Diskussionsrunde gerät zum Schlagabtausch

Streit über Linux-Einsatz in Bayern

15.11.2002
MÜNCHEN (wh) - Die Debatte um den Einsatz von Open-Source-Software in bayerischen Behörden verschärft sich. Der CSU-Landtagsabgeordnete Gerhard Stockinger kritisierte öffentlich eine Empfehlung des Bayerischen Obersten Rechnungshofs zugunsten quelloffener Systeme. Die Finanzprüfer reagierten empört auf die zum Teil sachlich fehlerhaften Ausführungen des Politikers.

Eigentlich sollte es eine lockere Gesprächsrunde werden. Die FDP-nahe Thomas-Dehler-Stiftung hatte Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zur Diskussion geladen. Thema: Open Source - die Zukunft der Software? Als Stockinger, Leiter der Arbeitsgruppe Informationsgesellschaft, Ergebnisse eines noch nicht veröffentlichten Berichts des Bayerischen Finanzministeriums vortrug, schlugen die Wellen hoch.

Das Argument der Wirtschaftlichkeit spreche derzeit nicht für den Einsatz von Open-Source-Software, erklärte der Politiker. Zu einer validen Kostenbetrachtung gehörten nicht nur Lizenzgebühren, sondern beispielsweise auch Mehraufwendungen für Schulungen, Umstellung von Applikationen oder Systemwartung. Unter diesen Gesichtspunkten sei quelloffene Software heute noch nicht empfehlenswert.

Explizit kritisierte Stockinger einen Bericht des Bayerischen Obersten Rechnungshofs (ORH), in dem die Prüfer die starke Abhängigkeit der Verwaltungs-DV von Microsoft moniert und empfohlen hatten, künftig verstärkt Linux und andere Open-Source-Software einzusetzen.

Ludwig Späth, leitender Ministerialrat im ORH, reagierte empört auf Stockingers Ausführungen. Seine Behörde habe in der Untersuchung sehr wohl Faktoren wie Schulungs- und Supportkosten berücksichtigt. Stockingers Kritik gehe am Thema vorbei, sagte Späth der COMPUTERWOCHE, zumal der Rechnungshof gar nicht empfehle, die IT der Staatsverwaltung komplett auf Linux umzustellen. Vielmehr solle bei Investitionsentscheidungen künftig generell auch der Einsatz von Open-Source-Software geprüft werden. Darüber hinaus rate er, die IT-Infrastruktur nicht ausschließlich auf Microsoft-Produkten aufzusetzen. Eine Entscheidung zugunsten des Microsoft-Verzeichnisdiensts Active Directory, wie sie etwa das Bayerische Finanzministerium bereits getroffen habe, bedeute de facto eine solche Festlegung.

Mit seiner Behauptung, in der Open-Source-Welt gebe es gar keine Alternative zu Active Directory, hatte Stockinger zuvor heftigen Widerspruch aus dem Auditorium geerntet. Ein Vertreter eines bayerischen Softwarehauses warf dem Landtagsabgeordneten mangelnde Kompetenz vor und verwies auf den Open-Source-Verzeichnisdienst Open LDAP.

Als Argument gegen quelloffene Software für E-Government-Projekte hatte Stockinger zudem genannt, es existiere kein mit Microsofts Passport vergleichbares Single-Sign-on-System. Da-rüber hinaus entsprächen E-Mail-Anwendungen für Linux nicht den Sicherheitsanforderungen. Auch diese Aussagen halten einer Überprüfung nicht stand. So entwickelt etwa die Industriegruppe Liberty Alliance derzeit ein mit Passport konkurrierendes System, das auf verteilten Authentifizierungsdatenbeständen basiert. E-Mail-Verschlüsselungs- und Signaturtechniken wie Pretty Good Privacy (PGP) lassen sich auch in der Open-Source-Welt nutzen.

Dass quelloffene Software Microsoft-Systeme auch komplett ersetzen kann, belegt Späth mit eigenen Erfahrungen. So habe sich der ORH bereits entschieden, sowohl auf den Servern als auch auf allen 300 Client-Rechnern künftig Open-Source-Programme wie das Büropaket Open Office unter Linux einzusetzen.

Ausschlaggebend dafür seien wirtschaftliche Gründe gewesen. Bis Ende nächsten Jahres will Späth die Migration abgeschlossen haben.