Systems `93 schlaegt eine Bruecke zwischen Ost und West

05.11.1993

Im herbstlichen Oktober traf sich zum dreizehnten Mal die DV- Branche auf der Muenchner Systems. Aber nicht alle kamen. Jubelten die bayrischen Messevaeter vor zwei Jahren noch ueber die Zunahme von Ausstellern (1863) und Besuchern (161 000), so war das Ergebnis dieses Jahr etwas mager - dafuer aber internationaler: Unter den 1838 Anbietern aus 25 Laendern leuchteten auch die Landesfarben von rund 34 neuen Unternehmen aus Osteuropa - ein bisher ungewohntes Bild.

Wenn auch die besten Plaetze - sprich: Ausstellungsflaechen - an die gut zahlenden Grossen der DV-Branche vergeben waren. Zu uebersehen war der Gemeinschaftsstand der 22 Firmen aus Moskau und St. Peters-burg auf der Systems '93 jedenfalls nicht. Sie waren gekommen, um auf dem westlichen Markt Geschaeftspartner und Kunden fuer ihre "speziellen Loesungen" zu finden. Im eigenen Lande gelten diese DV-Propheten leider noch nicht viel. Die Maerkte Russlands und der GUS kaempfen mit der Krise. Neue DV-Produkte sind dabei das wenigste, was die Menschen dringend brauchen.

Ein Ergebnis der radikalen Privatisierung und des Umbaus in Russland sind die zahlreich entstandenen Softwarefirmen zwischen Moskau und Wladiwostok. Diese Spezialisten - Mathematiker und Physiker aus den Raumfahrt- und Raketenzentren - wollen nun "unsere Ideen dem internationalen DV-Markt anbieten" und "westliche Investoren fuer den russischen unerschlossenen Markt interessieren", so Vladimir Anaschin, Dekan der Russischen Staatlichen Humanistischen Universitaet, General-direktor der Elias AG Moskau und Chefredakteur des Fachblattes "Soft Market" (Zeitschrift fuer Computer- und Software-Marketing). Der Tanz auf mehreren Hochzeiten - die Ausuebung verschiedener Jobs - ist fuer die Intelligenz Russland seit langem ueblich, um finanziell ueberleben zu koennen. Heute mehr denn je, denn der Rubel ist knapp geworden und hat an Wert verloren.

Russische Softwerker

sind auf Auftragssuche

Wenn auch die Wochenzeitung "Soft Market" ein eher rosiges Bild der Situation schildert und von einer "Bluetezeit des russischen Computermarktes" jubelt. Ein allzu verstaendlicher Schachzug: Das Land braucht die westlichen Geschaeftsleute und Investoren. Diese kommen jedoch nur, wenn es sich auch fuer sie lohnt.

In Muenchen warb Anaschin vor allem fuer die Produkte seiner Softwarefirma Elias AG: "Datenschutzprogramme fuer Banken und den Privatgebrauch". Auf dem Gebiet zaehlte der Mathematik- und Physikprofessor bereits in der Sowjetunion zu den Experten. Die BIT Software Inc. Moskau hat sich der linguistischen und lexikografischen Software verschrieben. Schwerpunkte: Die automatische russische und englische Rechtschreibung (Lingvo Corrector) sowie maschinelle Uebersetzungen (Stylus) vom Englischen, Deutschen, Franzoe-sischen und Italienischen ins Russische. Umgekehrt geht das Ganze vorerst nur vom Russischen ins Englische.

Bereits seit 1989 gibt es das Joint-venture Intersoft JV Moskau zwischen der Software Products International (SPI), San Diego, und dem Institut fuer Informatikprobleme der Russischen Akademie der Wissenschaften.

Die Moskauer uebersetzten unter anderem das SPI-Paket Open Access (I, II, III) und vertreiben es in den GUS-Staaten. Auf der Muenchner Messe traten sie mit einer Softwarereihe "Computer Arts" auf, die dem Besucher auf IBM-kompatiblen PCs die Kostbarkeiten aus russischen Museen und der russisch-orthodoxen Kirche in hervorragender Bildquali-taet zeigten.

Fuehrend in Russlands Software-szene ist die Paragraph Inter- national JV Moskau - ein russisch-amerikanisches Gemein- schaftsunternehmen und Spezialist in der intelligenten Zeichen- erkennung. Auf dem heimischen Markt kuemmert sich das 150 Mitarbeiter zaehlende Systemhaus um die "Russifizierung" westlicher Hard- und Software-produkte. Die von den Moskauern entwickelte Loesung zur Handschriftenerkennung brachte ihnen weltweit grosse Anerkennung - und Kunden: So unterzeichneten sie unter anderem vor zwei Jahren mit Branchenfuerst Apple einen Lizenzvertrag, der dem US-Hersteller die Schrifterkennung auch fuer seine Macintosh-PCs ermoeglichen soll.

