Zielgruppenansprache im WWW erfordert neue Wege im Marketing

Strategien für den Kampf um den Internet-Kunden

19.11.1999
Viele E-Commerce-Betreiber erhoffen sich vom diesjährigen Weihnachtsgeschäft den kommerziellen Durchbruch. Mit guten Wünschen und peppigen Websites allein werden kaum genügend Kunden erreicht. Neue Wege im Verkauf erfordern auch ein neues Denken im Marketing.

Glaubt man den Marktforschungs-Auguren, so steht Europa mit dem Christfest in diesem Jahr der Durchbruch im Online-Shopping bevor. Anbieter, die sich nicht allein auf die Kristallkugel oder den Weihnachtsmann verlassen wollen, haben ihr Marketingbudget für das Ereignis zum Teil gewaltig aufgestockt. So will beispielsweise der amerikanische Spielzeugversender E-Toys (www.e-toys.com) seine entsprechenden Ausgaben im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent auf etwa 40 Millionen Dollar erhöhen. Das wäre mehr als die gesamten Einkünfte des Unternehmens im Jahr 1998, als 32 Millionen Dollar umgesetzt wurden.

Nicht nur reine Internet-Firmen, sonder auch herkömmliche Anbieter investieren große Summen in ihren Online-Vertrieb. Viele werden allerdings eine Menge Geld in den Sand setzen, da sie mit traditionellen Methoden versuchen, neue Zielgruppen anzusprechen - und sich dann über das mangelhafte Interesse an ihren Kampagnen wundern. "In vielen Unternehmen wird Web-Marketing nur angehängt", so Claudia Fantapié Altobelli, Professorin an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. "Web-Marketing und konventionelles Marketing sollten Ergebnis einer integrierten, strategischen Gesamtkonzeption sein", fordert die Leiterin des Instituts für Marketing. Die Geschlossenheit des gesamten Marketing-Auftritts ist laut Altobelli besonders wichtig für Unternehmen, die ein zusätzliches Web-Business betreiben, da sonst die Corporate Identity der Firma beeinträchtigt werde und es in den Zielgruppen zu Verwirrungen komme.

Das A und O jeder erfolgreichen Marketing-Kampagne ist es, zunächst einmal zu verstehen, wer genau eigentlich der Ansprechpartner ist. Das heißt, Firmen müssen sich Gedanken über die Struktur und die sich daraus ergebenden besonderen Bedürfnisse ihrer Online-Kundschaft machen. Die Zielgruppenlandschaft im Web verändert sich dabei nach den Erfahrungen von Marketing-Spezialistin Altobelli weniger im Hinblick auf die Soziodemografie. Untersuchungen zeigten, daß sich die Internet-Nutzer hierzulande statistisch nach Alter, Geschlecht, Einkommen, Beruf und anderen Faktoren langsam dem bundesdeutschen Bevölkerungsquerschnitt anglichen.

Überdurchschnittlich seien bei Internet-Nutzern allerdings Technikaffinität, Innovationsbereitschaft und Flexibilität. Eine Definiton der Internet-Zielgruppen sollte daher laut Altobelli eher nach psychologischen Merkmalen und nach Lebensstilen erfolgen.

Das Marktforschungsunternehmen Forrester Research unterscheidet vier Typen von "digitalen Konsumenten": Optimisten mit hohen oder niedrigem Einkommen sowie Pessimisten mit hohem oder niedrigem Einkommen. Optimist und Pessimist steht dabei jeweils für die Einstellung gegenüber dem Medium Internet. Forrester hat auf seinem New Media and Marketing Forum Anfang November in Amsterdam erste Ergebnisse einer breit angelegten europäischen Nutzeranalyse mit Tausenden von Teilnehmern veröffentlicht. Demnach unterscheidet sich das Käuferverhalten innerhalb Europas, aber auch zwischen den Regionen innerhalb einzelner Länder. Während beispielsweise in Großbritannien, Frankreich und Deutschland Bücher als beliebteste Online-Produkte die Ranglisten anführen, sind es in Schweden und den Niederlanden CDs.

