technische Dokumentation", das auf diese Zertifizierung und zugleich eine IHK-Prüfung vorbereitet.

Die Berufsaussichten für Technische Redakteure sind laut Tekom seit Jahren gut. Der Bedarf hat seit 2010 wieder zugenommen. 2010 verzeichneten über 31 Prozent der Softwareunternehmen, 29 Prozent der Industrieunternehmen und fast 41 Prozent der Dienstleistungsunternehmen einen Mitarbeiterzuwachs.