Die russischen DV-Spezialisten gehen mit grosser Akribie den Westmarkt an - und haben teilweise Erfolg. Zumal sie vor allem "billiger zu haben sind" als die renomierten Softwerker in Deutschland, Amerika etc., meinen einige westliche Unter-nehmen. Deshalb wuerde man kuenftig seine Auftraege lieber an Firmen in der Ukraine als in heimische Regionen geben. Nur wie lange noch? Aus der Not eine Tugend machen koennen die Russen nicht erst seit heute. Und so werden sie die "Uebergangsphase im eigenen Lande nicht verschlafen", sich "in der Welt umsehen" - und "zeigen, was man kann".

Den neuen ostdeutschen Software- und Servicehaeusern geht es nicht anders. Auch sie muessen sich gegen eine grosse westliche Konkurrenz behaupten und dabei "selber ihren Platz finden", heisst es aus russischer Sicht. Dieser koennte im Osten sein, so Alexander Prokin, Leiter des analytischen Dienstes von Soft Market. Denn seit Jahren haetten die Menschen aus der ehemaligen DDR "gute Kontakte zu ihren oestlichen Nachbarn". In den neuen Laendern kenne man nicht nur die Mentalitaet der Russen und ihre kulturellen Gebraeuche, sondern auch deren Sprache. Diese Chance sollte "geschaeftlich ausgenutzt werden", meint er. Einige Ostfirmen sind auch wieder aktiv in den GUS-Staaten. Doch die meisten DV- Hersteller muessen erst ihre "Geschaefte in der eigenen Region zum Laufen bringen". Auf der Systems waren es rund 18 ostdeutsche Anbieter, die vorwiegend unter dem Motto "Gemeinschaftsbeteiligung neue Bundeslaender" auftraten. Allerdings hatten die Messeorganisatoren beim Aufstellen der Staende wenig Talent und Phantasie bewiesen. Marketing-Leiterin Rita Walkowiak vom DVZ Halle kam sich "wie in einem Tigerkaefig" vor: Zu hohe Mauern und Waende "aus Altbestaenden" haetten die "gesamte Praesentation zerrissen", bemaengelte sie. Hinzu kam, dass nur Besucher mit einer stattlichen Groesse von etwa zwei Metern den Hinweis "Neue Bundeslaender" lesen konnten und somit wussten, wer hier ausstellte. Fuer Menschen kleineren Wuchses blieben die geschickt hinter den Pappwaenden versteckten Zeilen ein Geheimnis. Thomas Deutschmann, Geschaeftsfuehrer der Bugovics & Partner, Merseburg, fragte sich, wo denn die von ihm und vom Bund bezahlten 17 Quadratmeter Messestand verblieben seien. "Ohne mit den Ausstellern zu sprechen", haette man nur "kahle Verschlaege hingestellt" - ausge-sprochen unguenstig fuer Anbieter und Kunden. Die Mitarbeiter des 1991 gegruendeten Unternehmens kommen aus der Nachrichtentechnik und bauten frueher Leiterplatten fuer Fernsehapparate. Heute entwickeln sie 16-Bit- Steckkarten sowie AT-Bus-Festplatten fuer 486er-PCs.

Zufrieden mit ihrem Domizil waren die Leute von der Freitag GmbH fuer Computeranwen-dungen aus Meissen. Sie hatten noch kurz vor Beginn der Messe ihren Stand verschoenert, "Waende beseitigt und Luft geschaffen", so Helmut Metz, Leiter Software-Entwicklung. Mit ihrer "integrierten Betriebswirtschaft" fuer Industrie, Bau, Handel und oeffentliche Hand haben sie nach eigenen Angaben bisher gute Geschaefte gemacht. Ihrem selber gestrickten Lohnprogramm wollen sie sogar das Pruefsiegel des Bundesverbandes der AOK aufdruecken. Dazu bedarf es langwieriger Pruefverfahren bei dieser Institution. Ende 1994, so der Meissener Softwaremann, habe man hoffentlich das positive Ergebnis als Beweis fuer eine Software "mit Spitzenqualitaet".

Insgesamt war die Systems fuer die DV-Firmen aus den neuen Laendern und Osteuropa kein Fehlschlag. Nach eigenen Angaben haben ihnen die fuenf bayrischen Tage "positive Gespraeche und Kontakte" gebracht. "Mehr als auf der grossen CeBIT", waren sie sich einig. Auch haetten sie in Muenchen das Fach-publikum gefunden, was nun einmal fuer das Geschaeft noetig sei.

Laut dem Veranstalter, der Messe Muenchen GmbH (MMG), lag der Anteil der Fachleute bei den rund 125 000 Besuchern aus 65 Staaten bei 96 Prozent. Mit Qualitaet und Ergebnis der DV-Show sei man "sehr zufrieden" gewesen, hiess es. Warum auch nicht? Bekanntlich bleibt nichts wie es einmal war - und schon gar nicht in der DV- Szenerie. Sie ist schon lange keine elitaere Branche mehr, sondern Rationalisierungsmittel fuer Industrie und Wirtschaft.

CW-Bericht, Monika Schalwat