Performance der Telekom-Tochter ist schlechter als ihr Image

T-Online: Hoffnungswert ohne Chance im Weltmarkt?

14.04.2000
MÜNCHEN (CW) - Wird der Börsengang von T-Online ein Erfolg? Für die Deutsche Telekom, die auf das Going Public ihrer Internet-Tochter im Zusammenhang mit der weiteren Konzernausrichtung dringend angewiesen ist, hat diese Frage strategische Bedeutung. Das bis dato grösste IPO einer Internet-Company in Europa birgt aber noch ein Reihe von Risiken in sich.

Eines kann man den Telekom-Verantwortlichen nicht absprechen: Dass sie alles versucht haben, aus dem Börsengang von T-Online eine Erfolgsstory par excellence zu machen. Seit Wochen lief eine PR-Kampagne sondersgleichen; die Werbefigur "Robert T-Online" sollte, wie Experten etwas spöttisch anmerkten, das für kommenden Montag geplante Going Public der Telekom-Tochter so populär machen wie weiland Tatort-Kommissar Manfred Krug die T-Aktie. Zwar stehen dieses Mal nicht 800 Millionen, sondern nur 100 Millionen Aktien zum Verkauf. Doch auch diese Tranche dürfte dem Bonner Carrier schätzungsweise rund fünf Milliarden Euro einbringen - die bis dato größte Emission einer Online-Company in Europa.

Ursprünglich hatte Telekom-Vorstandschef Ron Sommer mit einem deutlich höheren Erlös aus dem T-Online-Börsengang gerechnet. Bis zu 55 Euro wurden vor der Festsetzung der offiziellen Preisspanne als Emisssionspreis gehandelt. Doch der kräftige Gegenwind, den Internet-Aktien in den vergangenen Wochen weltweit zu spüren bekamen, vor allem aber der verpatzte Börsenstart der Bertelsmann-Tochter Lycos Europe, die weit unter ihren Ausgabekurs fiel, führten zu einem vergleichsweise bescheidenen Bookbuilding von 26 bis 32 Euro. Eine immer noch "weit übertriebene Bewertung", wie Christoph Bruns von Union Investment Trust, Frankfurt am Main, stellvertretend für viele Fonds-Manager und Analysten meint.

Diese Skepsis liegt in zwei wesentlichen Ursachen begründet: Ganz offensichtlich hat das Telekom-Management im Vorfeld des T-Online-Börsengangs viele der institutionellen Anleger mit einer diffusen Informationspolitik vergrault. Lange Zeit konnte man sich nicht entscheiden, in welches Handelssegment der Frankfurter Börse man gehen wollte - amtlicher Handel oder Neuer Markt. Erst in letzter Minute gab die Internet-Phantasie den Ausschlag zugunsten des Neuen Markts. Hinzu kam eine seltsam anmutende Zurückhaltung bei der Preisgabe wichtiger Bilanzkennziffern. Bis zum Beginn der Zeichnungsfrist wurden kaum relevante Daten veröffentlicht. "Während kleinste Klitschen schon Wochen vor dem Börsengang Umsätze und Gewinne sowie die Planung für die nächsten Jahre vorlegen, hält Europas größter Online-Dienst die Anleger selbst über das Marktsegment, das er anpeilt, im Ungewissen", kritisierte die "Süddeutsche Zeitung".

Auch das, was in Analysen diverser Konsortialbanken wie der Bayerischen Landesbank und dem mittlerweile vorliegenden Emissionsprospekt an Business-Perspektive ausgewiesen wird, ist nicht unbedingt eine Wachstumsstory, wie man sie sonst von Internet-Firmen gewohnt ist. Demnach konnte T-Online 1999 seinen Umsatz gegenüber dem Vorjahr von 270,7 auf 428,4 Millionen Euro steigern. Internen Planungen zufolge sollen die Einnahmen bis 2002 auf 1,8 Milliarden Euro steigern. Nach einen positiven Ergebnis im Geschäftsjahr 1998 von 4,9 Millionen Euro wurde das vergangene Jahr mit einem Fehlbetrag von 1,4 Millionen Euro abgeschlossen. In den nächsten Jahren sei mit vergleichsweise hohen Verlusten in Höhe von jeweils knapp 140 Millionen Euro zu rechnen.

T-Online-Chef Wolfgang Keuntje begründet dies mit sinkenden Margen im Internet-Zugangsgeschäft, erheblich steigenden Marketing-Aufwendungen zur Gewinnung neuer Kunden sowie vermutlich verstärkt anfallenden Leistungen für "hochwertige" Inhalte. Hinzu kämen künftig an die Konzernmutter zu entrichtende Gebühren für Netzinfrastruktur und Inkasso. Sogar im Emissionsprospekt heißt es deshalb unverblümt: "Es gibt keine Gewähr, dass T-Online in Zukunft Gewinne erwirtschaften wird."

