Unsichere Situation bei Web-Adressen

Streit um die Zukunft des Domain Name System

15.05.1998

Auf Unverständnis stieß das Papier insbesondere bei dem International Council of Registrars (Core). Diese Organisation hatte bereits in Abstimmung mit internationalen Gremien wie etwa der Internet Society ein neues Domain-Konzept entworfen (siehe Kasten rechts). Ihm steht nun ein rein amerikanischer Vorschlag gegenüber, der aber weltweite Geltung beansprucht.

Theoretisch hätte das neue Domain Name System des Core Mitte Februar 1998 mit seiner Arbeit beginnen können. Diesem Vorhaben bereiteten die USA jedoch mit ihrem "Green Paper" ein jähes Ende. Darin brachte die US-Regierung ihre Absicht zum Ausdruck, die Kontrolle der zentralen Datenbank (Root-Server) des Domain Name System an ein Privatunternehmen zu übergeben. Außerdem erwähnt das Papier lediglich fünf statt sieben zusätzliche Top-Level-Domains. Auch die TLDs sollen von einem privatwirtschaftlichen Unternehmen verwaltet werden. Dagegen verlangt das Core-Modell die Verwaltung der entsprechenden TLD-Datenbanken durch eine Non-Profit-Organisation.

Auch die Beilegung von Namensstreitigkeiten regelte das Green Paper anders als die vom Core sowie der Wipo forcierten Verfahren. Diese Aufgabe will die US-Regierung den fünf Domain-Betreibern ebenfalls anvertrauen. Statt dem vom Core erdachten international einheitlichen Verfahren zur Beseitigung von Konflikten bei der Zuteilung von Web-Adressen könnte nach den Plänen der Amerikaner jedes der fünf Unternehmen ein eigenes Konzept entwickeln. Dieser Vorschlag verärgerte unter anderem die International Trademark Association (Inta), welche den US-Entwurf dementsprechend als nicht akzeptabel einstufte. Ein weiterer Abschnitt des Papiers sieht sogar vor, die technische Weiterentwicklung des DNS in private Hände zu legen. Das von internationalen Gremien abgesegnete Konzept des Core wird an keiner Stelle auch nur erwähnt.

Bis zum 23. März hatte die Öffentlichkeit Gelegenheit, ihre Meinung zu dem Green Paper abgeben. Von dieser Möglichkeit machten 650 Firmen, Privatpersonen und Verbände weltweit Gebrauch. Darunter auch die Europäische Union, die australische Regierung sowie Branchenriesen wie IBM, MCI und France Télécom.

Brüssel protestierte gegen die Einflußnahme der Amerikaner auf das globale Netz sowie gegen den Rückschritt bei den Verfahren zur Beilegung von Namenskonflikten. Ferner äußerte die Denic e.G., die Domain-Verwaltungs- und Betriebsgesellschaft mit Sitz in Frankfurt am Main, in einer schriftlichen Stellungnahme die Befürchtung, Europa spiele allenfalls eine "Statistenrolle im Internet".

Die Denic sieht ferner die Bemühungen der Europäer gefährdet, in der Telekommunikation und Software-Entwicklung Anschluß zu bekommen.

Auch andere Kritiker bemängelten die starke Einflußnahme der USA auf das Internet. Ihrer Ansicht nach verstoße das Hegemonialstreben eines Staates gegen die Prinzipien des weltumspannenden Netzes, das sich weitgehend selbst regiere.

Nach den Worten von Harald Summa, Geschäftsführer des Electronic Commerce Forum e.V. (Eco), war das Green Paper ein Schnellschuß der USA. Die Eco ist der Verband der deutschen Internet-Wirtschaft. Mit dem Auslaufen des Exklusivvertrages der NSI wurden offenbar schlafende Hunde geweckt.

USA wollen Adressen beherrschen

Eco-Geschäftsführer Summa sagte in einem Gespräch mit der COMPUTERWOCHE, die Amerikaner hätten offenbar plötzlich Angst bekommen, die Kontrolle über das Internet zu verlieren. Der Streitpunkt ist nach Ansicht von Summa aber weniger die Vergabe von Domain-Namen, sondern die Verwaltung des Netzes und der Internet-Adressen. Jedem Domain-Namen ist eine eindeutige, zwölfstellige IP-Adressen zugeordnet, und die Amerikaner wollen den Adreßraum im Internet beherrschen, so Summa weiter. Bleibe dies so, wie es sich die USA vorstellen, entstünden erhebliche Wettbewerbsnachteile für die europäische Wirtschaft.