Ist die Zielgruppe eingegrenzt, so müssen insbesondere Unternehmen mit einer klassischen Repräsentanz darauf achten, nicht die alte Kundschaft durch inkonsistente Werbekampagnen zu verprellen. Das bedeutet laut Altobelli:

- Kein diametral unterschiedlicher Markenauftritt beziehungsweise keine mit dem Firmenimage unverträgliche Positionierung im Web;

- keine unterschiedliche Werbebotschaft - der Grundtenor sollte beibehalten werden, auch wenn die Umsetzung der Kernbotschaft den Online-Zielgruppen anzupassen ist;

- die grundlegende Preispositionierung sollte im Web beibehalten werden.

Im Kern einer jeden Marketing-Strategie steht immer die Werbung beziehungsweise der Versuch, unstete Surfer für das eigene Angebot zu gewinnen - und sie nach Möglichkeit in Käufer zu verwandeln. Das Internet hat hierbei zu einer bemerkenswerten Verschiebung der Marketing-Ressourcen geführt (siehe Grafik, Seite 25). In der herkömmlichen Welt bewegt sich die Werbung für Produkte stets zwischen dem Interesse des potentiellen Kunden, das es zu wecken gilt, und dem Ladengeschäft, wo er dann irgendwann zum zahlenden Käufer werden soll. Dazwischen haben die Forrester-Experten ein großes schwarzes Loch ausgemacht, in dem die Reflexionsphase des Kunden, die Produktauswahl und der eigentliche Kaufvorgang unbeeinflußt verschwinden.

Das Internet bietet nun erstmals die Möglichkeiten, einen potentiellen Kunden durch die gesamte Phase des Kaufvorgangs aktiv zu begleiten. Während der Surfer noch durch eine Website stöbert, können ihm zusätzliche Dienste oder Inhalte, seien es Produktdaten, Bilder oder Feedback-Funktionen, die Auswahl erleichtern - er fühlt sich nie allein gelassen, aber auch nie bedrängt. Auch beim Kauf selbst sollte der Kunde so gut wie möglich unterstützt werden durch einen einfachen und transparenten Bestellvorgang. Im Web sollte die Konversion des Kunden (also wie aus Interessenten Käufer werden) und nicht das bloße Erwecken von Interesse im Fokus der Marketing-Strategen liegen. Hier muß mehr investiert werden, um die Möglichkeiten des Mediums nicht zu verschenken. Werbung wird so laut Forrester zu "verteiltem Verkaufen" (Distributed Selling).

Während die traditionelle Werbung von einer Botschaft an ein Massenpublikum mit dem Ziel größtmöglicher Reichweite und Frequenz geprägt ist, konzentriert sich Web-Werbung (oder Distributed Selling) auf die Erfahrung des einzelnen Kunden mit dem Ziel größtmöglicher Effektivität beziehungsweise einer hohen Konversionsrate. Dabei haben sich beim Web-Marketing überraschend sogenannte Partnerprogramme (Affiliate Programs), Direct E-Mail, Public Relations und Fernsehwerbung als die wirkungsvollsten Werbeformen erwiesen. Die populärsten Verfahren, nämlich Online-Banner und -Buttons, schnitten neben der Zeitungswerbung nach den Erhebungen von Forrester am schlechtesten ab. Entscheidend ist letztlich der richtige Mix aus Online- und Offline-Werbung.

Viel Geld kostet eine effektive Internet-Werbestrategie allemal (siehe Grafik "Erfolg hat seinen Preis"). Mit fast 10000 Mark für den Start und den Betrieb im ersten Jahr machen die Marketing-Kosten für eine durchschnittliche Website laut Forrester 47 Prozent des gesamten Online-Budgets aus. Und das reicht nach Ansicht von Tony Salter, Chairman und CEO des Musikversenders Boxman, niemals aus, um eine neue Marke zu etablieren - allenfalls um sich mit einem bestehenden Angebot erfolgreich gegen die Konkurrenz zu behaupten. E-Commerce verändert mithin nicht nur Vertriebswege und Geschäftsprozesse, sondern auch die Marketing-Konzepte von Unternehmen. Wer das nicht erkennt, wirbt an den Kunden vorbei, nutzt Konversionspotentiale nicht und verspielt viel Geld.