Viele Branchenkenner halten auch die strategische Ausrichtung der Telekom-Tochter für nicht gerade viel versprechend. T-Online spiele als "europäischer Marktführer und weltweite Nummer zwei in der Welt der Internet-Service-Provider in einer anderen Liga", tönten Keuntje und Sommer bei der Bekanntgabe der Preisspanne. Doch genau daran hapert es. So wickeln inzwischen zwar über fünf Millionen Kunden über T-Online ihre Bankgeschäfte oder sonstigen Internet-Aktivitäten ab, davon aber nur 300000 im Ausland (Österreich und Frankreich). Anders America Online (AOL): Der schärfste Wettbewerber der Bonner ist mit mehr als 21 Millionen Kunden (siehe Abbildung) nicht nur weltweit die Nummer eins, sondern längst in allen wichtigen Ländern inklusive Deutschland präsent. Hinzu kommt, dass sowohl in Europa als auch in Deutschland neben AOL längst auch andere Herausforderer dem kleinsten Telekom-Sprössling das Leben schwer machen dürften - etwa der spanische Internet-Service-Provider (ISP) Terra oder der zur Hamburger Mobilcom-Gruppe gehörende ISP Freenet.

Neben der kaum in Angriff genommenen Internationalisierung muss T-Online noch mit einem weiteren Handicap leben. Das lukrative Business-to-Business-Geschäft, also der elektronische Handel zwischen Unternehmen, soll größtenteils der noch neu zu formierenden Systemlösungs-Division um das Debis Systemhaus und die Servicetöchter DeTeSystem und DeTeCSM zugeschlagen werden. Gleiches gilt dem Vernehmen nach für den Bereich Mobile Commerce. Hier soll künftig der Löwenanteil der Einnahmen an die Mobilfunktochter T-Mobile fließen, die das Thema "Internet-Surfen per WAP-Handy" dringend als eigene Story für ihren im November geplanten Börsengang braucht. Was die Macher von T-Online um so mehr schmerzen dürfte, denn das Thema Online-Banking, mit dem sie lange Zeit mehr oder weniger konkurrenzlos hausieren gehen konnten, wird zunehmend durch aggressive Newcomer wie Consors und Comdirect (hält künftig gut zwei Prozent an T-Online) besetzt.

Mit dem Emissionserlös will T-Online sein Internet-Zugangs- und Portalgeschäft in Deutschland und international ausbauen. Konkretere Aussagen bleibt das Management bis dato schuldig. 1999 steuerte das Internet-Zugangsgeschäft mehr als 90 Prozent zu den Einnahmen bei. Dort kann, da sind sich die Experten einig, nicht die "Phantasie" der T-Online-Aktie liegen. Aktivitäten in Sachen Internationalisierung, etwa die 6,51-Prozent-Beteiligung der französischen Lagardère-Gruppe, mit der der Kauf von deren Internet-Tochter Club Internet finanziert werden soll, wirkten ebenfalls mit heißer Nadel gestrickt. Nach dem Börsengang muss dieser Deal, der in Form eines Aktientauschs vereinbart wurde, noch bezahlt werden. Vermutlich auch noch andere, denn Telekom-Chef Sommer hat in den zurückliegenden Wochen kein Hehl daraus gemacht, dass er T-Online (und den Börsengang der Mobilfunksparte T-Mobile) in erster Linie als die Beschaffung von "Cyber-Währung" sieht, mit der er seinen Konzern durch Akquisitionen zum Global Player umbauen kann.

Bis zuletzt war deshalb das Interesse der Investoren eher verhalten, jedenfalls gemessen am Run auf die Infineon-Aktie. Sommers Entscheidung, T-Online im äußerst volatilen Neuen Markt zu platzieren, habe deshalb, so Analysten, nur auf den ersten Blick Charme. Die Telekom-Tochter bewege sich in einem Handelssegment mit Dutzenden anderer weitaus kleinerer Internet-Firmen und sei dort zwangsläufig das Schwergewicht. Dies zwinge viele Investmentfonds geradezu, die Aktie in ihr Portfolio aufzunehmen.

Einem erfolgreichen Going Public von T-Online scheint also trotz aller Vorbehalte nichts mehr im Wege zu stehen. Viele Fonds-Manager scheinen aber mittelfristig eher wieder ein anderes Papier auf der Rechnung zu haben - das der Konzernmutter Telekom.

Abb.: Schiefes Bild? Geht der Börsengang von T-Online halbwegs planmäßig über die Bühne, ist ein T-Online-Nutzer genau soviel wert wie ein AOL-Kunde. Quelle: CW/Firmenangaben