Nach Auffassung von Dr. Ralf Röhrig vom TÜV Rheinland ist das Green Paper auch eine Reaktion auf die Tatsache, daß mit der International Telecommunication Union (ITU) sowie der Wipo zwei Unterorganisationen der Vereinten Nationen (UNO) beim Entwurf des von Core eingerichteten Systems mitgewirkt haben. Bekanntlich sind die USA zur Zeit nicht gerade gut auf die UNO zu sprechen. Röhrig bezeichnet die Praxis der Amerikaner als "durchschaubaren diplomatisch-politisch motivierten Versuch, die international etablierten Selbstregulierungsstrukturen im Internet auszuhebeln." Beim TÜV Rheinland ist Röhrig unter anderem für den Bereich Internet-Services verantwortlich. Der TÜV ist eine der 88 im Core organisierten Registriergesellschaften.

Nachdem sich die USA mit weltweitem Protest gegen die eigenen Pläne konfrontiert sahen, war Washington bemüht, die Wogen zu glätten. So setzte sich Ira Magaziner, seines Zeichens Präsidentenberater in Fragen des Internet, mit Vertretern des Core in Verbindung. Magaziner hatte wesentlichen Anteil am Entwurf das Papiers. Wie Siegfried Langenbach mitteilte, war Magaziner von der Deutlichkeit der Kritik überrascht gewesen. Langenbach, Geschäftsführer des Düsseldorfer Internet-Service-Providers CSL, ist Mitglied des Exekutivkomitees des Core.

Nicht zuletzt die Stellungnahmen der EU und der australischen Regierung führten bei den USA zu einem Umdenken. Magaziner kündigte an, man werde Ende Mai in einem White Paper die endgültige Fassung des neuen Domain-Konzepts auf der Home- page des Weißen Hauses http://www.whitehouse.gov veröffentlichen.

Über den Inhalt des neuen Dokuments hat sich Magaziner bereits gegenüber Vertretern des Core geäußert. Demnach nimmt die Internet Assigned Numbers Authority (Iana, http://www.isi. edu/iana/) eine Schlüsselrolle bei der Verwaltung des Domain Name System ein. Diese Gruppierung ist an der Universität von Südkalifornien beheimatet und kümmert sich seit 15 Jahren um die Vergabe und Zuordnung von IP-Adressen. Nach der neuen Lesart bekäme Iana zusätzlich die Aufgabe, den Root-Server zu verwalten. Damit wäre die von den USA im Green Paper geäußerte Absicht vom Tisch, die Verwaltung des Servers einer privaten Gesellschaft zu übertragen. Über einen anderen Vorschlag zur Beilegung von Namenskonflikten ist allerdings noch nichts durchgesickert.

Außerdem bleibt unklar, wer entscheidet, welche Domains im Root-Server eingetragen werden. Laut TÜV-Mann Röhrig wäre es wünschenswert, wenn ein internationales Gremium diese Befugnis erhielte, beispielsweise die Internet Society. Da aber die Amerikaner nach wie vor das Internet als nationale Angelegenheit betrachten, werden sie versuchen, den ausländischen Einfluß so gering wie möglich halten, befürchtet Röhrig.

Es stellt sich die Frage, was passiert, wenn auch das White Paper den Rest der Welt vor den Kopf stößt. Nach Auffassung Röhrigs könnten beispielsweise die Europäer ihr eigenes Domain Name System, zum Beispiel das des Core, einrichten und gleichzeitig die in den USA eingetragenen Domains übernehmen. Allerdings müßten dann zumindest alle europäischen Internet-Service-Provider die Konfigurationen ihrer Netzwerke entsprechend anpassen. In diesem Szenario wäre die Zuverlässigkeit des DNS jedoch nicht mehr gewährleistet, gibt Röhrig zu bedenken.

Allerdings glaubt der TÜV-Mitarbeiter nicht, daß es soweit kommt. Vielmehr rechnet er mit einer vernünftigen Lösung. Schließlich habe die Internet-Gemeinde jahrelange Erfahrungen darin, Konsense zu finden. An eine einvernehmliche Einigung glaubt auch Präsidentenberater Magaziner.

Bis eine endgültige Lösung gefunden ist, bleibt alles beim alten. Alle registrierten Domains, die mit .com, .org, .net oder .edu enden, lassen sich auch weiterhin erreichen. Außerdem können Firmen auch getrost neue Web-Domains dieses Typs registrieren. Davon unberührt bleiben auch die nationalen Domains, wie etwa .de für Deutschland oder .fr für Frankreich. Vorsicht ist jedoch angebracht bei der Reservierung von Domain-Namen mit den Endungen .firm, .shop, .info, .web, .nom, .rec oder .art. Summa vom Electronic Commerce Forum rät, diese Internet-Domains vorläufig zu meiden. Der Grund: Ob und wann diese Domains freigegeben werden, ist noch unklar.