Spezialisierung und Flexibilität als Waffe gegen die großen Hersteller:

SW-Häuser nehmen Fertigungsbereich in Angriff

03.04.1987

MÜNCHEN (kul) - Einen relativ neuen umsatzträchtigen Erwerbszweig visieren jetzt immer mehr bundesdeutsche Softwarehäuser an: Programmpakete für die Einsatzbereiche Fertigung und Konstruktion. Zwar ist der Konkurrenzdruck von seiten der großen Hersteller beachtlich, doch rechnen sich auch kleinere SW-Schmieden in ihrem Spezialgebiet gute Überlebenschancen aus.

Vor allem unter dem Aspekt künftiger CIM-Strategien sehen die Softwarehäuser große Chancen in den technischen Disziplinen. Die Komplexität dieses Aktionsfeldes zwingt die meisten Anbieter allerdings zu einer Eingrenzung ihrer Aktivitäten. Christoph Weyrather, Referent des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater (BDU) in Bonn, charakterisiert die Situation folgendermaßen: "Es ist für ein Softwarehaus kaum möglich, alle Komponenten aus einer Hand anzubieten. Vor allem müßten die einzelnen Bausteine eines solchen Gesamtkonzepts auch immer wieder kundenspezifisch angepaßt werden, und das überschreitet die Möglichkeiten vieler Unternehmen. Aber auch die großen Hardware-Hersteller dürften dabei ihre Probleme haben."

Eine doppelgleisige Strategie fährt beispielsweise die SAP aus Walldorf/ Baden. Zum einen will der Anbieter eigener Aussage zufolge die technische Basis für die Einbindung spezieller CIM-Komponenten definieren. Parallel dazu wird in Kooperation mit der Universität des Saarlandes ein übergeordnetes CIM-Konzept entwickelt. Als zweite Schiene verfolgt der Anbieter Aktivitäten auf der Werteseite. Ziel dieses Ansatzes ist es, auch auf dieser Ebene eine Einbindung der Führungs- und Kontrollmechanismen zu erzielen.

Zu einem schrittweisen Vorgehen hat sich ADV/Orga entschlossen. Als ersten Schritt im Hinblick auf künftige CIM-Konzepte beschränken sich die Wilhelmshavener mit einem Logistiksystem auf die Abdeckung der Versorgungskette im Unternehmen. Automatisch werde man im Laufe der Zeit auch in die mehr technischen Bereiche, beispielsweise CAD, hineinwachsen.

Auf den organisatorischen Lösungsansatz beschränkt sich hingegen die Unternehmensberatung Organisations-Partner aus Bad Oldesloe. Ein tieferes Einsteigen in Bereiche wie CAD und CAM, so erklärt Uwe Ascheberg, zuständig für den Bereich Materialwirtschaft, sei nicht geplant: "Da gibt es bereits genügend Anbieter, und wir sind nicht groß genug, um hier umfangreiche Entwicklungen zu investieren. Das wäre zu kostspielig, zumal wir uns in diesen technischen Disziplinen erst Know-how aufbauen müßten."

Die Sparte der standardisierbaren Basissysteme will künftig IKO Software Service (IKOSS), Stuttgart, ausbauen. Das seit vier Jahren im Fertigungsbereich tätige Unternehmen hat in der Vergangenheit schwerpunktmäßig auf der Ebene Leit- und Erfassungssysteme gearbeitet und hier vor allem Individuallösungen angeboten. Künftig sollen parallel zu den bisherigen Aktivitäten, in Zusammenarbeit mit geeigneten Partnern, verstärkt auch Standardsoftwaresysteme erstellt werden.

Besonders stark auf Kooperationen setzt auch die PSI aus Berlin, die vor allem in der mittelständischen Industrie Zukunftschancen sieht. Partnerschaften bestehen vor allem mit Unternehmen in Österreich, der Schweiz und den Niederlanden, um den Anforderungen der lokalen Kunden besser gerecht werden zu können. Auch ließen sich, so PSI-Sprecherin Sylvia Diemel, gar nicht mehr alle Aktivitäten von der Bundesrepublik aus abwickeln, da das Spektrum viel zu umfangreich sei.

Die Tendenz zur Zusammenarbeit bestätigt auch BDU-Referent Weyrather. Softwarehäuser könnten vor allem als Spezialanbieter für kleinere Lösungen dienen. Von der finanziellen Seite her hätten sie gar nicht das entsprechende Polster, auch komplexe Pakete zu erstellen. "Der Trend", so Weyrather, "geht derzeit dahin, daß Kooperationen gebildet werden oder sogar, daß größere Unternehmen kleinere aufkaufen. So bekommen sie oftmals Know-how und gute Produkte. Denn es ist momentan auch sehr schwer, fachlich qualifizierte Mitarbeiter zu finden."

Partnerschaften gelten vielfach auch als probates Mittel, die Last der im Fertigungsbereich sehr hohen Softwareentwicklungskosten zu verteilen. Wer sich entscheidet, sein Fertigungsangebot im Alleingang durchzuziehen, muß tief in die Tasche greifen. So verwendete beispielsweise SAP 60 Mannjahre auf die Erstellung eines PPS-Systems, und die ADV/Orga verbuchte für die Entwicklung ihres Logistiksystems gar 100 Mannjahre. Dazu Marketingleiter Dirk Lippold: "Das ist der reinste Wettkampf der Ressourcen."

Trotzdem fällt die Entscheidung, sich verstärkt auf den Fertigungsbereich zu verlegen, den meisten Softwarehäusern leicht. PPS-Systeme gelten als Zugpferde in der Kostenrechnung, und der Logistikbereich findet zunehmend als zentrale Steuerebene im Unternehmen Anerkennung. Die Rechnung, in Fertigungspakete getätigte Investitionen in Form höherer Gewinne wieder "hereinzubekommen", geht nach Aussage der meisten SW-Schmieden von auf.

Wenig Sorgen macht den reinen Softwerkern offenbar auch der Konkurrenzdruck von seiten der großen Hersteller. Als hauptsächliche Trumpfkarte gilt dabei die stärkere Flexibilität eines kleineren Unternehmens gegenüber dem hierarchisch genau festgelegten Weg durch eine Reihe von Instanzen, der bei den Branchengrößen meist beschritten werden muß.

Außerdem, so erklärt Uwe Ascheberg von Organisations-Partner, verschiebe sich die Anforderungsskala der Kunden von der reinen Nachfrage nach Softwareprodukten hin zu mehr Beratungsleistung. Und genau in dieser Domäne hätten Softwarehäuser weitaus bessere Chancen, in Marktnischen vorzustoßen, als große Hersteller. Das Fazit von Sylvia Diemel: "Wenn man als SW-Anbieter eine echte Angebotslücke auftut und permanent Leistung bietet, kann einem der Wettbewerbsdruck der Hersteller so schnell nichts anhaben."